Leeres Spanien
Verfasst: 27. Okt 2022, 18:33
Ein Mitbringsel von der diesjährigen Buchmesse: Das Buch von Sergio del Molino „Leeres Spanien“ wäre wohl niemals ins Deutsche übersetzt worden, wenn Spanien dieses Jahr nicht Gastland gewesen wäre. Es ist bereits aus dem Jahr 2016. Ich habe es noch nicht ganz zu Ende gelesen, aber von der ersten Zeile an hat es mich schwer beeindruckt: Molino beschreibt Spanien auf eine Weise, wie wir dieses Land nicht kennen und vermutlich auch nie kennenlernen werden. Obschon Pilger, die vor 20 oder 30 Jahren auf dem Camino unterwegs waren, noch eine Ahnung von der Weite und Leere des Landes und der Stimmung in diesen Regionen abseits der Zentren haben könnten.
Unten ein link zur taz zu Rainer Wandler, dem Spanienkorrespondenten, der eine Besprechung veröffentlicht hat:
https://taz.de/Buch-ueber-Stadt-Land-Gefaelle/!5887934/
Empfehlenswert auch Paul Ingendaay von der FAZ, der eine sehr lange Rezension (frei einsehbar) veröffentlicht hat und außerdem für ein podcast interviewt wurde.
Es geht kurz gesagt um das extreme Stadt-Land-Gefälle, das es so sonst nirgends in Europa gibt. Und darum, was dies für ein Land bedeutet. Die Hälfte des Landes bewohnen nur 10 % der Bevölkerung - eine Bevölkerungsdichte fast wie am Nordpol. Die Leere auf dem Land sei gewissermaßen ein Bewusstseinszustand, meint Molino. Entsprechend krass sind die Spannungen. Und die verfolgt er praktisch durch das 20. Jahrhundert anhand von Berichten, Filmen, Literatur, vor allem die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, als die große Landflucht einsetzte. Die Ressentiments der Städter gegenüber den Landbewohnern sind heftig, der verächtliche Blick auf die sog. Rückständigkeit hat Tradition - wie umgekehrt der Hass auf die Städter und die Vorurteile wegen angeblichen Lugs und Trugs, dem verlotterten Lebensstil usw.
Molino beschreibt das alles sehr anregend und sehr bedacht, er versucht zu verstehen und wirbt um Verständnis. Nicht als Sachbuch, sondern als Essays, in die er zahlreiche Geschichten einbindet aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Lokalreporter in Saragossa.
Im Vorwort zu der deutschen Ausgabe seines Buches meint er fast entschuldigend, dass man Spanien so, wie er es erlebt hat, fast nicht antreffen wird. Dazu muss man sagen: Dieses Buch hat in Spanien eine enorme Wirkung entfaltet. Sein Titel „leeres Spanien“ wurde zum stehenden Begriff, es gab zahllose Diskussionen darüber und Parlamentsdebatten und neue Programme wurden in die Wege geleitet. Insgesamt hat sich die Stimmungslage gewandelt. Schon vor vielen Jahren wurde mit Tourismus versucht, das leere Land attraktiv zu machen - die Förderung des Camino und die vielen EU-Mittel, die hier geflossen sind, gehören dazu. Der Camino war/ist glücklicherweise erfolgreich - viele andere Versuche sind gescheitert. Doch man darf hoffen.
chrisbee
Unten ein link zur taz zu Rainer Wandler, dem Spanienkorrespondenten, der eine Besprechung veröffentlicht hat:
https://taz.de/Buch-ueber-Stadt-Land-Gefaelle/!5887934/
Empfehlenswert auch Paul Ingendaay von der FAZ, der eine sehr lange Rezension (frei einsehbar) veröffentlicht hat und außerdem für ein podcast interviewt wurde.
Es geht kurz gesagt um das extreme Stadt-Land-Gefälle, das es so sonst nirgends in Europa gibt. Und darum, was dies für ein Land bedeutet. Die Hälfte des Landes bewohnen nur 10 % der Bevölkerung - eine Bevölkerungsdichte fast wie am Nordpol. Die Leere auf dem Land sei gewissermaßen ein Bewusstseinszustand, meint Molino. Entsprechend krass sind die Spannungen. Und die verfolgt er praktisch durch das 20. Jahrhundert anhand von Berichten, Filmen, Literatur, vor allem die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, als die große Landflucht einsetzte. Die Ressentiments der Städter gegenüber den Landbewohnern sind heftig, der verächtliche Blick auf die sog. Rückständigkeit hat Tradition - wie umgekehrt der Hass auf die Städter und die Vorurteile wegen angeblichen Lugs und Trugs, dem verlotterten Lebensstil usw.
Molino beschreibt das alles sehr anregend und sehr bedacht, er versucht zu verstehen und wirbt um Verständnis. Nicht als Sachbuch, sondern als Essays, in die er zahlreiche Geschichten einbindet aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Lokalreporter in Saragossa.
Im Vorwort zu der deutschen Ausgabe seines Buches meint er fast entschuldigend, dass man Spanien so, wie er es erlebt hat, fast nicht antreffen wird. Dazu muss man sagen: Dieses Buch hat in Spanien eine enorme Wirkung entfaltet. Sein Titel „leeres Spanien“ wurde zum stehenden Begriff, es gab zahllose Diskussionen darüber und Parlamentsdebatten und neue Programme wurden in die Wege geleitet. Insgesamt hat sich die Stimmungslage gewandelt. Schon vor vielen Jahren wurde mit Tourismus versucht, das leere Land attraktiv zu machen - die Förderung des Camino und die vielen EU-Mittel, die hier geflossen sind, gehören dazu. Der Camino war/ist glücklicherweise erfolgreich - viele andere Versuche sind gescheitert. Doch man darf hoffen.
chrisbee