Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Von St. Jean Pied de Port auf dem navarrischen oder vom Somportpass auf dem aragonischen Weg nach Santiago
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Kaffeemond
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Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Kaffeemond »

Hallo liebe Community,

ich komme heute mal mit einer Frage, bzw. Angst, die ich aktuell nicht ganz loswerden kann.
Und zwar geht es um die Angst, auf dem Weg (ich möchte im Mai auf dem Camino Francé starten) keine Unterkunft mehr zu finden, bzw. am Vortag alles Erreichbare ausgebucht vorzufinden.

Da ich als junge Frau alleine reise, möchte ich mich so gut wie möglich absichern - gleichzeitig aber auch dem Weg mehr Vertrauen schenken und nicht (wie bei meinem ersten Camino) alles im Voraus reservieren. Ich bezweifle auch, dass das auf dieser Strecke möglich wäre.

Ich möchte zur Sicherheit ein Zelt mitnehmen, auf vielen Websiten der Herbergen steht jedoch nichts darüber, ob Zelten im Fall der Fälle dort vor Ort erlaubt wäre.

Von daher möchte ich gerne all die User fragen, die diese Strecke bereits hinter sich gebracht haben:

• Wie habt ihr das gemacht?
• Wie kann ich mich gut vorbereiten, ist meine Sorge berechtigt oder unbegründet?
• Hat euch ein Zelt in solchen Fällen weiterhelfen können?

Ich merke zur Zeit, dass mir diese Sorge solche Unsicherheiten bereitet, dass sie die ganze Planung "überschattet"; von daher bin ich über jede Antwort und Ratschläge froh!

Liebe Grüße
Lisa
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Gertrudis
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Gertrudis »

Liebe Lisa,
ich kann gut verstehen, dass einem so eine Angst vielleicht die Vorfreude etwas beeinträchtigen kann.
Aber vielleicht kann man mit rationalen Überlegungen wenigstens ein bisschen von der Angst wegnehmen!
Was wäre denn das schrecklichste Szenario, was passieren könnte, wenn Du keine Unterkunft fändest?
Erfrieren? Auf hartem Untergrund liegen müssen? Von Tieren angegriffen werden? Oder von Männern?
Wahrscheinlich hast Du nicht so viel Erfahrung mit draußen übernachten.
Ich habe als junge und auch noch als alte Frau schon sehr oft draußen übernachtet, und es kann wunderschön sein unter dem Sternenhimmel, mit dem geheimen nächtlichen Leben der Natur! Besonders bei gutem Wetter natürlich 😊. Und wenn Du ein Zelt hast, kannst Du überall auf dem Camino schöne Plätzchen finden, am besten ein bisschen versteckt, so dass kein Autoscheinwerfer Deinen Platz trifft... Viele Pilger schlafen auch mal vor Kirchen, da gibt es in Spanien fast immer ein Vordach.
Oder auf dem Sportplatz etc. Bei vielen Herbergen gibt es auch tatsächlich einen Garten oder ein Plätzchen, wo man das Zelt aufstellen kann und dann auch die Sanitäranlagen nutzen kann, wenn man nett fragt.
Ich habe auch schon erlebt, dass Herbergen in Orten, die als Etappenziel sehr gefragt sind, completo waren und wenige Kilometer weiter, in einem unbekannteren Ort, war die Herberge fast leer.
Du wirst ganz sicher immer eine Lösung finden!
Ich wünsche Dir, dass die Angst immer weniger und die Vorfreude größer wird!
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Simsim
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Simsim »

Hallo Lisa,

Der Mai ist in der Tat der vollste Monat auf dem Camino Frances und es kann passieren, dass Herbergen bei Deiner Ankunft schon voll sind. Aber dazu können Dir andere hier mehr berichten, denn ich kenne den Weg zwar sehr gut, aber gehe ihn nur im Winter.
Zum Zelten kann ich Dir mehr sagen:
Am Camino Frances gibt es nicht viele Herbergen, bei denen das Zelten möglich ist, und wenn dann zumeist nur zum vollen Preis. Aber auch wenn offiziell das freie Zelten in Spanien verboten ist, so ist es doch am Camino geduldet, auch von der Polizei, so lange man sich möglichst diskret verhält, am besten unsichtbar vom Weg aus. Ich selbst gehe nur mit Zelt, seit vielen Jahren, und hatte noch nie Probleme. Es gehen wegen der stark gestiegenen Preise auch immer mehr Pilger mit Zelt, vielleicht findest Du sogar Gefährten, um nicht allein zu sein. Ich denke Du kannst vertrauen, eine Lösung findet sich wohl immer, die Infrastruktur ist auf die Pilgermassen vorbereitet.
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Pilger Franz
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Pilger Franz »

Ich würde mir den Betrag für ein Zimmer im Hostal als 'stille Reserve für alle Fälle' zurückhalten.
Das würde mich beruhigen.
Am letzten Pilgertag tät ich den Betrag, sofern ich ihn nicht benötigt habe,
dann 'auf den Kopf hauen', vielleicht gar mit andren Pilgern :-)
BC
Franz
wiesicla
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von wiesicla »

Liebe Lisa,
du bist mit deiner Angst nicht allein, ich hatte sie auch. Ich habe deshalb immer ein Zelt mitgeschleppt, und irgendwann erkannt, dass es meine Angst war, die ich huckepack getragen habe. Gebraucht hatte ich es nie, aber es hat mich immer beruhigt, dass es da gewesen wäre. Ca 1.800 km hat es mich begleitet.

Daraufhin habe ich das Zelt ausgepackt. Und den Camino del norte im August erreicht. Im August ist da immer alles voll, jeden Abend haben Pilger am Strand oder unter dem Vordach der nächsten Kirche geschlafen. Ich hatte die ersten Tage glück, war Mal die letzte, die noch ein Bett bekam und dann begann das allgemeine Bettenrennen.
Viele Pilger sind vor Sonnenaufgang los, um vor den anderen in der Schlange vor der Herberge zu sein. Ich traf morgens auf eine Gruppe, die dann hastig aufbrach, als sie mich sahen, damit ich ihnen nicht das Bett wegnehme.

Und dann ist der Groschen gefallen: ich habe mir bewusst gemacht, was passiert, wenn es mich trifft. Im schlimmsten Fall eine Nacht unter dem Vordach, aber in Gesellschaft mit anderen pilgern, die ich schon kenne. Oder ein paar Kilometer zusätzlich. Unter umständen eine ganz unerwartete Einladung, wie sie ein anderer mitPilger erlebt hat. Oder einen hospitalero, de bis 22 Uhr popup-zelte für gestrandete Pilger aufgebaut hat. Also nichts schlimmes.
Von dem Tag an war die Angst weg und ich hatte immer das Vertrauen, dass sich eine Lösung ergeben wird. Das ich behütet bin.
Ich habe danach auch noch 500m vor der Herberge die Sonne genossen, während alle an mir vorbei gehuscht sind. Das Bettenrennen habe ich innerlich gar nicht mitgemacht. Es wäre OK gewesen, wenn ich kein Bett mehr bekommen hätte.

Einen Platz in der Herberge habe ich überall noch bekommen.

Horch also in dich: bist du entspannter, wenn du das Zelt als worst Case dabei hast? Dann nimm es mit. Vielleicht geht es dir wie mir, und du wirfst es irgendwann als unnötigen Ballast raus, weil du an Vertrauen gewonnen hast.
Kannst du damit leben, wenn es Mal nichts mehr gibt? Hast du dann keine Angst und kannst entspannt laufen? Dann brauchst du das Zelt nicht und lass es daheim.

Viele Grüße
Claudia
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Simsim
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Simsim »

Das ist ein sehr schönes Statement, Claudia!

Ich dagegen brauche mein Zelt aus zwei Gründen: einmal rein finanziell, aber auch weil ich in so überfüllten Herbergen weder schlafen kann, noch will.
Ein Alptraum ist für mich der Trubel, während es draußen still und wunderschön sein kann. Natürlich ist es einsamer so, aber ich steh auch eher weniger auf gesellig feucht-fröhliche lange Abende. Dagegen sind so manche Begegnungen tagsüber oft sehr intensiv und manchmal auch über Tage und Wochen.
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Anhalter
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Anhalter »

Die Diskussion gibt es jedes Jahr aufs neue...

Ich bin 2019 und 2022 Mitte Mai in St.Jean gestartet. Beide Male war es problemlos möglich ohne Reservierung eine Herberge zu finden. Es mag gelgentlich wirklich Situationen geben in denen man nichts mehr findet. Die sind mir aber nie begegnet.

Ich verfolge da auch so ein bisschen den Ansatz "Was ist das schlimmste was passieren kann".
- nochmal 5km laufen? Für mich in der Regel kein Problem
- Auf eine teurere Unterkunft ausweichen? Dafür hat man etwas Geld in Reserve
- Im Ort rumfragen bis man irgendwo was findet? Hab ich auch schon oft genug gehört dass das klappt
- Mit Bus oder Taxi ein-zwei Orte weiter fahren? Ja, geht auch

Worst Case: Du hast eine sehr schlechte Nacht irgendwo auf dem Boden aber dann dafür eine sehr gute Geschichte.

edit: Alle, wirklich alle, die ich getroffen habe die "ein Zelt für Notfälle" dabei hatten haben es bereut das zusätzliche, nutzlose Gewicht zu schleppen. Es gab aber durchaus einige die aus Überzeugung gezeltet haben und die haben auch immer ein Örtchen gefunden. Muss man aber ein bisschen kreativ sein.
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EdwardS
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von EdwardS »

Als wir, meine damals 16-jährige Tochter und ich, 2015 im August den CF gepilgert sind, hatten wir nur in SJPdP unsere Betten reserviert, da wir erst kurz vor 22:00 Uhr ankommen konnten – Die Anfahrt aus Taizè dauerte eben so lange.

Zum Glück haben wir es gemacht. SJPdP war selbst um diese Uhrzeit voll von Italienern, die eine Unterkunft suchten. Alles, jede Herberge, jedes Hotel, einfach alles war restlos ausgebucht. Sogar alle überdachte Bänke und andere überdachte Plätze (Bushaltestellen usw.) waren belegt. Dazu hat es geregnet. Ich verstand nicht, was da los war, warum so viele und gefüllt nur Italiener da sind.

Ein paar Tage später erfuhren wir den Grund dafür. Ein "geschäftstüchtiger" italienischer Busunternehmer bot die Anfahrt nach SJPdP in einer groß angelegten Werbeaktion für für 35,- Euro (oder waren es sogar nur 25,- Euro?) an. Selbstverständlich schlugen viele bei diesem Preis zu. So fuhr er an einem einzigen Tag 35 (Ich habe mich nicht vertippt. In Worten: fünfunddreißig) volle Busse nach SJPdP. Die Menschen stiegen aus und die Busse fuhren weg. Der Kampf um eine Übernachtung ging los.

Nach ein paar Tagen "verlief" sich die Menge. Ich denke, dass die meisten aufgegeben haben. Doch in den ersten Tagen war der Weg, gelinde ausgedrückt, sehr überfüllt. Trotzdem haben wir nirgendwo reserviert.

Als wir kurz vor Puente de la Reina um ca. 16 Uhr völlig alleine auf dem Weg waren, verspürte ich schon eine gewisse innere Unruhe, keine Betten zu bekommen. Da kam wohl die väterliche Führsorge durch. So fragte ich meine Tochter, was wir denn machen werden, wenn wir keine Betten bekommen sollten.
Ihre Antwort darauf:
"Ach Papa, darum werden wir uns kümmern, wenn wir da sind. Denke jetzt nicht darüber nach, genieße einfach den Weg! Wir werden schon was bekommen."
"Und wenn nicht?", fragte ich nach.
"Na ja... Ich wollte schon immer wissen, wie es ist, unter einer Brücke zu schlafen. Und die Brücke in Puente de la Reina soll ja besonders schön sein."

In diesem Sinne wünsche ich allen "Besorgten": Buen Camino! Genießt den Weg!
"Ein Schritt nach dem anderen, immer weiter." (www.edward-schiwek.eu)
"Ich bin von uns."
Gerhard Nikolaus
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Gerhard Nikolaus »

Im April/Mai 2023 waren auf dem Camino Frances ohne vorausschauende Buchung lediglich in den größeren Orten noch Unterkunftsmöglichkeiten spontan bei Ankunft frei.
Ich habe daher tatsächlich immer mehrere Tage voraus gebucht, wobei ich einen Mix aus klassischen Pilgerherbergen (Munzipals und private), Hostels, Pensionen und kleinen Hotels hatte. Die komfortablen Unterkünfte waren aber keine Notlösung, weil sonst nichts frei war, sondern weil ich es mir gegönnt habe ;) In manchen Pilgerherbergen, wie die der Stuttgarter Jakobsbrüder in La Faba, kann man nicht reservieren. Deren "Herbergsdampfer" ist aber so groß, dass da immer was geht. Hontanas hat eine sehr große Herberge, da rate ich aber, etwas zu reservieren.

Würde ich mich wieder zu einer "Stoßzeit" auf den CF machen, würde ich auch dann wieder kein Zelt mitnehmen. Wenn das Zelt für Dich nur eine Notlösung wäre und Du das Zelten nicht fest einplanst, spare Dir die Schlepperei.

Ich muss aber auch sagen, dass ich das vorausschauende Buchen keineswegs als Einschränkung von Spontanität usw. empfunden habe. Es gab mir sogar ein gutes Gefühl, nach einer langen Tagesetappe zu wissen, wo ich unterkomme, ohne erst noch in den jeweiligen Orten nach einem Bett fragen zu müssen.
Camino Francés April/Mai 2022
Camino Francés April/Mai 2023
Olavsweg (Lillehammer - Trondheim) Juli 2023
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FredMario
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von FredMario »

Gerhard Nikolaus hat geschrieben: 5. Apr 2024, 10:45 Ich muss aber auch sagen, dass ich das vorausschauende Buchen keineswegs als Einschränkung von Spontanität usw. empfunden habe. Es gab mir sogar ein gutes Gefühl, nach einer langen Tagesetappe zu wissen, wo ich unterkomme, ohne erst noch in den jeweiligen Orten nach einem Bett fragen zu müssen.
👍🏼

Mario
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Kaffeemond
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Re: Die Angst, keine Unterkunft zu finden

Beitrag von Kaffeemond »

Ich danke euch ganz herzlich für all eure Antworten und Eindrücke!

Ich habe bisher die ersten 5 Unterkünfte vorgebucht und werde wahrscheinlich schauen, dass ich auf dem Weg ein oder zwei Tage im Vorraus Etappen "abstecke" und eventuell schon den Schlafplatz reserviere.
(Zumindest wäre das so mein Wunschgedanke - ob meine Angst, irgendwann doch irgendwo bettenlos dazustehen, das aushält, ist eine andere Frage :roll: )
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