Warum der Weg der anderen manchmal stört

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
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Simsim
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Simsim »

Beim Aufeinandertreffen so unterschiedlicher Kulturen am Camino hab ich mit der Zeit folgendes einigermaßen kapiert:

Ja, es stört mich vieles am Verhalten anderer. Manches finde ich sogar extrem respektlos, unachtsam, gar völlig inakzeptabel.

Aber:
Die Wahrnehmung ist da tatsächlich je nach Kultur sehr verschieden.
Da wo ich koche vor Ärger, weil mich das Gequatsche im Schlafsaal am Schlaf hindert, fühlen sich andere damit erst wohl, geborgen und in Sicherheit. Je mehr "Leben" um sie herum, desto lieber.
Das ist nur ein Beispiel für viele Aufreg-Situationen.

Manche können unsere Empfindlichkeiten überhaupt nicht nachvollziehen. Und wir sind dann empört und denken "wie kann man nur!". Aber bin ich die Norm und das Zentrum des Interesses?
Vielleicht trete ich unbewusst mit manchem was für mich selbstverständlich ist, anderen total auf den Schlips?

Bei Franzosen weiß ich z.b., dass für sie direkte, persönliche Fragen unglaublich respektlos rüberkommen können und sie empören sich oft sehr darüber, ziehen sich ganz zurück und ich hab dann keine Ahnung warum und was los ist, denn für Deutsche ist das typisch und normal.
Auch nur ein Beispiel.

Also der Camino kann ein phantastisches Feld sein, um zu lernen, feste Vorstellungen wie etwas zu sein hat, ein Stück loszulassen.

Dann ist der kleine aber feine Unterschied, dass mich das Verhalten anderer zwar immer noch stört und das manchmal bis zum Anschlag, aber ohne mich zu empören über die bösen Ignoranten. Ich stelle dann einfach nur fest, dass meine Nerven vibrieren :D :evil: :roll: .

Und ok, es gibt Grenzen.
Müll in die Landschaft werfen oder Haustüren bekritzeln, Inventar beschädigen, Sachen stehlen, offene Aggressivität, penetrante Anmache u.s.w. fallen nicht in die Kategorie kulturelle Eigenheiten, die ich als solche erkennen und akzeptieren lernen kann. Wenn mir sowas begegnet, werde ich rabiat 😤😡
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Gertrudis
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Gertrudis »

Simsim hat geschrieben: 25. Jun 2025, 10:06
Müll in die Landschaft werfen .... fallen nicht in die Kategorie kulturelle Eigenheiten, die ich als solche erkennen und akzeptieren lernen kann. Wenn mir sowas begegnet, werde ich rabiat 😤😡
Lustig, dass Du das erwähnst, denn genau das ist es, was mich auf dem Weg durch den Süden Italiens gerade am meisten und ganz fürchterlich genervt hat! Wir mussten eine ziemlich lange Strecke an einer größeren Straße durch die apulische Ebene gehen, und was da an den Straßenrändern an Müll abgeladen war, kann man sich bei uns in Deutschland überhaupt nicht vorstellen. Es gab praktisch keine Stelle ohne Müll, und zwar alles, Flaschen und Verpackung natürlich, aber genau so alte Kleidung, volle, aufgeplatzte Säcke mit jeglichem Hausmüll, kaputte Geräte... Und als ich mit dem netten jungen Italiener in der Unterkunft darüber sprach, meine er, das sei halt einfach so und anders würde ich es in ganz Süditalien nicht finden können. Es regte ihn offenbar kein bisschen auf - also das gehört dann wohl auch zu den kulturellen Eigenheiten 🤪
(Ansonsten kann ich hier gar nicht viel beitragen, weil ich Massenveranstaltungen und Rummel per se nicht lange aushalte und deswegen inzwischen wenig frequentierte Wege bevorzuge, von denen es noch jede Menge gibt!)
Saarländerin
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Saarländerin »

Mich stört der Weg der anderen überhaupt nicht. Warum sollte er? Jeder geht seinen ureigenen Weg. Ich registriere zwar die anderen Pilger, aber ich gehe nicht mit ihnen zusammen, weil ihr Weg nicht mein Weg ist.
Für mich umfasst der Camino bzw. pilgern eine Zeitspanne, in der ich mich ausschließlich mit mir selbst beschäftige. Ich benötige eine vorausschauende Planung aus gesundheitlichen Gründen, bestehend aus Vorbuchungen von Einzelzimmern mit eigenem Bad. Aus Erfahrung kann ich die Länge meiner Etappen, die sehr unterschiedlich ausfallen, sehr genau einschätzen und auch Pausentage einplanen.
Das Gewicht meines Rucksacks lege ich mit 5 kg plus 2x500 ml Wasser fest und überschreite es auch nicht.
Ich starte in Pamplona, weil mir der Weg über die Pyrenäen gesundheitlich zu anstrengend erscheint. Pausentage in Logrono, Burgos, Leon und Ponferrada sind das iTüpfelchen. Ohne Besichtigungen der Museen und Ausstellungen, Märkte und unverwechselbaren Geschäften kein Camino. Natürlich auch Kathedralen, kleine Kirchen, Klöster usw. sind für mich unvergessliche Gänsehautmomente.
Auf das Ausstellen der Compostela verzichte ich schon seit Jahren. Warum sollte ich mir solch ein Stück Papier ausstellen lassen? Meine Caminos sind in meinem Herzen, ich muss mich niemandem beweisen. Die Stempel allerdings sammele ich fleißig. Überall, wo es mir gefällt, lasse ich mir einen Stempel geben.
Ich „pilgere“ immer alleine und durch die unterschiedlichen Etappenlängen erklärt sich das sowieso von selbst. 6 Wochen lang bin ich mein einziger Freund und das fühlt sich für mich sehr gut an. Mich lenkt kein Gespräch, keine Musik, kein Telefonieren von meinem Weg ab. Ich sehe jede Pflanze, jede Schnecke, jeden Schmetterling, umarme viele alte Bäume an denen ich so oft vorbeigegangen bin. Ich sauge die Schönheit der Landschaft bei jedem Wetter und die Freundlichkeit seiner Bewohner in mir auf. So kann ich all meine vermeintlichen Probleme, die sich im Laufe des Jahres angesammelt haben, ordnen und lösen.
Ich versuche mich so unauffällig wie möglich durch die spanischen Dörfer und Städte zu bewegen, ohne störend zu wirken, mit größter Rücksichtnahme auf die Bewohner. Für Bewohner weiche ich auf dem Gehweg aus, habe eine Mülltüte bereit, einen Gummistopfen für meinen Holzstock. Ich bin Gast in dem Land und versuche mich auch so zu verhalten. Ich meckere und beschwere mich nicht über Dinge, die ich nicht ändern kann. Buenos días und ein freundliches Lächeln gehören für mich beim Betreten der Bar genauso dazu wie beim Begegnen auf der Straße. Jeden Morgen starte ich meinen Versuch: Ich grüße die ersten 5 Pilger, denen ich begegne mit einem Buen Camino und freundlichem Lächeln. Sollte nur einer Zurückgrüßen oder wenigstens lächeln, grüße ich für diesen Tag alle Pilger. Ergebnis: Ich bevorzuge das Grüßen von Bewohnern. Die erwidern immer. Mein Spanisch beschränkt sich auf den Basiswortschatz, aber kein Grund zum Verzweifeln. Es fügt sich immer alles. In fast jedem Ort gibt es Bars in der zweiten Reihe ohne Warteschlangen für die Toiletten, perfekten Cortado und einen Platz an der Theke. Auf dem Camino bin ich richtig glücklich, dass ich der englischen Sprache nicht mächtig bin.
Mein erster Camino 2013 ist mir noch in guter Erinnerung. Das Verhalten der Menschen, die den Camino laufen, hat sich sehr stark verändert.
Wenn Telefonate mit Lautsprecher, laute Diskussionen, abspielen von Videos inzwischen zum Alltag in einer Kirche gehören, ok. Ich kann dann einfach meine Besichtigung auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Der Besuch der Kathedrale in Santiago steht bei mir schon seit 2022 nicht mehr zur Debatte. Mein Opa war Kirchenschweizer, den Zirkus in Santiago tue ich mir nicht mehr an.
Für mich ist allein einen Camino pilgern das größte Geschenk, das meine Familie mir machen konnte und ich genieße jede Sekunde und jeden Millimeter. Deshalb übertrage ich all das Drumherum, welches ich als störend ansehe, einfach nicht auf mich.
In diesem Sinne Buen Camino
CF Ponferrada-Santiago April 2013
CF Sarria-Santiago Oktober 2013
CF Sarria-Santiago April 2022
Perl-Dieuloard Mai 2022
CF Pamplona-Santiago 2023, 2024 und 2025
calixtinusII
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von calixtinusII »

Prinzipiell ist schon alles gesagt, zumal das Thema im Laufe der Zeit immer `mal wieder diskutiert wird; und das ist auch richtig so. Ich möchte euch mit den „Erzählungen, Gedichte, Essays und Erinnerungen“ von fünfundzwanzig spanischen Autoren des Zeitraumes 2010/2017 bekanntmachen; allesamt Träger des El Premio Castilla y León de las Letras. Erstausgabe 2010, deutsche Übersetzung Verlag Ludwig, Kiel 2017.

Das Jakobsland – die autonome Region Kastilien-Leon – macht mehr als die Hälfte des 800 km langen Pilgerwegs aus. Die Autoren begeben sich auf Spurensuche nach den Ursprüngen der Pilgerfahrt. Kindheitserinnerungen wie Landeskundliches und Sprachgeschichtliches fließen in die einzelnen Erzählungen ein, wobei der Apostel Jakobus wie Santiago de Compostela eine dominierende Rolle einnehmen – der aktuellen Säkularisierung und dem Massentourismus zum Trotz.

Ich beschränke mich auf die Erzählung von J. A. Gonzales Sainz. Sie hat mich besonders angesprochen. Zwei Protagonisten, unterschiedlicher sie nicht sein können, kommen vor der Kirche von San Juan de Ortega ins Gespräch. Sie eine Top-Managerin, er ein Angestellter, ein Durchschnittsbürger. Ohne der Geschichte vorgreifen zu wollen, sie lohnt es, in Gänze gelesen zu werden, thematisiert sie doch sehr das von Anton Pombo angesprochene Faszinosum (auf meiner Webseite ist mehr über seinen Aufsatz aus 2021 zu lesen), dass back home erfolgreiche Manager sich auf dem Camino wohlfühlen, dort auch ihre Probleme reflektieren.

Bewegend wie Gonzalez Sainz die Geschichte einläutet. 23. September. Tag der Vollkommenheit, der Reinheit, mit der der Lichtstrahl am Morgen die Tagundnachtgleiche durch das Fenster der Kirche fallen läßt auf „Mariä Verkündigung“ mit Gabriel, dem Verkündigungsengel: Begegnung und Erfüllung. Schwärmend fügt er hinzu, dass Hände wie Gesichter eine unglaubliche Ausdruckskraft besäßen: Verkündigung der Vollkommenheit und Verheißung einer denkwürdigen Gabe. Unglaublich toll formuliert. Ein außergewöhnlicher Schriftsteller halt.

Eine äußerst erfolgreiche und kühl bis kalt agierende Managerin verliebt sich geradezu in die Einfachheit des Pilgerns auf dem Camino Frances. “In den einfachsten Herbergen“, fuhr sie jetzt mit einer merkwürdigen Fröhlichkeit fort, „stellt man dir eine Pritsche zur Verfügung.“ Freundlich aber bestimmt werde sie zugewiesen, ohne Widerspruch akzeptiert. Man dürfe Waschräume und Toiletten benutzen; eine Nacht Unterschlupf, Schutz vor Kälte oder Hitze, geschundene Füße pflegen, morgens ein kleines Frühstück zu sich nehmen, danach wieder der gleiche Trott, das gleiche Ritual: sich wieder auf den Weg machen, Ruhe finden, wohltuende Ruhe für die im Leben gebeutelten – auf tausenderlei Arten – verlorenen Seelen. Wer mag, findet Gesellschaft, findet Stille, wie auf dem Weitermarsch am nächsten Tag.

„Wissen Sie, mein Leben lang erreiche ich alles, indem ich es befehle, klipp und klar, denn ich verfüge über genügend Mittel und Unmengen von Mitarbeitern, und die Ziele, die ich verfolge, zeigen mir, wenn sie erreicht sind, neue auf. Doch hier suche ich genau das Gegenteil: über nichts zu verfügen, nicht zu befehlen, ohne Abhängigkeiten oder Hast, ohne Überfluss, Berechnung, Interessen oder Luxus.“ –
Traum? Ja. Wunschvorstellung? Ja. Realität? Ja, manchmal.
calixtinusII - https://jakobspilger-westwaerts.info/de ... -santiago/
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FredMario
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von FredMario »

Gertrudis hat geschrieben: 25. Jun 2025, 13:35 Wir mussten eine ziemlich lange Strecke an einer größeren Straße durch die apulische Ebene gehen, und was da an den Straßenrändern an Müll abgeladen war, kann man sich bei uns in Deutschland überhaupt nicht vorstellen. Es gab praktisch keine Stelle ohne Müll, und zwar alles, Flaschen und Verpackung natürlich, aber genau so alte Kleidung, volle, aufgeplatzte Säcke mit jeglichem Hausmüll, kaputte Geräte...
Diese Zustände kenne ich auch. Manchmal war ich auch froh darüber. Echt. Wenn nach Stunden noch immer kein Tagesziel in Sicht ist, aber langsam der Müll links und rechts anfängt. Dann weiß ich, dass es nicht mehr weit sein kann.

Meine Theorie ist, dass diese Abladerei von Müll organisiert ist. Irgend jemand bekommt Geld fürs Mülleinsammeln in einer Gemeinde und spart sich hinterher die Gebühren der Müllhalde. Anders kann ich mir die Zusammensetzung des Mülls nicht erklären. Ich bin natürlich weit davon entfernt, das M-Wort zu erwähnen, obwohl es durch Sizilien besonders schlimm war...

FredMario
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Gertrudis
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Gertrudis »

Interessante Theorie, Mario...
Hab gerade ein bisschen gesucht und einen netten Blogbeitrag gesehen: https://www.leben-pur.ch/italien-sizili ... llproblem/
Interessant finde ich auch diese Plastikbecher - Manie, zu jedem Espresso gibt's ein Schlückchen Wasser in einem Plastikbecherlein.
Lustigerweise gibt es ja in jeder Herberge, an jedem Dorfplatz ein ausgefuchstes Mülltrennungssystem für Papier, Glas, Plastik, Indifferentiato... aber letztlich ist dann doch alles für letzteres 🙄 und landet irgendwo...
Vielleicht jetzt ein bisschen Off topic, aber nicht ganz, denn das nervt mich eben am sonst so schönen Italien
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Simsim
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Simsim »

Gertrudis hat geschrieben: 25. Jun 2025, 23:08 Vielleicht jetzt ein bisschen Off topic, aber nicht ganz, denn das nervt mich eben am sonst so schönen Italien
Naja, es ist schon etwas anderes, ob ich mich an Missständen in dem Land in dem ich unterwegs bin reibe, oder am Verhalten meiner Mitpilger. Auf dem Camino sehe ich uns alle als gleichberechtigt, und die Kulturen müssen/dürfen lernen miteinander auszukommen. Wenn ich also in Italien einen italienischen Pilger sähe, der seinen Müll in die Landschaft schmeißt, würde ich ihn darauf sehr deutlich ansprechen, egal ob das in seiner Kultur als normal gilt, oder nicht.
hobo
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von hobo »

In Deutschland wird auch sehr viel Müll in der Landschaft entsorgt. Man sieht das nur weniger, weil das Grobe von den Gemeinden eingesammelt wird, das Kleinzeug von den Mähmaschienen zerkleinert wird, wir viel Grünzeugs haben, welches den Müll unsichtbar machen, wir zu Hause selten an Straßen entlang laufen. Außerdem wird der Müll bei uns großflächiger in der Landschaft verteilt. An Feldwegen, in den Weinbergen, im Wald ... In anderen Ländern, ich habe das auf Sardinien so gesehen, ist links und rechts der Straßen fast alles abgesperrtes Privatgelände. Da bleibt nur der Straßenrand und Parkbuchten für den Müll.
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Sebas
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Sebas »

moviable hat geschrieben: 25. Jun 2025, 00:22
Sebas hat geschrieben: 24. Jun 2025, 20:42 ich quäle mich mit Gepäck bei jedem Wetter zu Fuß von Herberge zu Herberge und mache mir Sorgen darüber, dass ich in der Herberge ankomme und dort bereits „gepäcklose“ Menschen „mein“ Bett abbekommen haben.
Vielleicht ist das der Grund, das Quälen, für diese Gedanken. Quäl Dich doch einfach nicht. Denn das Gequälte sucht im Normalfall nach Ausgleich, nach belohnender Gerechtigkeit. Wer sich mehr anstrengt, müsste doch eigentlich das Bessere bekommen, die größere Belohnung. Frei nach dem Motto: Sin dolor no hay gloria! Doch so funktioniert die Welt nicht. Mach Dir 'nen netten und Du hast wahrscheinlich andere Gedanken. Vielleicht sogar ein "annoyingly happy".

Mir sagte mal eine Russin auf dem Camino Aragones nach einem für mich sehr anstrengenden Camino Catalan: No me muero por el camino / ich bring mich für den Camino nicht um. Das versuche ich auch nicht mehr zu machen, obwohl manche Etappen manchmal schlecht anders einzuteilen sind.

Daher ist deren Bett halt echt nicht "Dein" Bett.
moviable, mit deiner Einschätzung hast du vermutlich (zumindest teilweise) recht - für mich ganz persönlich gehört es aber auch zum Camino, körperlich mal an die Grenze zu gehen und diese auch zu verschieben („ultreia et suseia“, ohne dass ich dies anfangs bewusst gemacht hätte). Unterbewusst spielt die von dir angesprochene belohnende Gerechtigkeit da bestimmt dann eine Rolle.
Mir „nen netten“ zu machen, gelingt mir leider nur schwer, da schiebt mich irgendwas dann doch wieder weiter und weiter, aber auch das macht mich glücklich, beflügelt meine Gedanken. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, neben (annoyingly) happy auch noch (extremely) tolerant zu sein und den aufkommenden Ärger wegzulächeln ;)
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https://caminosebas.wordpress.com/ (Kurzgeschichten und Gedichte zum Camino, Camino-Fragekärtchen für jeden Tag auf dem Jakobsweg)
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Sebas
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Sebas »

calixtinusII hat geschrieben: 25. Jun 2025, 17:16 Prinzipiell ist schon alles gesagt, zumal das Thema im Laufe der Zeit immer `mal wieder diskutiert wird; und das ist auch richtig so. Ich möchte euch mit den „Erzählungen, Gedichte, Essays und Erinnerungen“ von fünfundzwanzig spanischen Autoren des Zeitraumes 2010/2017 bekanntmachen; allesamt Träger des El Premio Castilla y León de las Letras. Erstausgabe 2010, deutsche Übersetzung Verlag Ludwig, Kiel 2017.
Das klingt sehr interessant - leider scheint das Buch sowohl beim Verlag als auch den üblichen Buchläden ausverkauft zu sein…
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Steven
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Steven »

Ja, die „Erzählungen, Gedichte, Essays und Erinnerungen“ interessieren mich ebenfalls sehr, insofern habe ich mir die Unibibs angesehen und entdeckt, dass bei mir in der Nähe das Buch (kostenfrei) ausleihbar ist. Bei uns in München ist die Staatsbib und eine Unibib kostenfrei und hat eine überwaltigende Auswahl an Büchern, die meist auch als Hausleihe verfügbar sind.

Folgende Bibs haben das Buch verfügbar als Ausleihe:

https://search.worldcat.org/de/title/1188049510

Grüße, Steven
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Sebas
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Sebas »

Steven hat geschrieben: 27. Jun 2025, 13:26 Ja, die „Erzählungen, Gedichte, Essays und Erinnerungen“ interessieren mich ebenfalls sehr, insofern habe ich mir die Unibibs angesehen und entdeckt, dass bei mir in der Nähe das Buch (kostenfrei) ausleihbar ist. Bei uns in München ist die Staatsbib und eine Unibib kostenfrei und hat eine überwaltigende Auswahl an Büchern, die meist auch als Hausleihe verfügbar sind.

Folgende Bibs haben das Buch verfügbar als Ausleihe:

https://search.worldcat.org/de/title/1188049510

Grüße, Steven
Super, vielen Dank, Steven! Auf die Idee mit den Unibibs bin ich gar nicht gekommen und habe mit deinem Link sofort was gefunden - ¡muchas gracias!
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Wandernde
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Wandernde »

Der klassische Fall von "Wer hat's am Schwersten", oder? Irgendwie ist das ja oft so, wenn man sich mit Leuten unterhält. Ach Gott, alle so gestresst, alle so beschäftigt, der Tag hat nie genug Stunden... wenn man sagt: Nö, bin nicht gestresst, bin eigentlich sehr entspannt, ist das fast schon verdächtig.
Wie Leute, die Teilzeit arbeiten, ohne die so gewonnene Zeit wieder mit Arbeit (Kinder, Pflege, Nebenberuf) zu füllen... unglaublich, wie sich Leute da reinsteigern können in ihre Wut auf "faule Teilzeitarbeiter".
Beim Pilgern scheint mir das manchmal ähnlich. Wer geht die längsten Etappen? Wer trägt alles selber und organisiert selber? Oder wer "lässt andere machen", geht nur kurze Etappen... lustigerweise gehts nicht drum, wer den schwersten Rucksack hat, sondern wer mit dem Allerwenigsten auskommt.

Naja, wers braucht.
Chi viaggia ha scelto come mestiere quello del vento

Mehr über mich und meine Touren auch auf meiner Seite.

Mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel - Auf der Via Lauretana nach Loreto - Via Romea del Chianti
Schildkroete
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von Schildkroete »

Auf früheren Wegen hat ehrlich einiges von schon genannten Sachen gestört und fiel auch schwer zu akzeptieren, teilweise mit Diskussionen usw. Heute fällt es leichter zu akzeptieren dass der Weg so ist wie er halt ist, und auch dass ich nicht alles mögen muss, aber mich ja schließlich auch mal wieder für's Pilgern entschieden habe. Das ist der Weg. Sehe persönlich auch mehr Akzeptanz von anderen Pilgern und auch Anwohnern in Richtung meines Pilgerstils, wenn ich selber geschmeidig bleibe. Muss dazusagen, biwakiere meistens irgendwie wo's grad passt :)
Die Dinge wie Müll hinwerfen, Gewalt, Diebstahl etcs sind glasklar nicht tolerierbar. Mit Pilgerbezug finde ich eine Sache nach wie vor unterste Kanone und zwar das Cheaten, um einen Platz zu bekommen wo ausdrücklich nur alles gehende Pilger und mit allem Gepäck auf dem Rücken aufgenommen werden. Für den Tag wo man etwas oder sich selbst transportiert kann man doch bitte privat unterkommen, man findet doch immer was?

Grüße aus dem Célé Tal :)
die Schildkröte
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chrisbee
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Re: Warum der Weg der anderen manchmal stört

Beitrag von chrisbee »

Ich vermute mal: wer ohnehin Urlaubspilgern praktiziert, dürfte kaum Probleme mit den Vorbuchungen, der Fliegerei, den Menschenmassen, den Koffern und dem Trägerservice „der Anderen“ haben. Vielleicht stellt sich manchmal ein leichtes Unwohlsein ein, wenn es zu dick kommt (cheaten etc), aber für einen selbst muss ja auch alles nach Planung klappen. Und warum sollte man sich „quälen“, wenn man es auch bequem haben kann? Gern wird hier im Forum betont, dass jeder seinen „eigenen Weg“ macht. Also, so schlussfolgere ich, gilt Nicht-Kritik als Toleranzbeweis.

Was mich selbst betrifft: Ich schätze die Infrastruktur auf den Caminos – andernfalls: wie sonst käme ich in meinem Alter und Gesundheitszustand noch mit Rucksack und allein nach Portugal...

Würde ich allerdings so denken wie vor einigen Jahrzehnten, würde es mich angesichts der Touristifizierung gruseln. Wer sich erinnert, weiß, dass es sehr vielen Menschen (einschließlich meiner Person) damals eher um eine Alternative und einen Gegenentwurf zur touristischen Normalität ging. Im Vordergrund standen der Weg selbst, die Begegnungen, der Flow beim Gehen, die Entschleunigung, das Abspecken und die Reduktion, ein anderes (und häufig spirituelles) Erleben und Wahrnehmen usw. Wegen der Zeit, die man sich nehmen wollte, verbanden viele den Camino mit einem Sabbatical oder kündigten sogar ihre Arbeit.

Ich denke, dass es auch heute noch vergleichbare Haltungen gibt, aber sie sind vereinzelt. Aber vor allem: So schön der Erfolg des Camino ist (vor allem für die Region), seine Kommerzialisierung hat auch viele Kollateralschäden verursacht. Man sollte ruhig von Verlusten sprechen, die viele „Gestrige“ zu beklagen haben. Und die das auch tun, wenn sie das Caminoversprechen und das Flair nicht mehr finden und vor allem nicht alles gut finden, was sich heute selbst gut findet.

Allerdings fällt es mir schwer, Abneigungen und Gemeckere unterwegs jetzt etwa mit Neid, Missgunst u.a. auf Urlaubspilger in Verbindung zu bringen. Ich würde lieber vorschlagen, auch mal die Entwertungen und Verluste mit in Rechnung zu stellen, die Stress machen und verarbeitet werden wollen.

Zumal, zum Stichwort Neid: Ich wäre mir gar nicht so sicher, wer da eigentlich auf wen neidisch sein sollte und ob es nicht ganz anders ist als gedacht und die Neider unter den Urlaubspilgern zu finden sind. Keine Ahnung.

Gruß chrisbee
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