Camino de despedida

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
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Frau Holle
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Re: Camino de despedida

Beitrag von Frau Holle »

Als die Nachricht von Daniels Tod kam war ich gerade auf der Arbeit. Zum Glück war die Teamsitzung gerade zu Ende und somit noch mehrere Kolleginnen im Haus und ich war nicht allein, als meine Welt am Telefon zusammenbrach und ich direkt danach.

Als ich nach zwei Stunden in der Lage war meine beste Freundin zu kontaktieren war sie gerade, obwohl sie 20 km entfernt von meiner damaligen Arbeit wohnt, gerade 150m weiter an der Tankstelle. Ich bin dort rübergefahren und wir standen 10 Minuten wortlos Arm in Arm an der Zapfsäule. Danach bin ich hinter ihr hergefahren und wir sind zu ihr nach Hause. Durch meine Zeit im Rettungsdienst kann ich glücklicherweise in jeder Verfassung Autofahren.

Am Tag danach fuhr in den Tierpark und kaufte mir ungesehen eine Jahreskarte. Ich weiß, dass Tiere mir sehr helfen und so setzte, bzw. legte ich mich in das Ziegengehege und zwei Ziegen legten sich zu mir auf meinen Bauch und meine Beine. Und so lag ich da und existierte einfach nur.

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Ich ging in den ersten Wochen oft in den Tierpark, so hatte ich etwas Abwechslung zum an die Decke starren auf dem Sofa.

In den ersten Tagen telefonierte ich viel und das half mir schon etwas, die Sache irgendwie einzuordnen. Bis zu Daniels Tod war Suizid für mich irgendwie immer etwas theoretisches. Etwas, das mich persönlich nie treffen wird. Zwar hatte ich im Rettungsdienst durchaus Kontakt mit versuchten und vollzogenen Suiziden, aber das waren Fremde. Das hatte nichts mit meinem Leben zu tun. Auf der Arbeit bin ich ständig mit dem Thema konfrontiert, aber auch da ist es immer mehr Theorie als ein ernsthaftes Thema. Mir war schnell klar, dass ich viel Arbeit vor mir hatte. Nicht nur den Tod von Daniel musste ich verarbeiten, sondern auch einen Umgang mit dem Thema Suizid musste ich finden, da das in meiner Arbeit immer ein Thema ist und sein wird. Ich hatte Sorge, dass mich das sonst „triggern“ könnte und ich damit nicht mehr so gut umgehen könnte wie vorher.
Ich wusste nicht, ob und wie ich das schaffen soll. Es wirkte alles einfach zu viel für mich kleinen Menschen.

Ich habe aufgehört zu essen und tagelang geweint, gezweifelt, auf eine Verwechslung gehofft und mir echte Chancen ausgemalt, dass da im Wald einfach der falsche Mann neben dem Rucksack gefunden wurde. Meine Freundin, seine Mitbewohnerin, hatte auf die Leichenschau verzichtet. Was wenn sie sich alle geirrt hatten und das Telefon doch noch klingeln würde?
Wir hatten jeden Abend telefoniert. Nach ein paar Tagen habe ich das Festnetztelefon vom Strom genommen und nie wieder eingesteckt. Ich bezahle es weiterhin und ich bräuchte es, weil ich zu Hause keinen Empfang habe. Aber ich möchte dieses Telefon nicht klingeln hören. Bis heute nicht.

Am Wochenende fuhr ich zu meiner Familie und mit ihnen ans Meer. Nach fünf Tagen ohne Nahrung habe ich dort etwas gegessen, weil mein Körper mir langsam signalisierte, dass es an der Zeit ist. Gesellschaft war auch besser als allein zu sein. Und Gesellschaft war auch schlimmer als allein zu sein. Es gab nichts, was wirklich gut war. Nichts, das sich wirklich richtig und gut angefühlt hat. Außer dieses eine Gefühl. Das Gefühl, dass mir nur noch der Camino helfen könnte.

Einfach raus. Weg.
Zeit nehmen, nicht arbeiten müssen. Den ganzen Tag Zeit haben, Daniels Tod zu verarbeiten. Zeit, um wieder ins Leben zurückzufinden. Mit Menschen darüber reden wenn ich möchte, es lassen wenn ich es nicht möchte.
Den Weg, den er gehen wollte, gehen.
Die gleiche Strecke. Für mich, für ihn, für uns. Zum Abschied.

Ich träumte mich zwei Tage auf den Camino, fühlte mich dadurch schon erleichtert und frei und der Wunsch und das Bedürfnis wurden so groß, dass ich mich aufmachte und meiner Teamleiterin sagte, dass ich weiß, was ich brauche, aber nicht weiß, ob es möglich ist.
Ich sagte ihr, dass ich einen Monat frei bräuchte, um pilgern zu gehen. Dass ich mir vorstellen könnte, zwei Monate meine Stelle auf 50 % zu reduzieren und davon einen Monat zu arbeiten und einen weg zu sein.
Ich glaubte, dass ich nach vier Wochen Auszeit gestärkter sein könnte, als wenn ich in der aktuellen Situation zur Arbeit gehen würde, ohne viel leisten zu können. Glücklicherweise bekam ich noch am gleichen Tag die Zusage, dass wir das so machen können.

Ich buchte noch von der Arbeit aus die Flüge (die ich natürlich schon rausgesucht hatte) und fuhr am selben Tag über 100 km zum nächstgelegenen Decathlon, um mich für die Reise einzudecken. Natürlich hatte ich im Grunde genug Caminoausrüstung zu Hause, aber es war an dem Tag die beste Ablenkung. Und die Caminovorfreude wollte ich natürlich auch voll ausleben. Es war eine gute Pause von der Trauer.

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Die Beisetzung fand in der Eifel statt.
Ich besuchte auf dem Weg dahin unsere Uti an ihrem Grab in Köln.

in der Eifel angekommen übernachtete bei Daniels Schwester und nahm am Morgen vor der Abfahrt zum Friedhof einen Stein für das Cruz de Ferro mit.

Die Beisetzung war natürlich unglaublich schwer und irgendwie endgültig; die Urne der Beweis dafür, dass Daniel weg und von seinem Körper nur noch Asche übrig ist. Keine Verwechslung. Keine Hoffnung.

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Die kleine Muschel habe ich Daniel mit in sein Graben gegeben.

Ultreia… weiter, immer weiter.
Mein Leben muss ja irgendwie weitergehen.

Im Anschluss an die Beisetzung verabschiedete ich mich relativ schnell nach dem Essen, weil ich noch über sieben Stunden Autofahren musste. Direkt nach Hamburg zum Flughafen.

24 Stunden später war in in Burgos.
u l t r e i a
andrea+wildgans
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Re: Camino de despedida

Beitrag von andrea+wildgans »

Liebe Birte,

danke... ich habe vor knapp zwei Jahren die Nachricht vom Suizid eines guten Freundes während eines Kurses bekommen... von daher ahne ich ein klein wenig, wie es Dir in diesen ersten Stunden und Tagen ging. Und wie gut, dass Du auf die inneren Stimmen in Dir gehört hast, die Dir sagten, was Du jetzt brauchst und was Dir vielleicht helfen kann...

Ich werde aufmerksam weiter zuhören...

Andrea
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Shabanna
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Re: Camino de despedida

Beitrag von Shabanna »

"Es gab nichts, was wirklich gut war. Nichts, das sich wirklich richtig und gut angefühlt hat."

Ja. Bis heute warte ich auf dieses Gefühl.

Vieles von dem, was Freunde und Mitpilger mir gesagt haben und empfohlen haben zu tun, damit es mir besser ginge, hat geholfen.

Aber eines ist immer (noch) da. Das Gefühl, dass es nicht richtig ist, so wie es war. So wie es ist.

Liebe Grüße aus Santiago,
Andrea
No creo en casi nada que no salga del corazón.
(Fito Páez)

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Berta71
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Re: Camino de despedida

Beitrag von Berta71 »

Liebe Birte
Tief berührt habe ich grade Deinen Bericht gelesen. Danke für deinen großen Mut und deine Offenheit.
Das ist auch ein großartiges Geschenk an uns, egal in welcher Lage.....
Auch für deine Rücksicht auf uns, dass du vorweg gleich geschrieben hast, lieber grad nicht lesen wer es vllt nicht schafft.

Trauer kennt keine Zeit, die Zeit die Du brauchst kann keiner benennen. Nur Du alleine weißt was Du brauchst und hast genau das getan.
Ich wünsche Dir von Herzen weiterhin das Gefühl für das was Du brauchst und Menschen die Dir das geben können was für Dich wichtig ist.


Sei gesegnet und egal auf welchem Weg Du grad gehst jederzeit buen camino

Brigitte
Römer 8, 38-39 🙏👑
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Simsim
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Re: Camino de despedida

Beitrag von Simsim »

Liebe Birte, bisher fehlen mir die Worte für eine Reaktion auf das, was Du uns anvertraust. Berta hat die Worte gefunden, die mir komplett aus dem Herzen sprechen.
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Frau Holle
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Re: Camino de despedida

Beitrag von Frau Holle »

27. Mai
Heute vor einem Jahr bin ich in Santiago angekommen und somit kommt hier der letzte Teil des Berichts.


Burgos empfing mich mit einem Regenbogen 🌈

In den ersten Tagen bin ich allein gelaufen und habe mich aus den Situationen herausgewunden, in denen andere Pilger versucht haben ein Stück mit mir gemeinsam zu gehen um sich zu unterhalten. Ich konnte nicht sagen, dass ich allein gehe möchte, ich hätte dort sofort geweint und wollte den Grund dafür noch nicht teilen.

Außerdem fand ich, dass ich keine gute Gesellschaft war.
Ich spürte, dass ich nicht so offen war wie sonst und kurz angebunden war.
Vielleicht wirkte ich auch unfreundlich und gereizt?
Ich kann es nicht genau sagen, die Selbstwahrnehmung ist in einer solchen Situation ja auch nicht immer richtig. Rückwirkend betrachtet glaube ich, dass ich freundlicher war als ich mich selbst wahrnahm.

Aber das alles ist auf dem Camino ja zum Glück meistens nicht schlimm. Man darf allein sein wollen, man darf sich nicht erklären wollen. Man darf ganz bei sich sein, ohne andere an sich heranzulassen.
Das Setting war für mich also schon einmal ideal.

Ich war somit während des Laufens in den ersten Tagen viel allein.
Ich habe sehr viel nachgedacht, viel geweint, viel mit Daniel geschimpft und ihm immer wieder gesagt, dass ich gar nicht hier sein sollte, sondern dass ER diesen Weg hätte gehen müssen. Ich habe sein Foto oft in der Hand gehalten und über den Weg getragen. Der Blick wanderte zwischen dem Camino und seinem Foto hin und her. Ich habe viel mit ihm gesprochen und viel überlegt, wie mein Leben jetzt weitergehen soll, wie weitergehen kann.
Diese Leere und diese Verzweiflung nach dem Tod eines geliebten Menschen ist fast nicht zu ertragen. Leider werden es einige von euch kennen.

Die Tage waren emotional anstrengend. Trauern ist harte Arbeit. Mein Ratgeberbuch hat gesagt, dass man sich bewusst davon Pausen nehmen soll und darf. Eine Sache, die ich zwar wusste, aber in Ausnahmesituationen hilft es, wenn es einem noch einmal von außen zugesprochen wird.

So genoss ich es, an den Abenden unter anderen Pilgern zu sein und ein „normales Pilgerleben“ zu haben. Ich erzählte also niemandem, warum ich hier war und genoss ein Stück Unbeschwertheit. Ich bin dankbar, dass ich im Pilgerleben mit meiner Pilgerroutine durchaus Unbeschwertheit erleben konnte.
Abends war ich gut im Kontakt mit anderen Pilgern und habe vermutlich recht fröhlich und aufgeschlossen gewirkt. Abends habe ich mir eine kleine Auszeit vom Trauern genommen, aber mein Schlafsack weiß, dass ich nie Feierabend hatte.

In Carrion de los Condes wollte ich in meiner Albergue Espiritu Santo zur Andacht gehen und schon wenige Sekunden, nachdem ich mich gesetzt wurde ich von Tränen und Schmerz überwältigt. Genau genommen fing es schon davor an, als ich vor der Andacht zur Toilette bin.

Ich saß da im Andachtsraum auf der kleinen Bank und konnte mich nicht beruhigen.
Neben mir saß ein Engel.
Sie rutschte an mich heran, nahm mich in den Arm, tröstete mich und hielt meine Hand.
Sie war einfach da und es tat so gut.
Es stellte sich heraus, dass sie Angela hieß.

Nach der Andacht ließ Angela mich nicht einfach gehen, sondern fragte mich, ob ich mit zum Singen mit den Nonnen in der anderen Albergue möchte. Natürlich! Das hätte ich fast vergessen.
Diese Stunde war eine der schönsten auf dem ganzen Weg. Wer in Carrion ist sollte das nicht verpassen.
Als jeder sagen sollte woher er kommt und warum er den Camino geht konnte ich, als ich an der Reihe war, nur heulen und ich drückte Angelas Hand und sie übernahm es der Runde zu sagen, dass ich einen großen Verlust erlitten habe. Drei Plätze neben uns saß eine Frau aus den USA, die auch kürzlich ihren Mann verloren hatte.
Mit ihr sprach ich kurz nach dem Singen, bevor wir zur zum Pilgersegen gingen.
Am nächsten Tag lief ich die ersten 10 km mir ihr und wir unterhielten uns gut.
Ich sah sie und Angela danach auf dem Weg nicht wieder. Der Camino stellte sie mir zur Seite, als ich sie brauchte.

Zwei Tage später kam der Moment, mit dem ich den Bericht eröffnet habe.
Die Frage, warum ich den Weg gehe.
Diese Frage und diese Freundschaft, die an dem Tag entstand veränderten meinen ganzen Camino. Die Tage wurden etwas unbeschwerter und ich redete mehr. Ich fing an mich vorsichtig wieder auf mich selbst zu richten.

Nachdem der erste Teil des Caminos nur auf Daniel gerichtet war und er jeden Kilometer des Weges Thema war holte ich nun mich dazu und fing an zu sortieren:

Wer bin ich jetzt?
Was hat sich verändert?
Wie lebe ich jetzt mit diesem Teil meiner Biografie, wie integriere ich den Verlust, den Schmerz, die traumatische Erfahrung in mein Ich?

Ich reflektierte, was ich schon getan habe und was ich noch tun muss. Ich bearbeitete das Thema Suizid.
Ich las darüber, ich hatte schon Podcasts auf dem Weg gehört, ich war im Internet in Gruppen dazu und las, was andere erleben und verarbeiten mussten.
Ich machte eine kleine Therapie mit mir selbst. Ich bin dankbar, dass ich das Wissen, das ich durch meinen Beruf als Sozialpädagogin und meine Berufung als Traumafachkraft habe für mich selbst abrufen und nutzen kann.

Und ich holte mir Gespräche von außen dazu. Wie es auf dem Camino so ist habe ich Menschen getroffen, die ebenfalls gerade ihre Partner verloren haben und ich habe Menschen getroffen, die Angehörige und enge Freunde durch Suizid verloren haben. Sie alle teilten kleine Teile ihrer Gefühle und Erfahrungen mit mir. Und alle Begegnungen heilten kleine Teile in mir.

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Dann kamen wir zum Cruz de Ferro.
Ich hatte vor der Beerdigung einen Stein aus dem Garten von Daniels Schwester genommen, den ich mit zur Beisetzung nahm und von dort aus zum Cruz tragen wollte.

Am Abend vor dem Ganz zum Cruz de Ferro suchte ich alles ab. Immer und immer wieder, bis ich schon fast verzweifelte.
Der Stein war weg. Einfach weg.
Gestern war er doch noch da!

Ich saß an diesem Abend lange und ganz allein in der kleinen Kapelle in Foncebadon. Ich ließ Taizégesänge laufen, summte und sang mit, weinte und trauerte und sinnierte irgendwann über die Symbolik des verlorenen Steins.

Der Stein war einfach weg.
Unerwartet.
Ich war ein Stück meines Weges mit ihm gegangen und unterwegs war er plötzlich weg.

Unerwartet.
Genau wie Daniel.

Der Stein hatte es ihm in gewisser Weise gleichgetan und ich fand das äußerst passend.

So legte ich am Kreuz keinen Stein für Daniel ab, sondern einen für mich, den ich mir aus Foncebadon mitnahm. Auch das fand ich irgendwie passend.

Es gab Tage, an denen ich Daniels Foto nicht mehr aus der Tasche holen musste und irgendwann Tage, an denen ich nicht weinen musste. Vereinzelt und kritisch von mir beäugt.
Ist das okay?
Jetzt schon?
Darf ich Tage haben, an denen Daniel und die Trauer nicht im Mittelpunkt stehen?
Ich habe aufgehört mein Verarbeitungstagebuch zu schreiben, da ich die Zeit mit meinen Freunden verbrachte.
Ich beobachtete den Prozess interessiert und freute mich über diese positiven Stunden.
Es gab auch noch genug dunkle Stunden.

Daniels Geburtstag stand mir noch bevor.
An dem Tag, als ich bei Heidi einkehren sollte. Das hat mir viel Sorge genommen, da ich an einem sicheren Ort sein würde bei einer Seele von Mensch und umgeben von Tieren.
Leider begann ich Daniels Geburtstag mit dem Kopf über dem Mülleimer in der Herberge. Ein rücksichtsloser Pilger telefonierte 20 Minuten auf dem einzigen Klo und ignorierte meine Bitte die Toilette freizumachen. Als er mich hinter der dünnen Toilettenwand in der angrenzenden Dusche in den Mülleimer erbrechen hörte verließ er das Bad aber dann doch sehr schnell.

Ich hatte mir einen sehr heftigen Magen-Darm-Infekt eingefangen, den sehr viele Pilger hatten, es gab zu der Zeit schon Berichte und Spekulationen bei Facebook darüber, die Ursache war aber unklar.
Ich wurde so krank, dass ich aus dem Erbrechen nicht herauskam, mit dem Bus zum Arzt musste, dort vor Schmerzen auf dem Boden kauerte, ein paar Spritzen und viele Medikamente bekam. Den Nachmittag bei Heidi verbrachte ich dann leider überwiegend im Bett. Sie kochte extra und nur für uns (meinen Begleiter hatte es auch erwischt) eine Hühnersuppe.
Am Abend lag ich im Bett und merkte, dass der Geburtstag vorüberging, ohne dass ich mich dort groß mit beschäftigt hätte. Immerhin etwas.

Zweit Tage später liefen wir in Santiago ein.
Ich hatte Angst davor, vor der Kathedrale zu stehen, dort anzukommen.
Dieser Weg war der Schwerste, den ich bisher gegangen war und als wir an der letzten Ampel vor der Altstadt standen sagte ich meinem Freund, dass er ruhig vorgehen könnte. Ich weinte bereits und stand mit Daniels Foto in der Hand vor ihm, offensichtlich nicht besonders bereit für die letzten Meter.

Aber er ließ mich nicht allein, sondern nahm mich an die Hand und war einfach da.
Es war sein erster Camino, auf den er sehr viele Jahre gewartet hatte und er war auf den letzten Metern einfach an meiner Seite.
Der Camino meinte es gut mit mir.

An der Kathedrale wurde es dann nochmal sehr emotional. Ich dachte immer wieder daran, dass Daniel in wenigen Wochen hätte hier stehen sollen.
Dass ich gar nicht hier sein sollte.
Daran, dass ich jetzt hier bin.
Ich lag mit seinem (inzwischen sehr mitgenommen aussehenden) Bild in der Hand und Tränen in den Augen vor der Kathedrale und nahm zum hundertsten Mal Abschied von ihm.
Ich holte mir die Compostela und widmete sie Daniel. An dem Tag im August, an dem Daniel in Santiago hätte ankommen sollen, wird seine Familie sie im Briefkasten finden.

Ich saß vor der Kathedrale und traf die Entscheidung, dass ich die kommende Tage in Santiago, Fisterra und Porto mir selbst widme. Und so tat ich es auch.
Leider war ich noch nicht ganz gesund und wurde noch einmal wieder richtig krank, aber ich war noch eine Woche lang unterwegs und habe mir Gutes getan und Schönes erlebt.
Denn auch wenn Daniel weg ist:

ICH bleibe.


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u l t r e i a
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