Wo waren wir damals stehengeblieben?
Ah, bei meinem Einstieg in die Tram nach der Übergabe des Reisepasses (weit sind wir also noch nicht gekommen).
Nachdem ich also in die historische Tram gestiegen war folgte eine schöne Fahrt, während der unser Tramführer mehrfach anhalten und Autos weghupen musste.
Zudem musste er einige Male Autospiegel einklappen und dann fuhren wir haarscharf an parkenden Autos vorbei. Ganz schön aufregend
Am Meer angekommen ging es also endlich los mit dem Laufen und ich startete fröhlich und motiviert in den ersten Pilgertag. Immerhin habe ich meinen Camino nicht nur mit einer guten Tat begonnen, sondern gleich mit zwei: Auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Kathedrale schenkte ich einem Obdachlosen mein Lunchpaket, das ich unerwarteterweise in der Herberge auf dem Tisch vorfand, aber nicht brauchte. Mit so viel gutem Karma kann doch nichts schiefgehen, oder?
Ich erfreute mich am Meer, schlenderte über einen Markt zwischen Palmen und Tupperware, sah viele Surfer und hunderte Menschen vor einer großen Bühne, die gemeinsam mit Animateuren Workouts durchführten, holte mir den ersten Stempel und bekam einen Button, der mir nicht gefiel und der trotzdem den kompletten Camino im Rucksackdeckelfach mitpilgern durfte.
Ich trank um 11.15 Uhr meine erste Pilgercola und bereute meine Unachtsamkeit. Das Einzige, das bei mir gegen Blasenbildung hilft ist die Schuhe regelmäßig nach 1-2 Stunden auszuziehen, meine Schwitzifüße trocknen zu lassen und ggf. die Socken zu tauschen. Mache ich das nicht bekomme ich Blasen. Ich rechnete kurz zurück: Ich bin ja erst gegen 09.30 Uhr richtig mit dem Laufen gestartet, passt also.
Aber vorher? Jaa... vorher bin ich um 05.35 Uhr in die Schuhe geschlüpft, zur Kathedrale gelaufen, über den Pilgerpass gestolpert, habe mir 70 Min für einen Fremden die Beine in den Bauch gestanden, bin Tram gefahren und das alles bei inzwischen 41 Grad in der Sonne. Ich habe den Füßen also erst nach 4,5 Stunden die Frischluft gezeigt, aber da war es schon zu spät und das Kommando Blasenstart wurde schon gegeben. Das fängt ja gut an.
Ich versorgte die Blase und lief weiter, macht eine Pause in einer netten Strandbar und sah Pilger und Pilgerinnen ohne Ende. Mit einigen jungen Frauen aus Deutschland kam ich ins Gespräch und lief ein Stückchen mit ihnen zusammen. Mit meiner wachsenden Blase am Fuß hatte ich jedoch vorerst genug Gesellschaft und pilgerte allein weiter. Am frühen Nachmittag kam in der Albergue in Labruge an und ärgerte mich ausgiebig über meine Füße.
Ich trage dieselben Schuhe, die ich seit Monaten ausschließlich trage, ich laufe zu Hause längere Strecken damit als heute. Sonne gibt es zu Hause manchmal auch. Aber nein, es ist als hätten die Füße einen kleinen integrierten Globus mit Iberische Halbinsel-Alarm, der die sofortige Blasenproduktion auslöst.
Hört ihr sie rufen?
„Wir sind auf der Halbinsel, wir pilgern! Startet das Blasenprogramm!“ Und dann ist da diese eine Stimme, die leise und zögernd einwirft:
„Aber Leute, wir mögen diese Schuhe, können wir dieses mal nicht einfach darauf verzi...“ „Nein! Wir sind in Portugal, das muss so!“
So saß ich also da, am ersten Abend, mit einer bereits unangenehm großen Blase direkt unter dem großen Zeh, damit ich sie auch ja nicht vernünftig abkleben kann. Zwischen sechs Erstpilgerinnen, mit denen ich Essen ging (furchtbar schlechtes Essen in einer völlig unterbesetzten Bar, die einzig geöffnete und entsprechend überfüllte Bar weit und breit) und die alle unversehrte Babyfüße vorzuweisen hatte. Super. Es kann ja nur besser werden.
Am nächsten Morgen sah die Blase aber schon etwas besser aus, sie ist über Nacht gut getrocknet. Und ich konnte etwas tun, das ich im letzten Jahr nicht tun konnte: An den Strand gehen, unter die Brücke kurz hinter Labruge, einem Highlight auf dem Camino, an dem viele vorbeilaufen, weil sie es nicht sehen. Dieser Strandabschnitt ist voller Kunst, hauptsächlich aus Naturmaterial. Malereien, Muschelketten, eine Schaukel, Mobiles, Steinformationen, einem kleinen Tipi, Liegestühlen etc., natürlich mit direktem Blick aufs Meer.
Im letzten Jahr konnte es nur vom Steg aus bestaunen, weil ich (auch da) eine schlimme Blase und Schmerzen hatte und nicht vom Steg in den Sand springen konnte. Deshalb genoss ich diesen Ort heute besonders lange und verweilte dort ohne auf die Zeit zu achten, schaukelte eine Weile mit Blick auf den bewegten Atlantik unter dem blauen Morgenhimmel. Ein perfekter Ort und ein perfekter Tag.
Vorbei an einigen Katzen, die sich gern streicheln ließen, über schöne Stege und Wege, lief ich nach Povoa de Varzim und kaufte mir an der Touristenpromenade in einem Ramschladen einfache, dünne Socken für 1,50€ und pilgerte fortan in diesen. Ich hatte nämlich den Verdacht, dass neben dem Iberische Halbinsel-Alarm in meinen Füßen noch etwas für meine Blasen verantwortlich sein könnte: Meine sauteuren Superduperdoppellagigen Blasenvermeidungsgshighendpilgersocken mit Caminomuschel drauf. Davon hatte ich extra vor dem Camino noch 2 Paar für über 50€ gekauft, da die anderen beiden Paare nicht gefunden habe. Und was soll ich sagen: Mit den Billosocken lief es viel besser!
So kam es, dass ich die teuren Socken den Rest des Weges im Rucksack trug, denn zum wegwerfen waren sie natürlich viel zu neuwertig und teuer. Nun habe ich also 4 Paar Socken für rund 100€ zu Hause liegen und trage sie ab und zu im Alltag, damit ich mich nicht so schlecht fühle so viel Geld für Socken ausgegeben zu haben, die bei mir nichts bringen
Alles in allem war dieser zweite Portugues ein sehr schöner Weg und ich bin froh dem Weg noch eine zweite Chance gegeben zu haben. Ich pilgerte an der Küste entlang nach Caminha und dann über Vila Nova de Cerveira nach Tui und weiter nach Santiago. Kein Espiritual, kein Boot, kein Vigo. Ich musste beim ersten Camino ja zwischendurch Bahnfahren und deshalb fehlte mir auf dem Weg ab Tui mancher Kilometer. Dieses mal konnte ich jeden Meter selbst laufen.
In Vila do Conde fand ich eine Freundin, die mit dem Outdoor in der Hand zielstrebig völlig falsch lief und der ich das auf deutsch zurief. Sie war beeindruckt, dass ich sie sofort als Deutsch erkannt hatte. Wir liefen einige Tage gemeinsam, verloren uns zwischendurch für wenige Tage aus den Augen und blieben danach bis zum Ende zusammen.
In Viana do Castelo marschierte ich in Crocs die Treppen zur Kirche hinauf und hinunter, weil ich dachte ich könne diese kleine Bahn nehmen, aber die fuhr natürlich nicht (sie ist wohl häufiger
außer als
in Betrieb). Ich genoss die Aussicht dort oben und besorgte mir auf den Treppen einen Fersensporn, den ich bis heut nicht los bin und der mich gern mal richtig quält.
Nach Caminha musste ich mich mit zusammengebissenen Zähnen hineinkämpfen und musste alle 500m eine Pause einlegen, weil ich fiese Blasen an beiden Füßen hatte. So war ich froh, dass ich es am nächsten Tag mit zwei verbundenen Füßen nicht so weit nach Vila Nova de Cerviera hatte (davor und danach ging es aber ganz gut mit den Blasen). Dort lief ich in die Albergue „Pilgrims Rest“ zu Wenke, die ich schon von meinem ersten Forentreffen 2012 kannte und die dort in ihrer Albergue lebte. Wir verbrachten einen wunderschönen Tag zusammen und weil es ein Buchungsmussverständnis gab wurde ein Bett zu viel reserviert und ich durfte in ein Doppelzimmer mit eigenem Bad umziehen- was für ein Luxus. Ich habe in der Nacht so gut geschlafen wie kaum sonst auf dem Camino. Die Herberge ist ein Traum! So schön und so eine wundervolle Stimmung, wirklich ein Ort zum Niederlassen.
Wenke empfahl mir die Herberge Casa Alternativo 9km hinter Tui und ich entschied morgens in der Herberge, nachdem ich aus dem Bett fiel und vor den Füßen eines Italieners landete, der gerade seine Sachen packte (deswegen schlafe ich nie oben wenn es kein Geländer gibt und es ist erstaunlich wie viele obere Betten es ohne Schutz gibt), dass ein 9km- Tag auch mal okay ist und dass es an meiner Ankunft in Santiago nichts ändert, weil sich nur das Etappenziel für heute änderte und nicht für die anderen Tage.
Eine Mitpilgerin, mit der ich mich in Vila Nova angefreundet hatte entschied sich nach reichlichem Zögern dafür mitzukommen. Ihr fiel es als Erstpilgerin noch sehr schwer nur 9km zu laufen, das fühlte sich falsch an. Aber nachdem ich ihr vorgerechnet habe, dass es an ihrer Planung für die letzten Tage und der Ankunft in Santiago auch nichts ändert (außer dass ihr schmerzendes Gelenk heute eine lange Pause bekommen würde) schloss sie sich mir an und wir spazierten gemeinsam in diese echt schöne und recht neue Herberge, die noch nicht ganz fertig war (inzwischen wurde echt viel ergänzt, die Bilder im Netz sehen schön aus). Ich hatte zwar eine etwas unschöne Begegnung mit dem Inhaber am Abend, aber ich hoffe, dass das einfach dem Alkohol und seinem Kiffen geschuldet war. Das Essen war super, aber hier kann man nur unterkommen, wenn man das Essen dazubucht. Wir haben 30€ gezahlt, hier kann also nicht jeder unterkommen, wir hatten aber alles in allem einen ganz tollen Aufenthalt.
In Tui starten die 100km- Portugues-Pilger und es wurde deutlich voller und es wurde zeitweise schwierig ein Bett zu bekommen, sodass unsere kleine Truppe sich manchmal aufteilen musste. Es waren erstaunlich viele Pilger und Pilgerinnen unterwegs, die ihre Reise über einen Anbieter gebucht haben (ich bin immer wieder überrascht wie leicht sich mit der Unsicherheit/ der Angst von Menschen Geld machen lässt). Man hat sie gut erkannt am Pilgerpass in der Werbehülle um den Hals
Wir trafen auch auf eine heitere portugiesische Gruppe, die nicht organisiert lief, die sich aber leuchtend orangene und gelbe T-Shirts bedrucken ließ, auf denen jeder seinen Namen und ein gemeinsames Logo hatte. Wir konnten uns aufgrund der Sprachbarriere nicht mit ihnen unterhalten, aber bei unserer ersten Begegnung kurz hinter Tui hatte Fatima Geburtstag(das verstanden wir dann doch) und wir schenkten ihr einen von diesen kleinen eingeschweißten Küchlein, die man in jeder Bar kaufen konnte und sie freute sich wahnsinnig. Wir begegneten dieser Gruppe oft und riefen immer die Namen, die wir ja auf den T- Shirts lesen konnten und uns irgendwann merkten. So gab es immer lauten Jubel wenn wir uns trafen, sie streichelten Scrat in meinem Rucksack und ein paar Tage später zeigte Fatima uns, dass sie unser (inzwischen reichlich in Mitleidenschaft gezogenes) Küchlein noch immer bei sich trug und noch nicht gegessen hatte. Solche Begegnungen liebe auf dem Camino.
In Redondela waren wir als Gruppe in einem abgelegenen, super urigem Restaurant an einem kleinen Wasserfall an runden Steintischen, es war sehr verwunschen dort und wunderschön. Ein Pilger, der allein war gesellte sich zu uns und er war sofort Teil der Gemeinschaft. Auch etwas, das ich am Caminio liebe.
Das Essen war herrlich lecker und ich konnte das erste mal eine Queimadazeremonie miterleben. Die Zeremomie war super, das Spiel mit dem Feuer fand ich toll, aber das Gemisch im Anschluss war wirklich fürchterlich
Wir haben trotzdem tapfer ausgetrunken, es war teuer genug.
In Caldas de Reis war ich wieder in meiner Lieblingsherberge Albor. Dort gibt es für die Überachtungspilger einen besonders schönen Wachsstempel, ein frisches Handtuch und eine tolle Hospitalera. Leider haben zwei äußerst unhöfliche und durchtraininierte spanische Muskelprotze, die ihre Koffer transportieren ließen ihre Handtücher einfach mitgehen lassen. Aber da hatten die die Rechnung ohne die Hospitalera gemacht, die ist nämlich vom Sterneichen Fuchs und dachte sich: Wenn die Jungs die Handtücher einfach einpacken und dann ohne Gepäck den Camino laufen, dann müssten sie ja in den Koffern sein, die sie für den Transport zurückgelassen haben. Aber weil sie diese natürlich nicht einfach öffnet hat sie sie einfach weggeräumt und dem Rucksacktransportmann nicht mitgegeben.
Angekommen in der nächsten Herberge standen die Jungs da und waren sauer, dass ihre Koffer fehlten. Sie fuhren dann zurück nach Caldas und randalierten, sodass die Polizei kommen musste, aber am Ende gewann natürlich die Herbergsmutter.
Kurz hinter Padron landeten wir in der Herberge Olagar de Jesus, die abends für alle die mögen ein gemeinsames Abendessen anbieten. Es nahmen fast alle Pilger teil und wir hatten einen wunderschönen Abend mit richtigem Caminoflair.
Mir ist immer wieder aufgefallen, dass es das auf dem Portugues weniger Herbergen gibt, in denen es gemeinsames Abendessen und gute Pilgergemeinschaft gibt (oder ich habe sie nicht gefunden).
Ich habe auf dem Portugues den „Spirit“ vermisst, den ich vom Frances kenne und liebe. Es waren sehr viele Pilger unterwegs, die erklärten, dass sie auf diesem Weg sind, weil er sich einfach gut wandern lassen soll. Die gute Infrastruktur, die günstigen Unterkünfte, man kommt von überall gut nach Porto. Es bietet sich an. Hier scheinen deutlich mehr Leute unterwegs zu sein, die hauptsächlich wandern wollten und das mit dem Pilgern war dann eben dabei*. Ich habe auch viele junge Deutsche getroffen und ich war als Merhfachpilgerin schon fast eine Exotin. Auf anderen Wegen treffe ich mehr Merhfachpilger. Aber das ist natürlich nur mein Eindruck von einem leeren und einem vollen Portugues. Es kann auch sein, dass andere Pilger es wieder ganz anders erleben.
Ich habe auf diesem Weg jedenfalls beschlossen, dass mein nächster Camino wieder der Frances sein wird. Dennoch fand ich den Weg schön und merke, dass ich auch schon wieder Lust hätte ihn nochmal zu gehen, ich weiß gar nicht genau warum. Vielleicht, weil ich noch nicht über Vigo gepilgert bin? Weil ich Porto mag? Nochmal zu Fernanda möchte, wenn andere Pilger dabei sind? Weil die Weihnachtszeit auf dem ersten Portugues so zauberhaft war? Weil ich den Atlantik liebe und die Holzstege zugleich hasse und liebe? Es ist vermutlich eine Mischung aus allem. Ich glaube, wenn ich den Weg nochmal gehen würde, dann mit einem Freund/ einer Freundin oder einer kleinen Forengruppe.
*Passend dazu noch eine Schlussanekdote:
Als wir in Santiago ankamen, die Kathedrale auf uns wirken ließen, die Urkunde abgeholt hatten und in der Kathdrale die Treppe zu Jakobus herunterschritten und andächtig neben den Betenden standen flüsterte eine der Pilgerinnen mir ins Ohr:
„Und wessen Grab ist das jetzt?!“