Der Camino Portugués - (noch) ein Pilgerweg?

Durch Portugal nach Santiago
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Fermate
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Der Camino Portugués - (noch) ein Pilgerweg?

Beitrag von Fermate »

Einige von Euch haben so tolle Beschreibungen von ihren Erlebnissen auf dem Camino Portugués eingestellt, und ich weiß von Bekannten, die ihn lieben und schon mehrfach gegangen sind.
Ich dagegen bin zwiegespalten. Die Landschaft ist wirklich schön, der Küstenweg in Portugal herrlich (wenn auch sehr touristisch), und das Laufen tut mir gut, wie immer.
Aber ich frage mich ernsthaft, was dieser Rummel eigentlich noch mit Pilgern zu tun haben soll. Gut, ich bin ein Teil davon und selbst schuld, wenn ich ausgerechnet Mitte September losgehe. Trotzdem...
Hunderte Menschen haben bei Reiseveranstaltern gebucht, sämtliche Herbergen vorab reserviert und ziehen grußlos mit ihren Tagesrucksäcken am Rest vorbei. Ich möchte mich nicht über sie erheben, denn für Viele sind auch hundert oder zweihundert Kilometer zu Fuß eine große Leistung, und natürlich haben auch sie ihre Freude am Weg und ihre Compostela verdient.
Aber das Gefühl einer Camino-Familie fehlt mir bei diesen Massen; es gab lediglich EIN tiefergehendes Gespräch mit einem Mitpilger und, anders als bisher, kaum Austausch mit Einheimischen. (Klar, warum sollten sie auch noch Interesse daran haben ?!).
Fast alle Kirchen sind geschlossen; die einzige sogenannte "Pilgermesse" in Redondela war eine lieblose, öde Angelegenheit. Dafür gibt's an jeder Ecke Buden, wo man Muschelsocken, -anhänger, -aufkleber, -tassen etc. kaufen kann.
Donativo-Herbergen sind so gut wie ausgestorben, die privaten Herbergen mit meist 18 - 26 € (ohne Mahlzeiten) vergleichsweise teuer und trotzdem oft schon auf Tage ausgebucht. (Immerhin, ein Vorteil: in den Municipales findet man fast immer spontan Platz, eben weil inzwischen fast alle vorsichtshalber ihre Etappen im voraus planen und buchen.)
In Portugal habe ich einmal für eine größere Runde gekocht, mit einer anderen Gruppe einen fröhlichen Restaurantbesuch erlebt. Aber seit Spanien sind zumeist eher hermetische Duos oder Trios unterwegs, und abends wird erst mal autistisch auf den Mobiltelefonen herumgetippt.
Auf der Variante espiritual war die Stimmung ein bisschen anders und der Weg deutlich einsamer, doch am Bootsanleger drängelten sich dann doch wieder 70 oder 80 Menschen darum, nur ja als erste das Deck betreten zu können.
Der Kontrast zur Ruta de la Lana, die ich im April gelaufen bin, könnte nicht größer sein. Zum ersten Mal freue ich mich, dass die Tour bald zu Ende ist - das gab's noch nie, zumal mir knapp zwei Wochen auch zu wenig sind, um in eine Art Flow zu kommen.
Aber natürlich plane ich trotzdem schon die nächsten Caminos... zum Glück gibt es ja noch viele weniger begangene-!
Caminos del Norte, Primitivo, Muxia y Fisterra, Portugués mit Variante espiritual; Voie de Régordane, Chemin du Piémont Pyrenéen, Route Bidassoa-Nive;
Via Regia, Via Jutlandica, Via Porta, Münchener Jakobsweg u.v.m. in Deutschland
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ilfuchur
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Re: Der Camino Portugués - (noch) ein Pilgerweg?

Beitrag von ilfuchur »

Guten Morgen Fermate!
Ich war letztes Jahr auch wirklich erschrocken über die Massen. 2016 war ich fast alleine auf dem Küstenweg! Ich hatte das Glück, trotzdem in eine sehr liebe Pilgerhorde zu rutschen, aber manchmal war ich echt genervt. Ein bisschen genossen habe ich, dass mich die Menschen, die dort leben, mit meinem fetten Rucksack oft doch noch anders wahrgenommen haben, aber auch ganz viele liebe buen Caminos halfen eben doch auch nicht die zu ignorieren, die mit knackigen Hintern wackelnd mit ihrem Trinkkreis den ganzen Weg versperrten.
Welt verändert sich, Leben verändert sich, Pilgern verändert sich - manchmal ist das gut so (nach einer Masch0inenwäsche fühlen sich Kleider doch ein bisschen angenehmer an als nach der Handwäsche), manchmal ist es schade - aber eben nur für die, die es anders kennen und mochten.
Ich wünsche dir noch einen guten Restweg mit nur drei Buchstaben (Sol) und etwas trockener. Vor allem wünsche ich dir aber ein superschönen Ankommen nach diesem nassen Camino! Pilgermassen, Tausend Worte für Regen - wenn man in Santiago ankommt, ist man ein Held, aber du bist ein Held hoch drei 😇

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Pilger, die beim Gehen manchmal einfach nur Bauch und Füße sind - #Bauchfüßler eben.
Fermate
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Re: Der Camino Portugués - (noch) ein Pilgerweg?

Beitrag von Fermate »

Danke für Deine ermunternden Worte!
Am Ende habe ich mich mit dem Weg versöhnt: auf dem Monte do Santiaguño in Padrón, bei guten Gesprächen im deutschen Pilgerzentrum und im Gottesdienst in San Fiz, beim herrlichen Gesang UND dem Botafumeiro in der Kathedrale und zuletzt auf dem Monte Pedroso ganz hoch über Santiago: grandioser Blick bei gleichzeitiger Einsamkeit!
Aber die deutsche Seelsorgerin hat meine Eindrücke vom Portugiesischen Weg bestätigt: da hat sich wohl viel gewandelt in den letzten Jahren. Und es ist eben nicht jeder Weg für alle geeignet.
Dir viel Freude unterwegs!
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