Overtourism auf den Caminos?

Hier darf geschnattert werden. Alles was sonst nirgendwo reinpasst
Joker
Beiträge: 53
Registriert: 5. Feb 2024, 12:42
Wohnort: Brandenburg

Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Joker »

Hallo,
seit 2018 beobachte ich folgendes Phänomen:
die Caminos werden voller und kommerzieller. Als ich 2018 meinen ersten Camino lief, erschrak ich über die Pilgerautobahn ab Arzua.
2019 lief ich den Primitivo und genoss die Ruhe und Leere. Aber ab Melide war es rammelvoll und Arzua sowieso.
2022 ging ab Arzua gar nichts mehr. Ganze Schulen zogen mit Discomusik und viel Lärm gen SDC.
Santiago war eine einzige Partymeile...nach einer unruhigen Nacht zog ich weiter nach Muxia
Letztes Jahr lief ich den Sanabres. Es war traumhaft leer und ruhig...bis Ourense...und SDC war wieder voll. Ich lief instant weiter nach Muxia.

Mir ist klar, dass die Pilger ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind (450.000 registrierte Pilger in 2023, die alle in SDC Essen, Trinken, Schlafen etc...das bringt gutes Geld)
Aber auch in SDC selbst registriert man dieses Phänomen des Overtourism und will gegensteuern.

Wie sind Eure Erfahrungen/Wahrnehmungen dazu?
„Nicht alle, die wandern, sind verloren …“

Gandalf
Benutzeravatar
CyrusField
Beiträge: 1080
Registriert: 10. Sep 2019, 11:02
Wohnort: Aachen
Kontaktdaten:

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von CyrusField »

Ich war 2018, 2020 und 2022 in SdC, jeweils außerhalb der "Hauptsaison" und immer unter der Woche.
Die Stadt war immer lebhaft, aber mir kam sie nie (zu) voll vor.

Aber die Diskussion über die Pilgerströme, den ausufernden Souenierhandel, die Kreuzfahrtouristen usw. sind ja nicht neu.
Camino Francés 2018
Mosel-Camino 2019
Via Mosana 2019 - ... (das wird noch :lol:)
Caminho Portugês Central 2020
Camino Inglés 2022
...und auch sonst viel zu Fuß unterwegs: https://stefansspuren.com 8-)
Benutzeravatar
Pater Norbert
Beiträge: 1378
Registriert: 22. Jul 2019, 13:19
Wohnort: Freiburg/Brsg
Kontaktdaten:

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Pater Norbert »

Hallo Joker,

im gewissen Sinne bin ich ja auch Teil dieses Over.
Ob ich nun allein ankomme oder mit der Gruppe.
Bei allen Ankünften habe ich meine Favoriten bei den Lokalen.
Bei beiden Ankünften habe ich meine Genußrituale, und die sind an Lokale gebunden.

Vor Jahren habe ich in Freiburg ein Lokal aufgesucht, das bald schließen wollte. Im Gespräch sagte mir der Wirt: "Sie kommen alle 2 - 3 Monate vorbei. Das ist gut. Aber für die Fixkosten reicht es nicht!"
Wer pilgert, wird von einem Virus infiziert, das nicht vergeht.
Gemerkt im März 2022. Avatar stammt aus Juni 2023.
Benutzeravatar
Jam
Beiträge: 562
Registriert: 16. Nov 2019, 18:44
Wohnort: Selters/Ts

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Jam »

Joker hat geschrieben: 4. Mär 2024, 09:12 Hallo,
seit 2018 beobachte ich folgendes Phänomen:
die Caminos werden voller und kommerzieller. Als ich 2018 meinen ersten Camino lief, erschrak ich über die Pilgerautobahn ab Arzua.
2019 lief ich den Primitivo und genoss die Ruhe und Leere. Aber ab Melide war es rammelvoll und Arzua sowieso.
Hallo Joker, ich dachte du bist seit gestern auf der Via Francigena unterwegs. da wirst du diesen Rummel nicht erleben.
Ich suche auch immer nach etwas Ruhe und bin daher gerne in der Schweiz, Deutschland und Italien auf Pilgertour.
Unterwegs auf Pilgerwegen in Deutschland, Italien, Portugal, der Schweiz und Spanien
Benutzeravatar
Shabanna
Beiträge: 935
Registriert: 16. Jul 2019, 15:10
Kontaktdaten:

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Shabanna »

@Joker: Wenn ich solche Beiträge lese, denke ich immer an meine Ankunft in Santiago im Januar. Die Straßen leergefegt und im Pub Momo war ich fast alleine. Die Melancholie, die über der Stadt lag, war ganz besonders.

Natürlich kenne ich auch das Gegenteil. Aber wie Pater Norbert schreibt: Wir sind Teil des Ganzen. Und sag mal jemandem wie mir, er soll damit aufhören ;)

LG,
Andrea
No creo en casi nada que no salga del corazón.
(Fito Páez)

http://und-die-haare-im-wind.blogspot.com
Joker
Beiträge: 53
Registriert: 5. Feb 2024, 12:42
Wohnort: Brandenburg

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Joker »

Ich starte am 03.04.24 ab Siena....und ja, da erhoffe ich mir Ruhe ;)

Einerseits freue ich mich für die Gastronomen, Souvenirhändler, Herbergsbetreiber, dass sie Geld verdienen. Andererseits stieß ich auf eine Initiative der Stadt SDC, wo halt die zT heftigen Auswüchse des Pilgertourismus eingedämmt werden sollen.

Ich weiß, dass nicht alle Pilger ruhig und für sich unterwegs sein wollen und mein Verhalten nicht das Maß der Dinge ist. Aber einige jahrmarktähnliche Auswüchse fand ich schon nervend.
Eigentlich liebe ich das Pilgern im Frühling oder Herbst.
Aber, wenn ich wieder einen Camino in Spanien laufe, dann werde ich auf den Winter ausweichen.
Wenn das dann alle machen, wird auch da wieder voll und dann :lol: :lol:

Ich hoffe auch, dass sich die Pilgerzahlen wieder auf ein "normales" Maß einpegeln. 450.000 in 2023 waren wohl ein Rekord.

Danke für Eure Meinungen

BC
Wolfgang
„Nicht alle, die wandern, sind verloren …“

Gandalf
Benutzeravatar
Via2010
Beiträge: 511
Registriert: 16. Jul 2019, 16:08
Wohnort: Eifel

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Via2010 »

Ich beobachte seit 2006. Da ist der Unterschied noch deutlicher. Dennoch gibt es durch antizyklische Etappenplanung immer noch auch kurz vor Santiago auf eigentlich allen Wegen die Möglichkeit, dem ärgsten Gewühl zu entgehen. Nur Santiago selbst ist mir längerfristig zu voll, da halte ich mich nicht mehr länger als nötig auf. Aber auch hier macht manchmal eine Woche früher oder später einen gewaltigen Unterschied aus... so erlebt im August/September 2021. Ende August nach Ankunft von der Via de la Plata noch Warteschlangen vor dem Pilgerbüro schon ab 6.00 Uhr morgens, die Woche drauf, nach Rückkehr vom Camino Inglés, konnte ich morgens um 11.00 Uhr durchmarschieren. Auch mittags und abends wirkte die Stadt deutlich leerer.
Benutzeravatar
ilfuchur
Beiträge: 611
Registriert: 15. Jul 2019, 06:26

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von ilfuchur »

Natürlich bin ich, wenn ich unterwegs bin, auch ein Teil des "Overtourism", aber egal welchem Tourism man angehört: Ein Mindestmaß an pfleglichem Umgang würde niemandem wehtun und anderen das Leben viel leichter machen. Was ich letztes Jahr auf dem Portugues erlebt habe, war aber leider ganz oft genau das Gegenteil davon und manchmal echt daneben. Tut mir leid.

Natürlich sehe ich den Wirtschaftsfaktor auch, aber ganz ehrlich: Am Frances oder Portugues möchte ich nicht wohnen. Heideröslein!

Das ist der Punkt, den ich wirklich schade finde: Ich habe den Eindruck, die Wahrnehmung der Menschen von mir als Pilger hat sich verändert ... und das kann ich niemandem, der an einem Camino lebt, verdenken. Für mich wären Pilgernde auch nur noch ein Nervpunkt und kein Grund mehr zur Freude, denen ich mal schnell über den Arm schrubbel (ich glaube, viele "Neupilger" kennen das gar nicht, dass Menschen das früher getan haben, um den Geschrubbelten ein bisschen auf seinem Weg zu begleiten), buen Camino wünsche oder die Trinkflasche auffülle. Das nimmt mir (weil ich es halt anders kenne) ein großes Stück Pilgerfeeling (denen, die es nicht anders kennengelernt haben aber nicht und das finde ich einerseits schade, weil es einfach schön war, und andererseits gut so, weil man dann nichts vermisst).

Ich heule nicht gerne der "guten alten Zeit" hinterher. Dinge verändern sich, darauf haben wir keinen Einfluss (und das ist auch gut so, weil sonst würden wir vielleicht noch immer den Nachttopf durchs Fenster auf die Gasse entleeren). Das, was wir beeinflussen können, ist, was wir für uns daraus machen. Ich habe Frieden geschlossen mit denen, die die letzten 100 km mit einem Tagesbeutelchen "bewältigen" ... und so viel mehr Energie für den Ärger darüber, dass Menschen in in Rudeln kurze Strecken den Camino getrieben werden und erzählt bekommen, dass sie jetzt auch "richtige Pilger" sind. Und wenn mir das zu langweilig geworden ist, hab ich auch wieder Platz dafür, dass ich ziemlich glücklich darüber bin, dass ich nicht an deren Stelle bin, weil dann ginge mir ganz, ganz, gaaaaaaaanz viel in meinem Leben ab, was mir wirklich wert und wichtig ist.

:arrow: :arrow: :arrow:
Pilger, die beim Gehen manchmal einfach nur Bauch und Füße sind - #Bauchfüßler eben.
Benutzeravatar
Jam
Beiträge: 562
Registriert: 16. Nov 2019, 18:44
Wohnort: Selters/Ts

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Jam »

Joker hat geschrieben: 5. Mär 2024, 11:01 Ich starte am 03.04.24 ab Siena....und ja, da erhoffe ich mir Ruhe ;)
Oh sorry, ich hatte deinen Beitrag im Sinn und hatte mich schon gewundert, welche Varianten du die ganze Zeit pilgern willst:
Bitte auch in die Liste aufnehmen:
Forumname: Joker
Weg: Via Francigena
Start: Siena
Starttag: 03.03.24
Rückreise: 17.04.24
Unterwegs auf Pilgerwegen in Deutschland, Italien, Portugal, der Schweiz und Spanien
Joker
Beiträge: 53
Registriert: 5. Feb 2024, 12:42
Wohnort: Brandenburg

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Joker »

Nun, ich habe auch das Verhalten vieler Pilger kritisch beobachtet und verstehe, warum viele Anwohner echt genervt sind.
Wenn man auf und neben den Wegen Müll findet, oder Pilger es wichtig finden, bestimmte Wegmarken zu bekritzeln (Klassiker; die 100km Steine oder Grenzsteine) dann schwindet die Akzeptanz.

Was ich besonders verwerflich finde, wenn Pilger denken, dass "Spende" gleichbedeutend mit kostenlos ist. Da habe ich einige echt peinliche Erlebnisse gehabt und auch versucht, dieses Schnorren auszugleichen.

Dieses Verhalten, zusammen mit den Pilgermassen führt dann mE zum Overtourism mit all seinen Begleiterscheinungen.
Da kann ich nur hoffen, dass die Maßnahmen der Städte Wirkung zeigen und (ganz egoistisch) der Hype um das Pilgern wieder auf ein normales Maß zurückfährt.
„Nicht alle, die wandern, sind verloren …“

Gandalf
Benutzeravatar
Anhalter
Beiträge: 516
Registriert: 8. Mai 2020, 11:44
Wohnort: Jena

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Anhalter »

Diese Diskussionen um "Overtourism" haben für mich ja immer ein wenig was von Der Zauberlehrling. Im Einzelfall bestimmt nicht schön, aus der Vogelperspektive gerne mal "selber schuld" daran.
Monoeagle
Beiträge: 184
Registriert: 26. Feb 2020, 00:26

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Monoeagle »

Da letztes Jahr mein erster Camino war, habe ich natürlich keinen Vergleich wie es früher mal gewesen sein könnte. Aus den gestiegenen Zahlen(aus den Statistiken) über die Jahre und der vielen Blogs und YT Videos jedweder Ausrichtung haben die Wege nunmal auch einen touristischen Teil in der Pilgerschaft.

Man kann sich entlang des Weges auch über vieles Aufregen.

- Donativo und dann nix geben und noch nichtmal das Bett abziehen
- Müll
- Beschmiertes

Am Ende geht jeder seinen Weg mit seiner inneren Einkehr und wem das alles zuviel wird der geht halt einen anderen. =)
2023: Trier -> Vézelay | Limovicensis | GR10 -> Bidarry -> Bayonne | Camino del Norte -> Ribadeo | Camino del Mar | Camino Inglés | Camino Muxia-Fisterra
Joker
Beiträge: 53
Registriert: 5. Feb 2024, 12:42
Wohnort: Brandenburg

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Joker »

Danke für Euer Feedback

Ich habe für mich beschlossen, dieses Jahr eine Camino-Pause zu machen; vllt waren vier Caminos erstmal zu viel.

Außerdem versuche ich immer so zu leben, wie ich es mir von anderen wünsche. Auch wenn da andere schon mal seltsam schauen...
„Nicht alle, die wandern, sind verloren …“

Gandalf
Benutzeravatar
Tritta
Beiträge: 278
Registriert: 15. Jul 2019, 10:49

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Tritta »

Joker hat geschrieben: 6. Mär 2024, 10:20
Ich habe für mich beschlossen, dieses Jahr eine Camino-Pause zu machen; vllt waren vier Caminos erstmal zu viel.
Hallo Joker, das verstehe ich jetzt garnicht. Du hattest in der Vorstellung geschrieben, dass du dieses Jahr auf die Via francigena möchtest. Welche Gründe gibt es denn jetzt für deine Pause? :shock:

Oder hab ich nur etwas falsch verstanden?
Joker
Beiträge: 53
Registriert: 5. Feb 2024, 12:42
Wohnort: Brandenburg

Re: Overtourism auf den Caminos?

Beitrag von Joker »

Ohje...entschuldige die Verwirrung. Das war mein Fehler mit den ungenauen Begrifflichkeiten:
Ich meine mit Caminos die Jakobswege. Und auf denen war es mir zuletzt zu voll...

Die Via Francigena bleibt bestehen, da starte ich am 3.4. ab Siena.

Ich hoffe, ich konnte es etwas entwirren... :D
„Nicht alle, die wandern, sind verloren …“

Gandalf
Antworten