Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Pilgerwege in Frankreich
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Steven
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Steven »

Tag 12 | Saint-Pé-d'Ardet nach Montsérié | Vom Regentanz zur Freiheit und als Belohnung gibt's die Lebensfreude | ~ 37 km

Ich wache gegen 5:30 Uhr auf und höre den Regen auf das Dach des Campers prasseln. Da mir BC noch sein "legendäres" irisches Frühstück unter der Prämisse, dass er früh wach sei, zugesichert hat, schaue ich irgendwann aus dem Fenster und sehe bereits Licht in der kleinen Küche. So on, ich genieße also am Frühen Morgen nach langer Zeit ein echtes irisches Frühstück. :mrgreen: Wie das irische Frühstück in etwa aussah und schmeckte, überlasse ich der Vorstellungskraft der Leser.

Wir haben wie schon am Vorabend die Welt aufgeteilt und es ist mir schwergefallen mich zu verabschieden. Engel B. schlief noch, als ich das Haus verlassen habe, doch hoppla, auf einmal öffnete sich oben ein Fenster und Engel B. rief herunter, dass Sie mick nach Saint-Bertrand-de-Comminges fahren würde, da das Wetter so nasskalt sei und der Weg glitschig. Ich lehne dankend ab und BC meint nur lächelnd old school - only walking, no shortcuts. Ich habe die beiden Menschen echt lieb gewonnen. Danke schön. In meinem Tagebuch steht: ... Das Gefühl, ich bin willkommen.

Eine halbe Stunde später gießt es aus allen Wolken und ich stelle mich in einem Dorf namens Genos unter und bereite mir mit dem Wasserkocher einen heißen Kaffee zu. Wird schon wieder aufklaren. Denkste, es hört nicht auf und ich stampfe irgendwann mit meinem bunten kleinen Regenschirm durch dichte Wälder und gehe hoch auf einen Pass in 900 m Höhe in mittlerweile strömenden Regen. Noch mehr machen mir die glitschigen Steine zu schaffen und ich verlaufe mich und bin zeitweise klitschnass im Unterholz und so richtig geile ist das nicht. Da denke ich an Engel B. ein warmes Auto und eine gemütliche Fahrt. Hmm, vielleicht war das doch ein Fehler das Angebot mit der Autofahrt auszuschlagen. Als nun auch Donner anfängt und die Kalksteine immer größer und hinderlicher werden und ich irgendwie nix mehr richtig sehe... ja, da bin ich dann etwas genervt... Ich habe auch keinen Bock mehr mit dem Regenschirm durch das Gestrüpp zu watscheln, sondern gehe jetzt einfach durch ohne Rücksicht auf Verluste. Was soll schon Regen, Zweckoptimus macht sich gemischt mit Wut breit. Früher war ich im Fritz Walter - Wetter recht gut, daran erinnere ich mich noch. Na immerhin, und vielleicht hat's auch oben jemand mitbekommen, überstrapazieren sollte ich Jakobus nicht und doch ist er halt was er ist: Unser Begleiter und Freund -immer.

Es ist echt so: Mitten auf dem Pass im Wald ist eine Schutzhütte - Refuge Saint Martin - Juhuuu, wie geil ist das denn! Die einzige Schutzhütte, die ich auf dem GR 78 gesehen habe, jetzt bei dem *ack-Wetter. Es gibt Wunder definitiv. Ich bin völlig durchnässt und ich habe keinen Poncho, weil die mich mittlerweile nur noch nerven und die Klamotten in der Regel schnell trocknen und so 'n Schirm kann schon viel abhalten.

Das Refuge ist relativ groß, Bänke, ein Kamin (der logischerweise erst beheizt werden müsste), ein Dachgeschoss. In mir kommt der Impuls hoch mich auszuziehen und ich habe richtig Lust auf Musik, ich will tanzen und ich starte meine Camino Playlist und tanze nackt wie ein Derwisch und die Grenzen zwischen irdischer & göttlicher Welt verschwimmen. Ich muss auch ziemlich laut lachen beim Tanzen und ich weiß nicht mehr genau wie lange ich in dieser Hütte rumgezappelt und es war sehr befreiend. Später habe ich mir einen Kaffee gemacht und konnte das Gefühl der Entspannung richtig genießen.

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Mir fällt dazu Karoline von Günderrode ein, sie schrieb unter dem Pseudonym Tian folgendes Gedicht, wenn wundert es das es zu Zeiten der Romantik verfasst wurde:

„In die heitre freie Bläue
In die unbegränzte Weite
Will ich wandeln, will ich wallen
Nichts soll meine Schritte fesseln.

Leichte Bande sind mir Ketten
Und die Heimat wird zum Kerker.
Darum fort und fort ins Weite
Aus dem engen dumpfen Leben.“

Das Wetter klart auf und ich durchquere ein Dorf und freue mich auf die frühromanische Basilika Saint-Just-de-Valcabrère. Da ich gut in der Zeit bin, besichtige ich diese und zahle an einem Eintrittshäuschen und werde von der Dame dort gefragt ob ich auf dem Jakobsweg unterwegs sei. Aha, sie hat in Deutschland gelebt und studiert und spricht supergut unsere Sprache. Die Kirche an sich ist phantastasich - römische Spolien aus dem 4. Jahrhundert sind verbaut. Eine römische Theatermaske und mich interessieren die ausgestellten Jakobussymbole, die bei Grabungen entdeckt wurden (Muscheln ...). Das war wohl die Bischofskirche, bevor im benachbarten Comminges eine neue Bischofskirche errichtet. Siehe die imposante Kirche im Hintergrund.

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Die Kathedrale von Saint-Bertrand-de-Comminges habe ich mir irgendwie anders vorgestellt und obwohl ich diese besichtigte ging mir die Basilika in Valcabrère nicht aus dem Kopf. Erwartung, Erfüllung, Nicht-Erfüllung. Jedenfalls ziemlich viel Kultur & Geschichte für diese Etappe.

Mein Ziel ist noch nicht erreicht, ich habe Montsérié ins Auge gefasst und das sind noch 15-20 km. Gite Mont Pelat und ich werde müder und müder, der Weg zieht sich und ich nehme ein kleine Abkürzung entlang der einer Strasse (an der kaum Autos fahren) und gehe und gehe. Da ich vor der Basilika in Loures-Barousse in einem Supermarkt war, habe ich was zum Beißen im Rucksack und lege mich bei irgendeinem Touridings in der Pampa auf den überdachten Vorplatz, genieße mein Essen und döse eine halbe Stunde rum. Als ich endlich an der Gite ankomme bin ich fix & foxi und froh endlich da zu sein. Ein Pilgerhaus im Nirgendwo, mitten im Feld, gepflegt, mit Küche & allem was benötigt wird. Donativo. Ein frz. Pärchen hat gekocht und ich bekomme Nudeln ab und erfreue mich an der netten Gesellschaft. Geschafft.

Nachtgedanken: Nackt und erschöpft in ner Hütte tanzen ist pure Reinigung, Steven Derwisch kann noch mit der Hüfte wackeln; wie wichtig das Loslassen von Ballast ist; alles kann nix muss; Leben und leben lassen, danke für das Pilgerhaus hier, ich feier die Pilgervereinigungen auf dem Weg.
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Simsim
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Simsim »

:lol: :lol: das wird ja immer besser!!!
Dir wäre ich ja gerne mal über den Weg getanzt :D.
Schade eigentlich, dass Du nicht in Saint Bertrand genächtigt hast,denn da gibt's gleich zwei sehr ungewöhnliche Herbergen...
Aber Du brauchst ja Deine Riesenetappen, keine Ahnung, wie Du das machst. Ich wäre die Strecke in zweieinhalb/drei Tagen gelaufen....
In der Refuge Saint Martin wollte ich mal die Nacht verbringen, aber da tanzten leider massenhaft Ratten und die Quelle vor dem Haus war versiegt, so dass ich weiter laufen musste.
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Steven
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Steven »

Tag 13 | Montsérié nach Moulin des Baronnies | Barronies & liebliche Landschaften meiner Kindheit | ~ 26 km

Ausgeschlafen, herrlich, das französische Paar hat bereits die Herberge verlassen. So sitze ich in der Küche + Wohnzimmer und genieße ausgiebig den Kaffee und höre meiner Pilger-Playlist. So vollkommen in der Natur ein Haus für Pilger, dazu noch sehr gepflegt und mit alleim eingerichtet, toll:

Ganz entspannt - ich mache mich erst gegen 9:30 Uhr auf die Socken und genieße die grünen Weiden und Äcker, Täler und Hügel sind zu sehen, eine sehr liebliche Landschaft. So bin ich in meiner Kindheit aufgewachsen. Solche Landschaften berühren mich sehr, weil das frühsteste Prägung und Kindheit ist, und vor allem habe ich da eine sehr schöne Erinnerung daran. Mittelgebirgscharakter, herrlich. Barronies ist der historische Name der Gegend, 22.00 Einwohner auf 2000km2. Der höchste Berg hier ist der Mont Vetoux - 1909m, er trägt den Beinamen Gigant der Provence und zeitweise gehe ich durch den "Regionale Naturpark Baronnies Provençales".

Es nieselt ein wenig, mich stört das nicht, ich mag die Mystik und die Stille dieser Landschaften:

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Ich gehe an prähistorische Stätten vorbei, Lebastite, Esparros und manchmal ein Kleinod. Ich bin da immer wieder sehr berührt, wenn ich so etwas erblicken darf:

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Laut meiner Information ist mein Tagesziel heute so eine Art Campingplatz und Veranstaltungsort für allerlei. Die werden eine Bleibe für mich haben und ich bin echt gemütlich on tour. Ein Esel mitten im Dorf und einfach so am Streunern ... da fühle ich mich gut gespiegelt, Danke:

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Kurze Zeit später erblicke ich den Campingplatz, am Fluss Arres gelegen, mitten in der Natur und erblicke einen Markt auf einer großen Wiese hinter dem Eingangsgebäude. Ein sehr freundlicher Empfang und ich erhalte ein gepflegtes Einzelzimmer. Preis weiß ich gar nimmer so genau, zwischen 20 und 30 € vermute ich (ohne Frühstück, Küche zur Benutzung).

Ich bin dann auf den Markt zur großen Wiese gegangen und habe noch entdecken dürfen wie das letzte Laib Brot vor meinen Augen verkauft wurde. So ein Mist. Wie gut, dass ich später das französische Paar in der Küche getroffen habe. Und ich finde meine Ausbeute auf dem Markt kann sich trotzdem sehen lassen und ein gutes Gespräch mit einem jungen Bauer hatte ich obendrein:

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Nachtgedanken: Die countryland Joghurts in geringer Auflage sind unschlagbar lecker; Lourdes ist bald erreicht, was erwartet mich dort? - Hoffnung, Ziel, Ende, Anfang? Und 'ne schwarze Bigorre - Sau (die mit den vielen Antoxidantien, ja ja) würde ich gerne sehen...
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Steven
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Steven »

Tag 14 | Moulin des Baronnies nach Bagnères-de-Bigorre| Blumen, schwarze Säue & die Zisterzienser | ~ 23 km

Früh am Morgen sitze ich mit dem französischen Pärchen am Frühstückstisch und erspähe bereits durch das Küchenfester die Wegeschilder:

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Ein Zwischenziel heute ist die Zisterzienserabtei L’Escaladieu, Scala Dei = Himmelsleiter. Erbaut im 12. Jahrhundert und inmitten eines schönen bewaldeten Tals gelegen. Angeblich stand das Kloster bereits früher für Pilger offen auf dem Weg nach Santiago de Compostela.

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Pünktlich zur Tageseröffnung stand ich an der Eingangskasse, erhielt einen Pilgerstempel und durfte gegen kleines Entgelt das Kloster besichtigen. Die Klosterkirche, Reste des Kreuzgangs, Kapitelsaal und die Mönchszellen gefielen mir sehr.

Ein bunte bewaldete Landschaft mit grünen Lungen, grüne Hügel, verschiedenartige Farbspielen, Schlüsselblumen, Siegwurz, Blumenmeere.

Schöne Aussichten:

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Ein meditativer Weg, Gedanken kommen und gehen. Und siehe da, die schwarzen Bigorre - Säue suhlen sich mit Wonne im Schlamm:

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Ich übernachte heute bei den Malteserinnen in Bagnères-de-Bigorre, Zentralpyrenäen, am Fluss Adour. Rund 7000 Einwohner, meine letzte Station vor Lourdes. Zum Glück habe ich noch einen Hausmeister (?) erwischt, der die pilgerverantwortlichen Schwestern angerufen hat und ich wurde sehr freundlich aufgenommen. 15 € / Nacht, ein gepflegtes Zimmer, eine voll eingerichtete Küche, danke! Achja, die Schwestern haben mir eine Routenempfehlung auf einem Zettel in die Hand gedrückt. Einen Tag später werde ich diese "schöne Route" als Luzifer-Markierung erfahren. Ja ja.

https://www.chemins-compostelle.com/heb ... -occitanie

Das französische Pärchen darf nicht fehlen und so sind wir gemeinsam beim Kochen und Abendessen.

Nachtgedanken: Kurz vorm Ziel; Lourdes: ich habe Anliegen dabei; mir gefällt die konsequente Haltung von Bernadette; wie glücklich doch die schwarzen Säue im Schlamm ausgesehen haben.
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Simsim
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Simsim »

Wieder so ein schöner, bebilderter Bericht von Dir, Steven. Das sind Geschenke! Vielen Dank! Wie fast unwirklich erscheint mir die Landschaft, durch die Du uns führst, während ich hier in Castilla heute durch trübes, nasskaltes, matschiges Wetter pilgern werde 😐...
Bagneres de Bigorre ist einer meiner liebsten Orte in Frankreich. So ein sympathisches und lebendiges Städtchen mit dem berühmten samstäglichen Wochenmarkt. Der größte des Südens, sagt man.

Bei den Malteserinnen habe ich auch schon mehrfach genächtigt. Eine absolut tolle Herberge mit der besten Küche zum Selbstkochen überhaupt!
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Steven
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Steven »

Tag 15 | Teil I - Bagnères-de-Bigorre nach Lourdes| Der lange Marsch zum Rosenkranz - ich wollte doch nur nach Lourdes | ~ 22 angedachte km aka Schlamm- und Bremsenparadies mit 33 km

Ausgeschlafen sitze ich am Frühstückstisch, höre Musik von meiner Playlist und bereite mir in aller Ruhe ein Frühstück zu. Wie Simone bereits erwähnt hat, ist für den Selbstversorger alles Notwendige und sogar etwas mehr vorhanden. Ich habe 3 Wege nach Lourdes in Erfahrungen gebracht, zwei davon stehen im Lepere und der schöne Weg natürlich, den die lieben Malteserinnen empfohlen haben. Extra mehrsprachig auf einem Blatt ausgedruckt und da sitze ich und denke mir, ja, den Weg gehe ich heute. Schön entspannt.

Ich habe in Bagnères-de-Bigorre einen kleinen Laden gefunden, der von einer Französin geführt wird und die selbstgeschneiderte und selbstgenähte Sachen verkauft. Richtig schöne Handarbeit und sogar bezahlbar, Unikate. Also gehe ich rein und kaufe für meine Freundin und Freunde kleine Souvenirs und plaudere mit der jungen Schneiderin, die sich unverkennbar über meine Begeisterung über Ihre Kunst + Handwerk sehr freut. Herrlich.

Noch einen Kaffee trinken um die Ecke in einem Café . Meine letzte Etappe heute - der Weg nach Lourdes. Im Café hing bereits ein kleines Vorzeichen, ein Omen, mir war das suspekt, später kam ich dann drauf. Mmmh. Der Zombie-Wanderer ist waiting for you. So einen kleinen Spiegel hätte sie noch hinhängen sollen. :idea:

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Es gibt einen südlichen Weg mit rund 32 km (der ist im Lepere erwähnt, aber nicht näher beschrieben, es heißt nur es gibt extreme Steigungen um den mit 1130 m Col de Couret du Monnet zu erklimmen. Die ausführlich im Lepere beschriebene Route (als Nord-Route bezeichnet) ist die von der Pyrenäen-Atlantik Assoziation vorgeschlagene Route. Die, ich nenne es Malteser Route führt über Neuilh und über einsame Waldpfade vorbei an 3 Gattern, die angeblich mit Markierungen versehen sind. Vorbei am Campingplatz ging es erstmal eine schöne Strecke bergauf mit Aussicht auf die grandiose Natur und den Flughafen Lourdes.

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Der Pfad wurde schmaler und irgendwann durchquerte ich das erste Gatter und bis dahin war die Welt noch in Ordnung, 30 min später kam das 2te Gatter und da sollte es dann bergab über eine Wiese gehen oder doch nicht und das dritte Gatter durchqueren, also öffnen und weitergehen? Ich bin bergab die Wiesen runter und da war auch ein Zeichen, allerdings war ich irgendwann im Morast und Gestrüpp und ja, ein halber Weg war auch da und den bin ich gegangen - schön ins Nirwana, denn aus dem Weg wurde eher mannshohes Unkraut und allerlei Dornengestrüpp. Nach meinen Navi könnte ich den steilen Abhang hochklettern und wäre dann wieder auf einem Pfad. Irgendwie hat das nicht funktioniert und ich war im Land der fröhlich - stechenden Bremsen die mit blutiger Inbrunst den deutschen Pilger anzapften. Ich kam also den Hang nicht hoch und bin dann Weg wieder zurück zum Gatter 2, habe dieses durchquert und bin einsame Waldpfade immer weiter in eine Art Niemandsland.

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Die ganzen Offline-Karten zeigten mir Wege, die es nicht gibt, und die ich gegangen bin um schlussendlich vor einem unüberwindlichen Abgrund zu stehen und Ende. Wieder fast eine 1 h zurück an das zweite Gatter und fluchen und schimpfen und zurück an das erste Gatter und eine lange Schleife in das Dorf Gez-ez-Angles. Da war Wut in mir auf den Malteser "Hilfsdienst", mein Plan war richtig gemütlich nach Lourdes zu trackern und fertisch. :mrgreen:

Manchmal bin ich vorher und manchmal nachher schlauer, diesmal das Zweitere, die Bergetappe ist mir entgangen. Irgendwann bin ich wieder hier und werde sie gehen, sieht schon toll aus finde ich, seht selbst:

vppyr.free.fr/vpp_etp.php?etp=17

Stand hier: So leicht gebe ich natürlich nicht auf und komme noch nach Lourdes ...
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Gertrudis
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Gertrudis »

Lieber Steven,
sehr erfreut habe ich das neue Kapitel in Deiner Fortsetzungsgeschichte entdeckt und - ja, es war ein echtes Déjà-vu, mit dem Du mich hier überraschst!
Bei mir war es eine "besonders reizvolle Bergvariante" auf dem Camino Lebaniego, die ich in einer alten Wegbeschreibung gefunden hatte.

Und das sah dann u.a. so aus
(bitte sei mir nicht böse, aber ich muss jetzt wenigstens diesen Ausschnitt loswerden, denn die Erlebnisse ähneln sich einfach zu sehr ):

"Es dauert nicht lang, da steht tatsächlich ein etwas verfallenes Steinhaus links am Weg. Und daneben führt ein Pfad hoch. Ein recht schmaler und wenig vertrauenerweckender zwar, aber ich arbeite mich wohlgemut und hoffnungsvoll hinauf. Zunächst geht’s ganz gut, durch lockeres Gebüsch zwischen den Bäumen. Dann wühle ich mich durch mannshohes Farnkraut, bleibe im Brombeergestrüpp hängen und zerkratze mir die Beine am widerspenstigen Stachelginster. Umkehren? Nein! Schließlich bin ich schon öfter auch ohne Weg ans Ziel gekommen. Wenn ich oben bin, hat er gesagt, hab ich den Überblick und dann kann nichts mehr schiefgehen… Ich ziehe mich an Ästen hoch, schwitze, allerhand hungrigen Insekten bin ich eine willkommene Beute, Dornen reißen an meinem Rock… nur noch zu bis zu jener Baumgruppe da oben, dann hab ich´s bestimmt bald geschafft… Pustekuchen! Ein Abgrund liegt zwischen mir und dem Berg, auf den der Bauer mit seinem Stock gedeutet hatte. Also das Ganze wieder zurück…"

Bin gespannt, wir Du es letztendlich nach Lourdes geschafft hast 😄
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Steven
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Steven »

Tag 15 | Teil II - Bagnères-de-Bigorre nach Lourdes| Der lange Marsch zum Rosenkranz - ich wollte doch nur nach Lourdes | ~ 22 angedachte km aka Schlamm- und Bremsenparadies mit 33 km

Sobald ich mich wieder auf der angedachten Route befand, konnte ich schmunzeln, über mich selbst, den gutgemeinten Rat der Malteserinnen und Ihre Mühe und ich habe Dankbarkeit spüren dürfen. Durch 2 Gatter und ein unsichtbares hin zum Paradies summte ich leise vor mich hin und Vorfreude auf Lourdes stieg in mir auf. Was sind schon Unterholz, Schlamm und anhängliche-blutverliebte Gelsen gegen die Aussicht auf eine herrliche Pilgerunterkunft inkl. Abendessen und mit Blick auf die Mariä-Empfängnis- und Rosenkranz-Basilika. Ich bin nach rund 8 Stunden gegen Abend zerstochen, müde und doch mit einer Pilgerfreude in Lourdes angekommen, die mit Worten nur sehr schwer zu beschreiben ist. Im Prinzip kann ich das gar nicht, und doch weiß jeder Pilger wie sich das anfühlt. I love it. :mrgreen:

Ich saß erstmal in Lourdes auf einem kleinen Platz und habe mich im Supermarkt mit Joghurt eingedeckt und gierig losgelegt. Ich bin seit mehr als 10 Jahren Joghurt süchtig und ich nehme in der Hinsicht fast alles was ich in die Finger bekomme. In Frankreich gerne Fromage Blanc. Bei jeder Pilgertour ist Joghurt / Quark einfach Pflicht für mich und irgendwie auch Hochgenuss. Schmeckt beim Pilgern unbeschreiblich gut.

Ich bin anschließend hoch zur Unterkunft Jacquaire La Ruche. Frederic - ein Hospitalero - öffnete und zugleich sah ich schon das mir ans Herz gewachsene frz. Pärchen im Vorhof. Die Aussicht vom Garten auf Lourdes & die Heiligtümer ist grandios, einmal bei Ankunft (bewölkt) und 1 Tag später bei herrlichem Sonnenschein:

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Donativo ist möglich bzw. wer kein Geld ist trotzdem Willkommen, ansonsten glaube ich kostet die Nacht 15 EUR mit Abendessen. Das ist eine ganz feine Pilgerunterkunft gewesen und Jean-Louis (der Gastgeber) bekochte uns mit einem Mehrgänge-Menü, gallizische Suppe uvm., toll! Der Pilgertisch war dann später prall mit Leben und verschiedensten Nationalitäten gefüllt und es wurde ein sehr angenehmer Abend mit interessanten Gesprächen.

Vor dem Pilgermahl, fein gedeckt:

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Das Angebot vom Hospitalero zur Prozession in die Basilika Pius X. mitzukommen, habe ich sehr gerne angenommen. Ein unterirdischer Sakralbau mit Platz für bis zu 25.000 Menschen und die Form ist einem umgedrehten Schiffsrumpf nachempfunden. Das Gemeinschaftsgefühl ist jedenfalls sehr erhebend, mir hat das gut getan, definitiv und ich bin normalerweise kein Freund großer Menschenansammlungen:

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Ich habe Kerzen für so allerlei Menschen & Freunde angezündet und in meinem Tagebuch steht: Ich bin erfüllt und dankbar hier in Lourdes angekommen zu sein.

Natürlich habe ich mir noch die Grotte von Massabielle angesehen mich über die Geschichte der Bernadette Soubirous eingelesen. Ich habe längere Zeit an diesem Ort verweilt, die Menschen beobachtet, meinen eigenen inneren Empfindungen, Wünsche und Träume angesehen und das war alles okay. Ich war in dem Augenblick geerdet und Frieden war in mir und somit auch im Außen:

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Abends saß ich mit einem deutschen Pilger zusammen und wir haben uns über unsere Wege ausgetauscht. Er hatte so 'nen selbstgebastelten Carrix dabei und wollte weiter nach Santiago. Für den (deutschen) Gottesdienst am nächsten Morgen haben wir uns verabredet und so sollte es auch kommen.

Zur Pilgerherberge: Als ich dort war, hörte ich bereits, dass der Gastgeber Jean-Louis nach all den Jahren als Gastgeber müde geworden sei und gedenkt aufzuhören. Leider ist es nach meiner Information so gekommen und aktuell hat diese wunderschöne Pilgerunterkunft (dauerhaft?!) geschlossen. So steht's zumindest auf Gronze: https://www.gronze.com/francia/altos-pi ... aire-ruche. Vielleicht hat jemand hier nähere Informationen.

Jedenfalls, Danke Frederic & lieber Jean-Louis für diese zauberhafte Pilgerherberge.

Nachtgedanken: Ein Ziel legt eben doch den Weg fest; Dankbarkeit und ich bin gerne hier; Freude ist in mir; ich bewundere Bernadette für Ihre Prinzipien und Standfestigkeit.

PS: Ein paar abschließende Worte werde ich die Tage noch schreiben - Ultreya
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Simsim
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Simsim »

Vielen allerherzlichsten Dank Steven, für alle Deine wunderbaren Berichte! Und für die Fotos! Ich bin immer wieder sehr berührt von Deinen Beschreibungen. So lebendig und nachfühlbar!
Lourdes erlebte ich auch mehrmals sehr intensiv. Und die Herberge von Jean-Louis ist eine Perle. Müde war er schon vor 10 Jahren, aber er konnte und wollte nicht aufhören. Ich hab ihn sehr lange nicht gesehen, weiß auch nichts näheres. Ob er tatsächlich aufgehört hat? Vielleicht schaut er sich nach einem Nachfolger um?
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Steven
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Steven »

Tag 16 + 17 1/2 - Lourdes ist Heimkehr & die große Fliegenklatsche <-> mit der Frau auf dem Thron

Über den Geist der Orte im Südwesten Frankreichs sinne ich nach und ich führe Gespräche mit Frederic, der anstatt selbst zu pilgern nun als Hospitalero dient, weil er darum gebeten wurde. Ganz groß, er schenkt mir ein Kompliment und sagt, dass ich so oft lache und voller Freude bin und er den Camino - Geist in mir spürt. Das nehme ich dankend an und ich danke ihm für seinen Dienst und seine Bereitschaft für uns Pilger da zu sein. Ja, im Pilgern zeigt sich bei vielen Menschen Lebensfreude - Essenz. Wie habe ich bei Le Breton lesen dürfen:" Das Gehen ist Öffnung zur Welt. Es versetzt den Menschen wieder in das glückliche Leben seiner Existenz." Ja, das trifft mein Gefühl sehr gut, ich fühle mich offen, da ist eine Weite und Nährung in mir, die ich so sonst nirgends spüre. Mir wird das meist erst bewusst wenn ich den Camino oder eine Wanderung verlasse, Abschied nehme und ich frage mich ob die Heimkehr nur eine physische ist, denn die wirkliche tiefe und innere Heimkehr ist der Weg an sich. Heimat und Heimkehr sind ein Gefühl - kein Ort.

Mit dem deutschen Carrix-Pilger besuche die Messe im Obergeschoss der Beichtkapelle Jean-Marie Vianney und schlendere fast den ganzen Tag durch Lourdes und schaue mir die Sehenswürdigkeiten an. Da bereits ein kleines Zimmer vorab in Lourdes für Tag 2 gebucht hatte, nahm ich die Einladung von Frederic auf eine 2. Nacht in der gemütlichen Pilgerherberge nicht an und nächtigte bei einer älteren Dame am Stadtrand. 2 Zimmer, eine Asiatin hatte dort ebenso gebucht und ich hatte das Gefühl, dass meine asiatische Pilgerkollegin doch etwas eingeschüchtert von der Herbergsmutter war. Eine ziemlich große und recht stämmige Dame, die auf einem Art querschlanken Superthron den ganzen Tag mit einer riesigen Fliegenklatsche hantierte. Ich bin gut mit ihr klargekommen und als Dank gab's morgens ein Mega-Frühstück. :D

Abschied vom Camino, ein wenig Schmerz und doch überwiegt die Freude, dass ich Zeit & die Muse hatte den Pyrenäenweg zu gehen. Kurz vor der Mittagszeit ein letzter Blick vom Bahnhofsvorplatz auf Lourdes & die Pyrenäen:

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Gleich fährt der TGV ein und ich werde die Fahrt genießen können, Tagebuch schreiben und mir selbst ein guter Freund sein. Mir ist bewusst geworden, dass ich die einsame Pfade & Wege liebe, die Gespräche mit Menschen, die sich ergeben, auf dem Weg, in der Herberge und doch möchte ich morgens jungfräulich alleine losziehen. Am frühen Morgen mit der aufgehenden Sonne den frischen Wind in meinem Rücken spüren, ich kann das genießen und spüre dabei eine große Freiheit und vor allem Frieden in und mit mir. Wenige Monate später sehe ich Almar im Kino und der Protagonist ist zugegen und ich sehe wie sehr die Gemeinschaft und der Zusammenhalt der Gruppe für ihn prägend gewesen sind. Das passt für ihn, meine Wege würden so nicht funktionieren. Auch das ist eine Einsicht, ich bin ok - du bist ok. Einfach mal machen. :mrgreen:

Buen Camino, Steven
Fermate
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Re: Voie des Piémont-Pyrénées - GR78

Beitrag von Fermate »

Danke, Steven, für diesen Bericht, der soo viele Erinnerungen an einen meiner schönsten Pilgerwege überhaupt geweckt hat - von der Plastikbox mit Walnüssen am Wegrand über diverse Matschpisten und die Spezialroute der Malteserinnen von Bagnères-de-Bigorre (die mich übrigens problemlos ans Ziel geführt hat, abgesehen davon, dass ich das französische Wort für "extreme Steigung" nicht kannte und sie dann am eigenen Leib erfahren musste 🥵) bis nach "La Ruche" in Lourdes. Und jetzt ist die Herberge also geschlossen - wie schade! Jean-Louis hat so begeistert und begeisternd über Bienen und Wein erzählt...
Caminos del Norte, Primitivo, Muxia y Fisterra, Portugués mit Variante espiritual, Mozárabe; Voie de Régordane, Chemin du Piémont Pyrenéen, Route Bidassoa-Nive;
Via Regia, Via Jutlandica, Via Porta, Münchener Jakobsweg u.v.m. in Deutschland
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