Gastfreundschaft auf dem Camino

Geschichten, Erlebnisse, Geselligkeit. Hier wird sich getroffen und über die Pilgerei gequatscht
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Frau Holle
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Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Frau Holle »

Hier mal ein Thread für die Seele 💞

Berichtet doch gern von Begegnungen und Erlebnissen, bei denen ihr Gastfreundschaft erlebt habt 🙂

Sei die freundliche Einladung zum Kaffee in den Garten, eine spontane Übernachtungsmöglichkeit oder eine Herberge, die die euch aufgrund der Gastfreundschaft besonders in Erinnerung geblieben.

Wir haben zusammen sicherlich so viele Erfahrungen gemacht, dass wir 100 Seiten füllen könnten.

Ich freue mich auf eure Berichte und Anekdoten 🙂
u l t r e i a
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Frau Holle
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Frau Holle »

Hier eines meiner Highlights, weil diese Menschen einfach wahnsinnig große Herzen haben:

Ankunft in Vandières.
Hier wollten wir jemanden fragen, ob wir in einem Garten unser Zelt aufstellen dürften, denn es gab keine Wälder um ein gutes Versteck zu finden.
Der Ort war aber nicht so grün wie erhofft und wir wollten gerade in die Karte schauen, da hielt ein Franzose auf dem Fahrrad an und fragte, ob wir etwas suchen würden.
Ich sagte ihm, dass wir einen Platz für unser Zelt suchen, einen Garten oder so und er lud uns direkt zu sich ein.
Und diese Begegnung war unser größtes Glück.

Er führte uns auf ein mächtiges Grundstück und gab seiner Frau Bescheid. Nachdem wir auf die Terrasse gesetzt wurden und Getränke vor uns hatten, fuhr der Mann wieder los, denn er war eigentlich auf dem Weg zu seinem Freund.
Seine Frau werkelte noch etwas im Garten herum und fragte uns dann, ob wir duschen wollen. Natürlich!
Sie führte uns auf den ausgebauten Dachboden in eine Art Gästewohnung, zeigte uns die Dusche und bot uns das Gästebett an. Einfach so!

Aber es sollte noch besser werden: Der Mann kam von seinem Freund zurück und hatte sowohl ihn und zwei weitere Freunde spontan eingeladen vorbeizukommen. Die drei Männer kamen kurz darauf, brachten Knabberkram mit, wir tranken einen Aperitif und bekamen eine Vorspeise serviert: Würstchenhäppchen mit orangenem Baguette (u.A. mit Oliven). Danach gab es gegrilltes Fleisch, Nudeln mit einer Champignonrahmsauce und Salat aus dem eigenen Garten. Und natürlich Baguette und Käse, die Klischees müssen schließlich bedient werden.
Als Nachtisch gab es Kirschen und Erdbeeren aus dem eigenen Garten, die so herrlich aussahen und lecker waren, dass uns fast die Augen ausfielen. Abschließend gab es noch Schokoladenkugeln und das WLAN-Passwort.
Und Wein. Viel Wein.
Und uns wurde immer wieder Bier angeboten, denn die Klischees über Deutsche wollten ja auch bedient werden.

Der Abend war herrlich. Diese Menschen waren so freundlich und haben so einen großartigen Aufenthalt beschert, dabei ahnten sie kurz vorher nicht einmal, dass wir kommen würden.
u l t r e i a
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Simsim
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Simsim »

Tolles Thema, vielen Dank!
Bin gespannt, was dazu geschrieben wird.
Selbst bin ich noch am Überlegen, welches der 3467 Beispiele ich raussuche, aus meiner Schatzkiste.....😊
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Frau Holle
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Frau Holle »

Simsim hat geschrieben: 9. Feb 2022, 20:44 Tolles Thema, vielen Dank!
Bin gespannt, was dazu geschrieben wird.
Selbst bin ich noch am Überlegen, welches der 3467 Beispiele ich raussuche, aus meiner Schatzkiste.....😊
Darauf habe ich gehofft. Du kannst ja immer wieder mal etwas erzählen 😊
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Matt Merchant
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Matt Merchant »

Danke, Birte,
ich liebe solche Storytelling-Threads, die einem das Gefühl geben, mit guten Freund*innen am Lagerfeuer zu sitzen und Anekdoten auszutauschen! Das ist seit den Lockdowns ein klein wenig ins Hintertreffen geraten!
Geben wird dem neues Feuer!! :geek:

Zu Deiner Frage fallen mir ebenfalls einige markante Erinnerungen ein. Wo soll ich anfangen? Beim namenlosen Familienvater in Boën-sur-Lignon, der mich auf eine Pfeffersalami und mehrere Biere spontan in sein Haus winkte (zum Leidwesen seiner lieben Gattin)? Oder der Camping-Bruder in Propières, der, als ich am 14. Juli (natürlich!) den französischen Nationalfeiertag verpennt hatte, also darob ausgehungert und ohne Nahrung herumsaß, seine Nudelterrine mit mir teilte und beim gemeinsamen Abendbrot berührende Geschichten über sein gescheitertes, ja: im Grunde nicht existentes Beziehungsleben beichtete...?
Sie seien alle gesegnet!

Aber einen besonderen Platz in meinem Herzen genießt der Bürgermeister des Dörfchens Dausse, M. Gilbert G.
2018 kam ich, auf der Podiensis-Variante zwischen Rocamadour und La Romieu [Fußnote: Die Via Podiensis ist einfach der schönste aller Jakobswege, dies nur für die Statistik! ;-) ] gegen 18 Uhr in diesem kultivierten Ort an und merkte, dass nichts mehr ging. So schleppte ich mich in den örtlichen Tante-Emma-Laden, kaufte eine Tüte Chili-Chips zwecks ritueller Erweckung von den Toten und fragte die Ladenbesitzerin ganz unverhohlen, wo ich denn bitte mein Zelt aufschlagen dürfe. Diese lächelte und sagte: "Da rufe ich doch gleich mal den Bürgermeister an." Und eine Viertelstunde später stand er dann forsch in der Tür: Monsieur Gilbert. Mittfünfziger, drahtig, Schnauzbart, Schalk im Nacken. Grinste und stellte mich konzise und geradezu militärisch vor eine Wahl: "Entweder schließe ich Ihnen jetzt unsere Sporthalle auf - - oder sie sind mein Gast, kriegen mein Gästezimmer und lernen meine Familie kennen!" Meine Wahl war eindeutig.
Eine Stunde später genoss ich eine Luxus-Dusche in seiner geschmackvollen Villa, lernte Gilberts bildschöne Gattin und zwei reizende, herumhüpfende Töchterchen kennen ("Qu'est-ce que c'est, ma coeur?", fragte Le Maire zärtlich, wenn sie nervten, das prägte sich mir ein!) - aber bis dahin hatte ich ja noch garnichts erlebt!! Denn irgendwan steckte Gilbert seinen Kopf durch die Tür und ließ mich wissen, dass in der Dämmerung auf dem Dorfplatz zufällig ein opulenter "Marché nocturne et gourmande" stattfinde: Eine abendliche kulinarische Dorfparty mit Musik, vielfältigen Essbuden, Tanz und viel Rotwein. Ich war herzlich eingeladen, er wolle mich gerne all seinen Freunden vorstellen. So verbrachte ich dann in Dausse den allerschönsten Abend meiner bisherigen Pilgerkarriere, im Kreis lieber, gastfreundlicher Dörfler*innnen, bei kulinarischen Spezialitäten, Kunst und Kultur, im Schatten der Dorfkirche im Sonnenuntergang. Kein Filmregisseur der Welt kann diese Stimmung einfangen!
Und wieder einmal durfte ich - als Mann mit sehr mäßigen Lernerfolgen in der französischen Sprache - das Mysterium erleben, nach einer Reihe erlesener Rotweingläser flüssig und sogar pointensicher einen ganzen Tisch in dieser wunderbaren Sprache unterhalten zu können... :D
Am Folgetag bestand der Bürgermeister noch darauf, mit mir zu frühstücken, bevor er mich mit Glück- und Segenswünschen auf den Weg schickte. Betonte, dass der Camino auch sein alter Traum sei, doch leider in seinem Leben noch nie funktioniert habe - und gab mir seine Adresse, falls mir auf den Wegen etwas zustoße. Winkte mir hinterher.
Es war mir eine Ehre, ihm nach Beendigung meines Weges eine Karte aus Santiago zu schreiben; eine freudige Pflicht, die ich für die wichtigsten Menschen vorbehalte, die mir den Weg geebnet haben.

Oft denke ich daran, dass sich unsere Großelterngeneration im Ersten Weltkrieg als 'Erbfeinde' noch gegenseitig erschossen hat: Beide Seiten den Namen Jesu Christi auf den Lippen, sterbend im Schatten des Kreuzes. Die Friedhöfe auf den französischen Caminos zeugen davon. Heute sind beide Kulturländer, Deutschland und Frankreich, wieder Freunde.
Wir können zusammen auf Dorfplätzen feiern und lachen. Gebe Gott, gebe menschliche Vernunft, dass das so bleiben mag!!
"Das Unscharfe um das Display herum, das ist der Camino.“ (frei nach M. M. Profitlich) :geek:
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Simsim
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Simsim »

Meine Güte, Matthias, jetzt bin ich aber total platt, die Tränen laufen mir runter und ich......whow.....ich kenne den unglaublichen Gilbert auch seit 2018, mich empfing er ebenso, und ich bin seither mit ihm in Kontakt geblieben.
Ich hatte ihn auch in der engsten Auswahl für meine allerfeinste Geschichte.
Durftest auch in der Suite parterre übernachten, mit eigenem Bad? Lehnte er auch bei Dir jegliches donativo protestierend ab? Ich lernte seine Familie leider nicht kennen, denn sie waren alle ausgeflogen, aber die Gespräche am Abend waren berührend und tiefgehend. Ein Mensch, der sich viele Fragen stellt, ohne es kompliziert zu machen.

Er rief mich im November an um mir zu berichten, dass er den gesamten Frühjahrslockdown 2021 zwischen Leben und Tod und ganz ohne Besuche (verboten wegen Corona) im Krankenhaus lag, weil er sehr schwer von seinem Balkon auf den Beton gestützt ist.
Er rappelt sich langsam wieder auf... sagte, es seien mehr als Wunder geschehen, denn "normalerweise" überlebt man so einen Sturz nicht und vor allem die völlige Verlassenheit ohne Besuche, wäre für ihn ein Gang durch das tiefste Dunkel gewesen.
Ich besuche ihn nächste Woche....
Danke für Dein Loblied auf den gastfreundlichsten Bürgermeister der Welt!
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Matt Merchant
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Matt Merchant »

Simsim hat geschrieben: 10. Feb 2022, 08:15 Durftest auch in der Suite parterre übernachten, mit eigenem Bad?
Ich besuche ihn nächste Woche....
Danke für Dein Loblied auf den gastfreundlichsten Bürgermeister der Welt!
Wow, jetzt bin wiederum ich geflasht, Simone... Du kennst Gilbert?? :shock:
So etwas bezeichne ich als Wunder des Alltags, die mir noch teurer sind als Brotvermehrungen und See-Wandel-Geschichten!

Ja, ich war auch Gast in besagter Suite parterre, inmitten seiner Gitarren. Bin tief berührt, von seinem Unfall zu hören - und möchte Dich bitten, dass Du ihn von mir grüßt. Wenn Du ihn auf jenen Matthias ansprichst, der am 17.7.2018 bei ihm zu Gast sein durfte. Wir führten in der Tat, trotz Sprachbarriere, tiefgründige Gespräche: Insbesondere an seine Berichte über den grausamen Grad an Mobbing und Rassismus, welchem der schwarzafrikanische Dorfpfarrer ausgesetzt war/ist. Aber das ist ein anderes Thema...
Ja: Grüße ihn bitte! Und motiviere ihn, seinen Traum zu leben und den Camino zu laufen!

Wären alle Politiker*innen der Welt so wie er - die Erde wäre ein besserer Ort.
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Simsim
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Simsim »

Und motiviere ihn, seinen Traum zu leben und den Camino zu laufen!
Das versuche ich seit drei Jahren.....aber jetzt ist es körperlich wirklich nicht mehr möglich....er ist froh, dass er überhaupt wieder aufrecht stehen kann.
Ich habe ihm heute morgen eine SMS geschrieben, in der ich ihm von Deinem enthusiastischen Bericht erzählt habe, um ihm eine Freude zu machen. Er erinnert sich ganz sicher!
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Pooh_der_baer
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Pooh_der_baer »

2014 Fußball-WM
Übernachtung in der Herberge in Mercadoiro ( im Nirgendwo).
Spiel Deutschland gegen USA
die Frage nach der Fernsehübertragung:
kein Fernseher vorhanden, aber ich kann dich in eine Bar fahren
er fuhr mich fast 10 Min
konnte die erst Halbzeit in einem span. Sender sehen, der dann auf das Parallelspiel umschwenkte, der Barbesitzer programmierte
seine Satelitenschüssel um, so daß ich das Spiel im ZDF fertig sehen konnte
wurde wieder abgeholt
mußte dem Fahrer das Cervesa richtig aufdrängen
Wer sich nicht erinnert, den bestraft die Zukunft.
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Simsim
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Simsim »

Eines regnerischen Oktobertages auf dem chemin de Rocamadour.
Ich näherte mich Tulle, einer Kleinstadt auf dieser Strecke. Die Etappe war lang und nasskalt gewesen und ich hatte zwei Tage vorher mit einer Angestellten des dortigen Bischofs ausgemacht, dass ich in den Gebäuden der Kirche irgendwo übernachten kann. Ich hatte betont, dass ich lediglich ein Dach über den Kopf brauche, Zugang zu den Toiletten und einen Wasserhahn, weiter nichts. Kein Bett, keine Dusche. Meine Luftmatratze tuts auch. Sie sagte zu, kein Problem. In Tulle gab es damals keine offizielle Pilgerunterkunft.
Kurz vor meiner Ankunft rief ich nochmal dort am, um zu fragen wo ich genau hin muss.
Da sagte mir die Dame am Telefon, während ich unter dem Poncho ko im Regen stand, dass es ihr leid tut, aber es ginge doch nicht, wegen der Versicherung.....
Ich schimpfte laut, dass das ja wohl nicht möglich sei, man hätte mich wenigstens vorher informieren können (ich hatte
natürlich meine Telefonnummer hinterlassen) und außerdem der Bischof....in einer Stadt am Jakobsweg.....u.s.w.... aber nix zu machen.
Es dämmerte schon und ich stand doof da.
Da kam ein Pärchen mit Hund des Wegs. Sie hatten mich schimpfen hören. Ich erklärte ihnen was los ist.
Da nahmen sie mich mit in ihr Haus, keine 100m weiter, ich bekam ein Zimmer, Dusche, Abendessen und viel Gelächter.
Absolut der Hammer, an dem Abend! Caminoengel!!
moviable
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von moviable »

Auf dem Weg nach Taizé. Am Abend vorher schlief ich in der Pilgerherberge von Fontaine. Ich bat Hervé, dem Hospitalero, mir für den nächsten Tag was zu empfehlen und auch anzurufen. Ich machte ihm klar, dass ich schon weitestgehend am Ende meines Geldes angelangt war, es war mein erstes Jahr in Frankreich, 3 Wochen mit einem Budget von 360 Euro von Strasbourg nach Cluny, echt knapp gewesen.

Er buchte mir ein Quartier in Chenôves, aber was für eins! Es war ein Chateau mit einem herrlichen Zimmer, der Monsieur war, so wie ich verstanden habe, ein Chevalier du saint sepulcre Jérusalem. Ich bekam ein tolles Abendessen, sogar mit Jakobsmuschel, und danach im Salon stilecht Tisane, eine heiße Tasse Tee. Ich war sehr froh, dass ich zuhause gute Tischmanieren beigebracht bekommen hatte. Wir haben uns intensiv unterhalten, es war großartig. Das Gästezimmer war mit Stilmöbeln edel eingerichtet. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin. Sie haben mich für diese Nacht eingeladen, und ich durfte wiederzukommen, ein Jahr später mit meiner Schwester.

Am nächsten Tag bin ich nach Taizé durchgelaufen und habe mein Restgeld für meine 2 Tage dort gelassen, bis auf den Fahrschein von Cluny zum Flughafen Saint Exupery Lyon.

BC
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Walter
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Walter »

Ich habe auf meinen Wegen sehr viel Gastfreundschaft und Hilfe erlebt.
Der liebe Gott lässt eben seine Pilger nicht auf der Straße stehen ...

Nur ein Beispiel - In einer kleinen Stadt, durch die die Via Regia führt war ich mit einer Mitpilgerin unterwegs. Die städtische Herberge wurde gerade von mehreren „Urlauber“, die im Kleinbus angereist sind, in Beschlag genommen. Das einzige Hotel vor Ort hatte Ruhetag und auch sonst war keine Pension oder ähnliches zu finden. Da sah ich eine Mann auf der Straße und habe in angesprochen und als er seine Frau fragte, ob sie wüsste, wo wir ein Bett finden könnten sagte diese „Die zwei schlafen heute Nacht bei uns“.
Es wurde ein später unterhaltsamer Abend und beim Frühstück war auf dem großen Tisch kein leerer Platz mehr zu finden. Zum Abschied gingen wir die Straße entlang und winkten immer wieder nach hinten bis wir aus dem Blickfeld kamen, wie bei alten Bekannten. :)
Auch dem Himmel Dankeschön ...

Gruß Walter
Cam. Frances, Cam. del Norte, Via Gebennensis, Via dela Plata, Via Podiensis, Via Regia, Jakobsweg Schweiz, Via Francigena, Olavsweg, Português, Ignatiusweg, Fränkisch Schwäbischer Jakobsweg, Münchner Jakobsweg, Via Scandinavica, Franziskusweg, Primitivo.
tsetse
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von tsetse »

Auch ich durfte auf meinen Wegen viel Gastfreundschaft erfahren und möchte euch gerne von einer für mich besonderen Begegnung erzählen, auch wenn es dabei um Gastfreundschaft im eher weit gesteckten Sinn geht.

Es war auf der Via Gebennensis, im atemberaubend schönen Département Haute-Savoie. Die Gîte tags zuvor war mit 10 Personen ausgebucht, man trifft also auch dort regelmäßig auf Pilger.
Ich lief an einem einsam gelegenen Haus vorbei, als ein Mann gerade die Haustüre öffnen wollte, um reinzugehen. Er entdeckte mich, drehte er sich erfreut um und kam laut redend auf mich zu.

Leider verstand ich ihn nicht. Vielleicht wegen meinem mangelnden Französisch, vielleicht wegen seiner offensichtlich von einem Schlaganfall herrührenden motorischen Eingeschränktheit. Er wiederholte immer wieder das Gesagte, nahm seine Hände zu Hilfe, aber ich kapierte einfach nicht, was er wollte.
Und im Grunde genommen war es mir auch egal. Ich war verschwitzt, mir war kalt, ich wollte weiter, Licht, Luft, Wind und Sonne genießen.
Irgendwann drehte er sich resigniert ab, und plötzlich sauste er humpelnd in den hinteren Teil seines Gartens, klaubte zwei Äpfel auf, reichte sie mir strahlend und redete wieder fröhlich auf mich ein. Die Äpfel packte ich in meinen Rucksack, bedankte mich und zog weiter.
Später habe ich sie mit Stumpf und Stiel aufgegessen. Sie waren nicht besonders schmackhaft, aber darauf kam es nicht an.

Noch heute, nach 10 Jahren, denke ich über diese Begegnung nach. Was wollte der Mann mir sagen, wen oder was hat er in mir gesehen, an was erinnerte ich ihn? Er wollte doch ganz offensichtlich genau mit mir reden, und nicht mit „irgendeinem“ Pilger.
Und warum habe ich mir nicht die Zeit genommen, es von ihm zu erfahren, warum habe das räumliche Vorwärtskommen über das menschliche Vorwärtszukommen gestellt?
Mich triggern kleine, verschrumpelte Äpfel, besonders die mit Hagelflecken. Sie lassen mich kurz innehalten und überlegen, was denn genau jetzt, im Moment, das Wesentliche im Leben ist.
Und vielleicht war genau das der Sinn dieser Begegnung?
There is a crack, a crack in everything
That′s how the light gets in

Leonard Cohen
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Simsim
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Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Simsim »

So eine schöne und inspirierende Geschichte!
Das passt auch zu Deinem Motto: "Du willst Deinen Weg finden? Verlasse Deinen Weg"
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Pooh_der_baer
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Wohnort: frankfurt/m

Re: Gastfreundschaft auf dem Camino

Beitrag von Pooh_der_baer »

Gastfreundschaft zeigt sich oft auch in Kleinigkeiten.
Letzten Aug zwischen Hechingen und Balingen auf der Via Beuronensis.
Heißer Tag und sehr,sehr schwül. Das Wasser lief einem am Körper nur herunter.
In einem Dorf kehrte eine Frau die Strasse und bot mir Wasser an. Kam dann aus dem
Haus mit eine Flasche Mineralwasser, ich trank und wir unterhielten uns eine Weile.
Wer sich nicht erinnert, den bestraft die Zukunft.
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