Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
Cloudbuster
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Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Cloudbuster »

Hallo zusammen,

ich habe in den vergangenen Wochen schon mehrfach hier im Forum gepostet, von meinen Plänen berichtet und Fragen gestellt. Herzlichen Dank für die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit!

Meine Anliegen waren bisher eher praktischer Natur. Irgendwo habe ich mal gehört, dass der Camino schon vor dem ersten physischen Schritt losgeht. Und ich glaube, dass sich das nicht nur auf die Planung der Route, die Zusammenstellung der Ausrüstung etc. bezog. Bei mir waren die vergangenen Wochen jedenfalls von Vorfreude, Zweifeln, Planänderungen, Teilrückziehern, Angst und noch einigem mehr geprägt.

Und mich interessiert, was bei euch so für Geschichten hinter dem Pilgern stecken. Neugier? Abenteuerlust? Religiöse oder spirituelle Gründe? Krankheit? Verlust? Sinnsuche? Etwas anderes?

Welche inneren und äußeren Hindernisse habt ihr überwinden müssen, bevor ihr den ersten physischen Schritt eurer ersten Camino-Etappe unternommen habt? Habt ihr gezweifelt? Haben andere an euch gezweifelt?

Gab es diese „Das geht doch nicht, das kann man doch nicht machen!“-Stimmen in euch oder in eurem Umfeld, insbesondere, wenn es um langes Pilgern ging, das vielleicht mit dem Ausbruch aus einem scheinbar guten, sicheren Leben verbunden war, das für euch einfach nicht (mehr) funktioniert hat?

Was hat der Camino mit euch gemacht? Seid ihr verändert in das Leben nach dem Camino gegangen?

Übrigens, ich habe über die Forumssuche keinen Thread zu diesem Thema gefunden, aber vielleicht habe ich auch nicht die richtigen Schlagwörter verwendet.

Liebe Grüße

Manuel
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Pater Norbert
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Pater Norbert »

Hallo Manuel,

vor diesem Forum gab es schon mal eins, und ich glaube, da war ein langer Thread zu diesem Thema. Und viele von uns sind auch damals dabei gewesen.

Zu deiner Frage: Ich war schon vor dem Camino als Pilger in Irland auf den Spuren von St. Patrick, in Lourdes und auf dem Weg nach Vezelay unterwegs, ohne etwas vom Camino zu wissen.

Ein Bekannter hatte 1997 den Weg ab Le Puy mit dem Rad gemacht, davon geschwärmt und auch "gestrunzt". Dem wollte ich irgendwie eins aufsetzen und das zu Fuß. 1999 habe ich mit einem Freund drei Wochen Zeit gehabt und wir starteten in Burgos. Damals dachte ich, es ist Mal Camino.
Aber das Virus hat mich erwischt. Im Juni kommt Camino 33.
Wer pilgert, wird von einem Virus infiziert, das nicht vergeht.
Gemerkt im März 2022. Avatar stammt aus Juni 2023.
Joker
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Joker »

Guten Morgen,
bei mir war es ein Prozess, der sich fast 45 Jahre hinzog:
als Kind las ich gerne und vor allem Mittelalterromane. Da stieß man unweigerlich auf Pilger, Templer usw. Also alles sehr spannend. Mich faszinierte der Gedanke, dass Menschen seit tausenden von Jahren die selben Wege entlangziehen und das ohne rationalen Grund. Ich fragte mich, wer legte die Wege fest, wer bestimmte das Ziel usw...
Nun ja, in der Ex-DDR war das Reisen nicht einfach und alles Religiöse verdächtig. Also bleib es bei meinen Gedanken.
Ich wurde älter und meine kindlichen Träumereien wurden durch den Alltag überlagert: Schule, Beruf, Heirat, Kinder usw...Dann kam die Wende und es gab wieder komplett andere Sorgen und Probleme.
Beruflicher Neustart, die Kinder wurden größer und einige Sorgen wurden geringer. Das Buch von HP Kerkeling bracht die alte Sehnsucht wieder zum Vorschein. gerade wollte ich planen, da kam die Serie "Promipilgern" :roll: im TV und mein Interesse erlosch wieder...auch bedingt, durch eine hohe Arbeitsbelastung, Kinder wurden groß mit allen Problemen usw...

Silvester 2017 saßen meine Frau und ich zusammen und berieten was das alte und neue Jahr so brachten und bringen...und das Gespräch kam auf Pilgern. Meine Frau sagte, dass ich es nun einfach machen soll...
Und so begann der Prozess der Vorbereitung und im August 2018 ging es von Ponferrada nach SDC, Finisterra und Muxia. Mich packte der Pilgervirus:
2019 der Primitivo, 2020 und 2021 die Via Imperii und Via Regia 2022 der CF ab Leon und 2023 der Camino Sanabres.
Im Bekanntenkreis bin ich inzwischen als Pilger bekannt, mein Enkel will auch mal mitpilgern usw...

Und ich hoffe, dass ich noch lange laufen kann.

Buen Camino
„Nicht alle, die wandern, sind verloren …“

Gandalf
HiPilgrims
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von HiPilgrims »

Hallo Manuel,

ja, das ist schon interessant und jeder hat da sicherlich eine ganz andere Geschichte.
Ich kann etwas von mir erzählen. Mich hat das Thema Pilgern schon immer interessiert und ich fand es spannend, wenn andere von ihren Pilgertouren berichteten. Irgendwie hat es in mir eine Sehnsucht geweckt nach Abenteuer, Einfachheit und Gott.
Dann kam ich allerdings, wie bei vielen, erst durch eine schwierige persönliche Lebensphase zu dem Entschluss zu Pilgern. Eine Bekannte hat mir vom Pilgern auf dem Schweizer Jakobsweg erzählt und ein Büchlein geschenkt. Erst dachte ich, was soll das, da ich zwei kleine Kinder im Kindergartenalter hatte und nicht abkömmlich war, um mal grade durch die Welt zu pilgern. Dann habe ich aber gemerkt, dass es genau das ist, was ich brauche: einfach mal raus aus dem schwierigen Alltag, um für mich selbst da sein zu können. Meine erste Pilgertour begann dann in Konstanz und ging bis nach Rapperswill.
Ich hatte weder vor gebucht, noch ein Handy dabei. Als ich aus dem Zug ausgestiegen bin und loslief merkte ich schnell, dass ich mich in Konstanz wohl ziemlich verlaufen hatte. Eine Frau hat mir dann einen Bus empfohlen der mich direkt zum Beginn des Jakobsweges brachte. Dann lief ich los bis nach Märstetten. Dort wartete ich lange vor der Pilgerherberge, entschied mich dann irgendwo zu klingeln, um bei der zuständigen Kontaktperson der Herberge anzurufen. Das klappte dann auch und ich wurde noch dazu von einer lieben Frau zum Kaffee eingeladen. Die Nacht verbrachte ich dann in dieser Herberge alleine, als einziger Gast und in dieser Nacht ist ein Tränenstrom aus mir herausgebrochen. Es war das, was ich lange nicht konnte: loslassen und trauern. Ich habe in diesen Tagen jedes Kirchlein genutzt zum Beten und es war der persönliche Beginn loszugehen, weiterzugehen und Altes loszulassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich überhaupt nicht im Sinn jemals wieder zu pilgern. Aber ja, das Virus....Jedes Jahr ging es ein kleines Stückchen weiter. Als ich irgendwann am Genfer See angekommen bin, kam mir zum ersten Mal die Idee ganz durchlaufen zu können...bis nach Santiago und da bin ich immer noch dabei....wer weiß wann und ob ich jemals ankomme.....

LG
Heike
Zuletzt geändert von HiPilgrims am 26. Feb 2024, 20:14, insgesamt 5-mal geändert.
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Icecube84
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Icecube84 »

Hola,

ich weiß gar nicht mehr, wann mir die Idee in den Kopf kam, oder wann ich das erste mal vom Camino hörte (jedenfalls nich durch HaPe)...
Ich erzählte meinem damaligen Lebensgefährten davon und er nahm mich gar nicht Ernst und lachte eher über mich. Nach dem Motto: du kleines dickes Ding schaffst sowas gar nich.
Ich sprach dann mehrere Jahre nicht mehr davon und vielleicht hab ich es auch ein bissel vergessen.
Nach der Trennung von diesem Mann dauerte es noch ein Jahr, bis ich den Gedanken wieder zuließ und mich traute mit anderen drüber zu reden. 2011 erzählte ich dann meiner besten Freundin davon und sie war mega begeistert und zweifelte gar nicht. Da unser Gespräch so positiv war, erzählte ich am nächsten Tag meinem Papa davon und er fands auch mega gut. Also wurde die Idee immer konkreter und ich traute mich über den Camino zu sprechen. Aber es dauerte noch ein paar Jahre.
2012 las ich dann das Buch von HaPe und fand es toll, dass er sich mit den Spaniern unterhalten konnte. Das wollte ich auch, also meldete ich mich in der Volkshochschule an und begann Spanisch zu lernen. Da war dann schon klar, das es 2015 soweit sein sollte.
2014 war ich dann als Tourist in Santiago und brachte mir von dort meine Muschel mit. Ich bestaunte ehrfürchtig die ankommenden Pilger und hoffe, in einem Jahr einer von ihnen zu sein. Meine Mama ging in die Kathedrale und betete für mich. Ich wollte sie erst 2015 als Pilger betreten, das war mir damals sehr wichtig.
Tja und 2015 startete ich dann in Burgos. Ich bekam wahrscheinlich alle Pilger-Wehwehchen die man haben kann, trotzdem war schon nach dem ersten Tag klar: das will ich wieder machen.
Was hat das Pilgern mit mir gemacht? Es hat mich emotionaler gemacht. Das unterschreiben auch alle meine Freunde. Ich konnte auf dem ersten Camino den Tod meiner Oma verarbeiten, die damals schon 9 Jahre tot war. Es war nicht mein Anliegen, mich damit auseinanderzusetzen und zu lernen damit zu leben. Es passierte einfach...

Auch wenn es mich jedes mal aufs neue aus meiner Komfortzone raus schleudert, ist seit dem das pilgern (und/oder weitwandern) meine große Leidenschaft.
Buen Camino,
Jani

Camino francés / Pilgerweg McPomm / Camino portugués / Jakobusweg Lüneburger Heide / Via Scandinavica
Eifel-Camino
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Rheinhesse
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Rheinhesse »

Hallo Manuel,

ja, ich gebe es zu--- HP hat mich dazu gebracht. Nach dem Lesen des Buches plante,plante und plante ich. Im Jahre 2019 ging ich dann von Leon. Ich nahm die letzten 2 Wochen Urlaub meines 45-jährigen Arbeitslebens und ging los.
Und du fragtest danach : Ja, der Grund war die völlige Abkehr vom Berufsleben und den Einstieg ins Pensionärsleben zu schaffen--und es gelang. Während der vielen Jahre war ich Zeuge und oft Beteiligter vieler kleiner und großer Tragödien. Dies alles konnte ich in den vielen kleinen Kapellen am Wegesrand, am Eisenkreuz, bei San Roque, beim Umarmen des Apostels und auf den großen Felsen in Murcia zurücklassen. Auch einer sehr verständinsvollen Mitpilgerin von den Färöer - Inseln vertraute ich Sachen an die ich noch nicht mal meiner Frau erzählt hatte.

Und es hat mich im Lauf der Zeit verändert . Manche würden es als Altergelassenheit bezeichnen aber ich sage dass der Weg mich dazu brachte dass ich jetzt vieles in meinem Umfeld an Fehlern einfach verzeihen kann. Ich bin auch etwas von der Konsumgesellschaft abgerückt nachdem ich gesehen habe wie wenig es braucht um es sich gut gehen zu lassen. Ich denke so etwas erwarten viele die sich auf den Weg machen, manche werden enttäuscht werden.
BC Ralf
HiPilgrims
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von HiPilgrims »

Hallo,

mir gefällt sehr dein Satz
"aus dem Alltag herausschleudert"....das geht mir genau so und ich muss mich immer wieder aufraffen....und während mancher Wanderungen muss ich mich immer wieder fragen, warum ich mir die Schinderei antue. Das Ankommen und Ausruhen ist dann aber soo schön.
@Ralf, auch mich macht das Pilgern gelassener.

LG Heike
HiPilgrims
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von HiPilgrims »

HiPilgrims hat geschrieben: 26. Feb 2024, 22:23 Hallo,

mir gefällt sehr dein Satz
"aus der Komfortzone herausschleudert"....das geht mir genau so und ich muss mich immer wieder aufraffen....und während mancher Wanderungen muss ich mich immer wieder fragen, warum ich mir die Schinderei antue. Das Ankommen und Ausruhen ist dann aber soo schön.
@Ralf, auch mich macht das Pilgern gelassener.

LG Heike
angel2969
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von angel2969 »

hi,
tja wie bin ich zum Pilgern gekommen, ca. 1 Jahr vor meinem 50. Geburtstag war ich auch der Suche wie verbringe ich meinen Ehrentag und habe in dieser Zeit auch Hape gelesen - bis dahin hatte ich von Jakobswegen noch nie etwas gehört - das hat mich beschäftigt und ich habe mich mit Literatur versorgt - für mich war dann aber die Bücher von Hartmut Pönitz und Tim Moore die Initialazündung. In meiner Kindheit und Jugend bin ich lange und viel mit meinen Großeltern gewandert. Das schlief dann sozusagen mi Beruf, Heirat, Kinder, ein. So dass ich mich entschloss, mich dieser Herausforderung zu stellen. Arbeitgeber und Kollegen waren sehr großzügig so dass ich meinen Jahresurlaub am Stück nehmen konnte. Der Camino del Norte hat mich total verändert, ich begann in als Herausforderung für mich, aber er hat mir um einen den Glauben an die schützende Hand über mir wiedergegeben, mich gelassener gemacht, mir bewußt gemacht, mit wenig auszukommen und habe das Miteinander, die Toleranz und meistens auch die Rücksichtnahme sehr genossen, so dass ich seitdem schon mehrmals wieder unterwegs war.
bc angel
Monoeagle
Beiträge: 185
Registriert: 26. Feb 2020, 00:26

Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Monoeagle »

Wie kam ich zum Pilgern?

2017 hab ich eine Fahrradreise gemacht über ca. 2600km. 2018/2019 ging dann die Planung für eine neue Reise los, da die 2600km in 5 Wochen mich auf den Geschmack gebracht hatten. Nach der Idee eine Interrail-Europa-Rundreise durch 23 Länder zu machen, die verworfen wurde, ging es über die Idee erneut eine Radreise zu machen, diesmal durch 4 Länder. Als diese Idee dann auch verworfen wurde, weil alles in mir nach "mach langsamer" schrie war die Idee "zu Fuß" geboren. Da ich schon immer mal den Kungsleden gehen wollte und genügend Zeit hatte ging die Planung los. Aus dem Kungsleden wurde dann allerdings "Ich will ins Warme" also Schweden nochmal nach hinten in der Prio-Liste.
Ich las über die Jakobswege und das man mit dem Pilgerausweis in den Herbergen unterkommen kann, die i.d.R. günstiger sind als normale Unterkünfte. Trotzdem kam das Zelt mit. Bis Vezelay war der Weg für mich auch weniger ein Pilgern, mehr ein Fernwandern. Erst ab Vezelay mit zunehmender Gesellschaft und der vielen Gespräche wurde es für mich zu einem Camino.

Was hat es mit mir gemacht?

Auch wenn ich(für mich) mit der Kirche nicht viel am Hut habe bin ich in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und hab das halt alles mitgemacht. Die 128 Tage auf dem Weg bot viel Zeit für die innere Einkehr, viele interessante Gespräche, nebenbei ordentliches Abspecken(leider sind die Kilos wieder drauf) und ordentlich den "Kopf lüften"(leider ist auch das nun bereits wieder aufgebraucht nach knapp 7 Monaten). Da ich sonst nie groß rauskomme war es auch der Schritt ins Ungewisse, sich drauf einlassen und das habe ich definitiv behalten. Die eigenen Ziele sind nach dem Weg ebenfalls klarer. Der Weg zeigt einem schließlich was man wirklich braucht. :) Und das ist nicht viel.

Jetzt sind es noch ganze 14 Monate bis die nächste Langstrecke möglich sein wird. Genf>SdC.
Bis dahin habe ich hoffentlich meine Ernährung, mein Gewicht, den "schwierigen" Kopf im Griff.
2023: Trier -> Vézelay | Limovicensis | GR10 -> Bidarry -> Bayonne | Camino del Norte -> Ribadeo | Camino del Mar | Camino Inglés | Camino Muxia-Fisterra
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ilfuchur
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von ilfuchur »

Also bei mir war es auch, wie bei bestimmt ganz vielen anderen, das Buch von Kerkeling. Wenn der das kann, kann ich das auch!

Sehr lustig ist, dass ich höchstens ein Jahr zuvor im Schwarzwald zwei Menschen dicht auf den Fersen war, die jeder hinten eine Jakobsmuschel trugen. Das hab ich da noch so gar nicht zuordnen können und fand es ein bisschen komisch.

Für uns war es der erste Urlaub wieder mit ohne unsere Jungs. Joa, irgendwie wollten wir schon auch ein bisschen wandern, aber wir hatten auch unsere Campingausrüstung dabei, weil wenn man schon so weit fährt (wir sind tatsächlich mit dem Auto angefahren, um eben einfach flexibel zu sein, weil an mehr als eben nur ein bisschen wandern hatten wir ja gar nicht gedacht), muss sich das ja rentieren.

Zwei Wochen später hatten wir unser Auto vergessen, nicht einmal nach einer Zeitung gefragt, ganz viele wunderbare Menschen kennengelernt, die uns zum Teil bis heute begleiten und waren ... auf eine sehr schöne, ruhige, unaufgeregte Weise ... einfach nur ... zutiefst entspannt (dieses Gefühl kannte ich gar nicht!) ... aus ganzem Herzen dankbar ... und glücklich. Wir hatten noch nicht einmal richtig Heimweh und das will wirklich etwas heißen!

Gemacht hat es aus mir einen Menschen, dem einfach unfassbar viel fehlte, als sier 2020 - 2022 nicht mit dem Rucksack auf dem Rücken vor sich hinmüffelte, und der ebenso unfassbar glücklich war, als sier letztes Jahr wieder in Santiago ankam. Wenn ich im Alltag Momente erlebe, die ich nicht mag, rufe ich Momente von unterwegs ab. Von denen habe ich ganz viele im Bauch und die sind so groß und stark, dass da nichts Hässliches gegen ankommt.

Ich denke immer, das erste Mal, wenn ich an der Kathedrale ankomme und nicht schon eine Stunde vorher heule wie ein Schlosshund, ist das Ende von meinem letzten Camino. Ich habe also noch sehr, sehr, seeeeeehr viele Wege vor mir! :lol:

:arrow: :arrow: :arrow:
Pilger, die beim Gehen manchmal einfach nur Bauch und Füße sind - #Bauchfüßler eben.
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Pooh_der_baer
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Pooh_der_baer »

Hallo,

1987 standen wir im Sommerurlaub an der Kathedrale von LePuy. Damals noch ohne den Zusatz.
Da lasen wir auf einem leicht verwitterten Schild, dass hier ein Startpunkt für die Pilgerreise nach Santiago war.
Es wurde gab auf dem Schild auch eine kleine Erläuterung zur Pilgerreise.
Meine Frau und ich nahmen uns vor, zu Beginn der Rente diesen Weg anzutreten.
Die Suche nach Informationen verliefen in den ersten Jahren im Sande. Gelegentlich gab es mal Berichte im Fernsehen.
Ok, das HP-Buch haben wir auch mal als Geschenk erhalten, da unsere Freunde unsere Absicht kannten.
2010 war es dann endlich soweit. Mit dem Beginn der Ruhephase der Altersteilzeit starteten wir im Juni 2010.
Meine Frau mußte leider abbrechen. So ging ich dann den Weg alleine weiter.
Das Pilgern ließ mich nicht los.
Mit meiner Frau startete ich 1 Jahr später in Porto, dann 2012 in Oviedo und 2014 dann in Lourdes.
Eine versprochene Pilgereise rückwärts führte ich dann mit meiner Frau 2017 beginnend in SDC am Jakobustag mit dem Auto
durch.
Mein Traum ist noch die Via und der Olav-Weg. Mal sehen ob es möglich sein wird.
Wer sich nicht erinnert, den bestraft die Zukunft.
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Kater
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Kater »

Es war auf dem Aragones. Anfang der 1990er. Vom Pilgern hatte ich nicht eine Bohne Ahnung. Wir campten am Fluss mit unserem VW-Bus, und dann kamen auf der gegenüberliegenden Flusseite ein paar so “komische” Leute mit Rucksack, von denen jeweils eine Muschel baumelte, und fingen an, ihre Wäsche im Fluss zu waschen.

Am Tag drauf entdeckten wir lauter ziemlich frisch aufgestellte Schilder mit der Aufschrift “Camino de Santiago”. Seltsam. Internet zum schnellen Recherchieren gab es nicht.

Und dann trafen wir zwei Belgier, auch mit bemuscheltem Rucksack. Sie erzählten uns, sie seien in Antwerpen losgelaufen. WOW! Ich konnte es nicht fassen, so ein weiter Weg.

Aber der Gedanke ließ nicht locker. Das war spannend. Knapp zehn Jahre später flog ich dann mit meinem Rad nach Pamplona … Laufen habe ich mich noch nicht getraut … habe aber schlussendlich durch das viele Schieben auf dem Camino dann auch das Laufen gelernt.

Seitdem bin ich von Zeit zu Zeit immer mal wieder auf dem Camino unterwegs … meist urlaubsbedingt in Scheibchen, zuletzt allerdings von der deutschen Mosel aus quer durch das wunderschöne Frankreich (Vezelay-Weg) bis ganz nach Santiago auf einem richtig langen Weg. Endlich mal.

Und, so hoffe ich, wird dies nicht mein letzter Camino gewesen sein.

Was macht der Weg mit einem? Er macht süchtig nach mehr davon. Und jedes Mal ist es eine neue Erfahrung, auch wenn ich Streckenabschnitte schon mal wiederholt habe
Man kann unterwegs Stille genießen… wo gibt es das sonst noch (auch wenn ich in meinen Filmchen bei YouTube bei KaterOnBike es abschließend gern auch mit rockiger Musik unterlege. Nein, unterwegs gibt’s bei mir immer nur Natur pur … ohne Ablenkung.

Der Camino ist einfach grandios … diese weite Landschaft … den ganzen Tag draußen sein dürfen. Interessante Menschen kennenlernen. Tolle Gespräche führen koennen, aber ohne Verpflichtungen eingehen zu müssen … mal nichts müssen müssen… mal ein paar Tage frei sein dürfen.

Liebe Grüße
Kater
Matten
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Matten »

In die Pilgerleidenschaft bin ich so reingerutscht.
Vor vielen Jahren haben meine Frau und ich auf der gemeinsamen Heimfahrt das Hörbuch von Hape Kerkeling zu seinem Jakobsweg gehört. Das gefiel uns. Die Erlebnisse die er schilderte waren beeindruckend. Aber wir haben nicht den Schluss gezogen, dass wir den Camino machen werden. Das kam erst später, durch die Schwester meiner Frau. Die hatte Hape auch gehört und für sich entschieden: ich mache den Weg.
Und dann die Frage: kommt ihr mit?
Ja, warum eigentlich nicht?!!!!
Sie wollte in Lugo oder Astorga beginnen.
Zu dem Zeitpunkt war ich bereits in Rente. Deshalb war für mich klar: Ich starte in SJPdP und man trifft sich dann in Astorga oder so.
Meine Frau bekam es dann so organisiert, dass der AG ihr 10 Wochen frei gab.
Wir sind dann am 02.05.2016 in Pamplona gestartet. Meine Frau hatte ihr Veto gegen die Pyrenäen eingelegt. War ganz gut, da wir von anderen Pilgern von Regen, Schnee und üblem Wind auf der Route Napoleon gehört hatten.
Der Camino war ein tolles Erlebnis!!! Wir sprechen noch heute gern davon. Wir mussten zwar hinter Belorado abbrechen und wegen einer ärztlich notwendigen Behandlung nach Hause, aber wir haben nach 14 Tagen den Camino fortgesetzt. Dann haben wir SdC erreicht und sind so gar weiter nach Fisterra.
Leider konnte die Schwägerin nicht mit: die Gesundheit machte nicht mit. Das haben wir dann 2019 nachgeholt.
Nachdem wir den CF beendet hatten, dachten wir beide: War schön, aber eine Wiederholung muss nicht sein……
Nach ca. 6 Wochen zu Hause wurde ich „zappelig“
Der nächste Camino wurde geplant.
Wir sind dann in 2017 den Weg ab SJPdP gegangen und die Pyrenäenüberquerung war anstrengend, aber wir hatten tolles Wetter. Die Bilder sehe ich immer noch gern.
Von da an war ich jedes Jahr auf dem CF. Nur Corona hat mich gestoppt.

BC
Martin
Niemand weiß was in ihm steckt, bevor er nicht versucht hat es herauszuholen.
Ernest Hemingway
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Shabanna
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Re: Wie seid ihr zum Pilgern gekommen und was hat das Pilgern mit euch gemacht?

Beitrag von Shabanna »

Ein geplanter Wanderurlaub im Wallis wurde von meinen Mitwanderern abgesagt. Also googelte ich im Internet, wo man am besten alleine rumlaufen konnte. Da kam ich auf diesen komischen Jakobsweg :)

Ich pilgerte im Oktober bei Neuschnee nach Maria Einsiedeln und ich weiß noch, wie ich im Zug nach Hause saß und dachte: Nie wieder! Erst nach ein paar Wochen ertappte ich mich dabei, wie ich versuchte herauszufinden, wie der Weg in Einsiedeln weitergeht und wie lange man vielleicht brauchen würde, um in Santiago anzukommen. Als dann endlich im Juni das Wetter besser wurde, gab es kein Halten mehr. Ich lief in Einsiedeln los und begrüßte jeden Käfer, der mir begegnete, als wären wir alte Freunde. Ich wusste, ich gehör da hin, auf den Weg. In den folgenden 14 Jahren habe ich (von kleinen Besuchen bei Freunden etc. abgesehen), keinen anderen Urlaub mehr gemacht. Wobei ich auch fernwandere - für mich ist es dasselbe.

In all den Jahren gab es - wie im Leben so auch beim Pilgern - ein Auf und ein Ab. Du fragst, was das Pilgern mit mir gemacht hat? Das würde hier zu weit führen. Aber es hat mein ganzes Leben komplett verändert. Ich habe viel erlebt und viel gesehen, nicht alles war positiv. Aber ich wurde mutiger und toleranter. Die Via Francigena 2013/2014 war ein Abenteuer. Der Franziskusweg 2016 endete im Desaster. Der Primitivo 2018 war pure Lebensfreude.

Ich habe wichtige Freunde und die große Liebe gefunden. Und ich lernte zuzuhören. Noch immer faszinieren mich die Menschen unterwegs und ihre Geschichten.

Und bevor nicht alle Geschichten erzählt sind, hör ich nicht auf ;)

LG,
Andrea
No creo en casi nada que no salga del corazón.
(Fito Páez)

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