Nachdenken über das Pilgern

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
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Monasteria
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Monasteria »

Ich verstehe das so, dass der CF einfach nur das bekannteste Wegstück ist und daher von Dirk zu Grunde gelegt wird. Ja, vieles ist mittlerweile touristisch, aber dieses Seminar sucht wenigstens nach den Gründen, warum Menschen sich diesem Weg stellen und versucht herauszufinden was sie dabei spüren könnten, würden.

Tut mir leid, aber ich verstehe nicht, was an diesem Seminar selbstdarstellerisch ist. Meinst Du die Selbstdarstellung der PilgerInnen oder die Selbstdarstellung des Orgnaisators?
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Matt Merchant
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Matt Merchant »

dirkHeckflosse hat geschrieben: 3. Jan 2024, 22:39 Gern skizziere ich, was ich mit Mythos Camino Francés meine:
Ein Mythos ist nach C.G. Jung eine sinnvolle und hilfreiche Abfolge von Symbolen, die wie z.B. in Märchen Biografien verändern und heilen können. Der CF ist sozusagen das Brennglas, in dem sich hunderte von Jahren zig tausende von Pilgererfahrungen verdichten.
Lieber Dirk,

danke Dir für Deine guten Erläuterungen und Präzisierungen. Deine Definition hilft mir schon sehr weiter;
Du benutzt also wirklich nach C.G. Jung einen anderen Mythos-Begriff als ich.
Jung ist cool.

Ich glaube aber, dass Deine Theorie mithilfe des berühmten "Ritual"-Begriffs nach Victor Turner noch viel besser und präziser erfasst werden könnte:
Der Camino als großes Passage-Ritual... Simone schlug weiter oben ja sehr ähnliches vor...

Beispielsweise gibt es ja gerade bei esoterisch orientierten Pilger*innen die beliebte Dreiteilung, der Weg bis Burgos sei das alte Leben, die Meseta bis León dann der Tod und das letzte Drittel des Camino der Aufbruch ins neue Leben.
Das Cruz de Ferro zum Beispiel wäre mithin als Passage-Ritual eine Art "Charons-Münze" auf der Schwelle von Tod zu neuem Leben...

Interessant finde ich aber trotzdem und immer wieder, dass sich der Camino eben nicht in dieser "traumwandlerischen" Dimension erschöpft, sondern für Jede*n handfeste Realität und Teil des "echten Lebens" wird, wer ihn wagt...

Liebe Grüße aus München,
Matthias
"Das Unscharfe um das Display herum, das ist der Camino.“ (frei nach M. M. Profitlich) :geek:
Georg 2
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Georg 2 »

es gibt ihn den Myhthos zweifellos ,leider wird dieser mittlerweile gnadenlos kommerziell ausgeschlachtet ... frag Dr. Google
und man findet unzählige angebote die diesen Hype deutlich machen.

Der Camino Frances ist der bekannteste und am besten vermarktete Pilgerweg weltweit,man kann sein Glück dort finden
nur man kann es nicht erkaufen ;)


georg
Georg 2
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Georg 2 »

der Myhtos Cruz de Ferro

vor jahrzehnten habe ich gelesen das der Ursprung des symbolträchtigen Steinhaufens am Cruz de Ferro
darauf beruht das beim Straßenbau ganz profan eine Fuhre Steine dort abgelagert wurde,und
diese Kultstätte erst seit den 80er jahren besteht

bitte nicht steinigen falls das nicht stimmt :shock:

georg
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Camineiro
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Camineiro »

Georg 2 hat geschrieben: 4. Jan 2024, 18:28 der Myhtos Cruz de Ferro

vor jahrzehnten habe ich gelesen das der Ursprung des symbolträchtigen Steinhaufens am Cruz de Ferro
darauf beruht das beim Straßenbau ganz profan eine Fuhre Steine dort abgelagert wurde,und
diese Kultstätte erst seit den 80er jahren besteht

bitte nicht steinigen falls das nicht stimmt :shock:

georg
Vielleicht kann dieser Wikipedia-Artikel das Dunkel erhellen.
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dirkHeckflosse
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von dirkHeckflosse »

Vielen Dank für eure Anregungen. Ich will mir Viktor Turner mal anschauen. Das Theoriegerüst kann erweitert und umgebaut werden.

Was ich vor allem Suche sind besondere Orte auf dem Camino Francés. 25 solcher Orte habe ich schon im Blick, z.B. mit der Puente la Reina kann man wunderbar die Symboldidaktik Peter Biehls unter Rückgriff auf Paul Ricoeur erklären. Und natürlich das Cruze de Ferro. Für Hape Kerkeling war es die Meseta mit Schrift an der Wand: Du und ich.

Gibt es für euch einen solchen Ort? Was bedeutet der Ort ür euch und warum ist er wichtig?


Ultreya! dirk
Dirk Heckmann
Pfarrer für Bildung und Pilgern
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Simsim
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Simsim »

:D Sorry, vielleicht nehm ich Dein Anliegen nicht ernst genug....aber irgendwie kommt mir immer, wenn ich Deine Beiträge lese, in den Sinn: "nimm Deinen Rucksack und lauf einfach, nimm den Camino nicht allzu theoretisch auseinander... erlebe ihn mit Deinem ganzen Wesen und lass Dich von ihm überraschen und verwandeln ".

P.s.: die Meseta ist kein Ort, sondern die riesige kastilische Hochebene, eine immense Agrarwüste.
Zuletzt geändert von Simsim am 5. Jan 2024, 10:29, insgesamt 1-mal geändert.
Georg 2
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Georg 2 »

Camineiro hat geschrieben: 4. Jan 2024, 18:33
Georg 2 hat geschrieben: 4. Jan 2024, 18:28 der Myhtos Cruz de Ferro

vor jahrzehnten habe ich gelesen das der Ursprung des symbolträchtigen Steinhaufens am Cruz de Ferro
darauf beruht das beim Straßenbau ganz profan eine Fuhre Steine dort abgelagert wurde,und
diese Kultstätte erst seit den 80er jahren besteht

bitte nicht steinigen falls das nicht stimmt :shock:

georg
Vielleicht kann dieser Wikipedia-Artikel das Dunkel erhellen.
ja da kommt licht ins dunkel :!:
leider muss ich die Autorin des Artikels als befangen erklären da sich besonders Mythen auch gut verkaufen ;)

georg
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Pater Norbert
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Pater Norbert »

dirkHeckflosse hat geschrieben: 5. Jan 2024, 08:18 Gibt es für euch einen solchen Ort? Was bedeutet der Ort ür euch und warum ist er wichtig?
Ultreya! dirk
Hallo Dirk,

es gibt diese Orte für mich, die mit Begegnungen zu tun haben. Wenn ich dort wieder vorbeikomme, dann kommt die Erinnerung hoch an diese Begegnungen und das, was daraus wurde:

In der Ost-West Richtung

Der Marktplatz von Mañeru
Die Wiese neben der Herberge in Ledigos
Die Wiese neben der Herberge in Bercianos del Real Camino
Eine Weggabelung am Camino Duro hinter Ponferrada
Wer pilgert, wird von einem Virus infiziert, das nicht vergeht.
Gemerkt im März 2022. Avatar stammt aus Juni 2023.
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Gertrudis
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Gertrudis »

"Besondere Orte" ..."Symboldidaktik"...

Um meinen Heimatort herum gibt es mehrere von es sicher gut gemeint habenden, spirituell motivierten Menschen in Kooperation mit dem regionalen Tourismusverband eingerichtete "Pilgerwege", die auch durchaus gerne begangen werden. Dort finden sich alle paar Kilometer Impulstafeln mit kurzen Gedanken und erläuternden Texten, wo Pilger und Pilgerin auf die Besonderheit des Ortes aufmerksam gemacht, auf eine Symbolik hingewiesen, in eine bestimmte Denkrichtung gelenkt werden...

Ich habe auch bei der Erzdiözese die Ausbildung zur Pilgerbegleiterin absolviert und gelernt, wie man seine Pilgergruppe mittels Impulsen dazu anregt, sich Gedanken zu machen bzw überhaupt etwas von der Umgebung bzw. von sich selber wahrzunehmen.
Ich habe mich jedoch noch nie durchringen können, eine Gruppe in der erlernten Weise zu leiten.

Mich persönlich nerven die Impulstafeln eher - selbst wenn die Texte ganz nett sind und teilweise durchaus eine gewisse Tiefe haben und zum Denken anregen könnten...
Aber wenn ich auf meinem Weg unterwegs bin, möchte ich gerne meine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen machen und da brauche ich diese Art von Nudging und betreutem Pilgern ganz und gar nicht.

Ok, ich erlebe, dass sehr viele Menschen sehr wohl dankbar sind, wenn ihnen gesagt wird, was sie sehen, denken, fühlen sollen und dass sie sich dann tatsächlich bereichert fühlen.

Mein Anliegen wäre aber eher, wie man zu echter Authentizität findet, wie man die eigene Wahrnehmung schärft, anstatt Vorgegebenes einfach zu übernehmen und am Ende für eigene Erkenntnis zu halten.

Ich habe oben die Arbeit von Barbara Haab erwähnt - sie hat unvoreingenommene Feldforschung betrieben und konnte bestimmte Regelmäßigkeiten beobachten - an bestimmten Orten hat eine überdurchschnittliche Anzahl von Pilgern mehr oder weniger ähnliche innere Erfahrungen gemacht.
Diese Pilgerinnen und Pilger hatten aber vorher keine Texte bekommen, in denen sie schon vorher darauf eingestimmt worden sind, welche typische oder archetypische Erfahrung sie an bestimmten Orten (Bergpass, Brücke, Cruz de Ferro, Quelle, Meseta u.s.w.) erwarten würde.

Wenn "Pilgern" beinhaltet, zu sich selbst zu finden, sich die Frage nach dem eigenen Sein, dem eigenen Woher und Wohin zu stellen, sind meiner Meinung nach vorgefertigte "Lösungswege" in Form von Impulsen oder aufbereiteten "Mythen" eventuell eher kontraproduktiv...

Aber das Denken, Fühlen, Handeln in vorgefertigten Bahnen ist natürlich derzeit das Übliche und auch Erwünschte. Bereits in Schule und Uni lernen die jungen Menschen, dass das belohnt wird und Karriere verspricht, was als richtig und gut vorgegeben ist, und abweichende Gedanken und Ideen werden nicht als etwas Kreatives, vielleicht neue Wege Eröffnendes belohnt, sondern schlimmstenfall droht den Selberdenkern Ausgrenzung und Diffamierung... aber das ist ein anderes Thema.

Worum geht es mir - Natürlich kann man Konzepte und Strukturen zum Thema Camino und Pilgererfahrung erstellen.
Vielleicht ist "betreutes Pilgern" für manche hilfreich.
Für mich hat Pilgern (neben dem Aspekt der Gemeinschaft und des Willkommenseins) aber noch immer diesen Aspekt des "Wanderns in der Fremde", also ein Alleingelassensein und sich der Unsicherheit stellen Müssen, das mich letztlich zu meiner wirklich eigenen authentischen Erfahrung führen kann... und das ist etwas, was derzeit nur schwer erfahrbar ist und besonders schwer auf dem Camino Frances.
Aber das ist meine Sicht der Dinge.
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Pater Norbert
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Pater Norbert »

Ich habe mich mit dem Begriff Mythos bei meinen angedeuteten Orten schwer getan.

Ich denke da eher an einen Begriff, den ich von den Psychologen gelernt habe: Es sind auratische Orte zumindest für mich.
Wer pilgert, wird von einem Virus infiziert, das nicht vergeht.
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Simsim
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Simsim »

und das ist etwas, was derzeit nur schwer erfahrbar ist und besonders schwer auf dem Camino Frances.
Gertrudis, ich bin sehr einig mit Deinen Zeilen, bis auf die oben zitierte.
Ich meinte ansonsten, ganz kurz gefasst, das Gleiche wie Du mit meinem letzten Beitrag: "Geh und sieh, lass Dich überraschen" und damit einhergehend:"vertraue, dass der Weg keine Theorie braucht", denn er richtet sich sehr persönlich an jeden anders, und dem steht allzuviel Deutung und Eingabe eher als Hindernis entgegen.

Dass die ganz eigene und manchmal transformierende Erfahrung am schwersten auf dem CF gemacht werden kann, ist aus meiner Sicht nicht zutreffend.
Ich habe noch in diesem beginnenden Winter und auch im letzten Jahr sehr viele Pilger getroffen, denen genau das auf dem CF wiederfahren ist.
Erfahrungen, die sie so nie erwartet hätten und die nur möglich waren, weil sie sich in der dichten Infrastruktur und inmitten vieler Mitpilger sicher und geborgen fühlten.
Der besondere Geist des Camino wirkt noch immer....wenn auch verborgener als früher und vom Lärm der Oberflächlichkeit manchmal fast übertönt, aber nur fast...
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Gertrudis
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Gertrudis »

Ja, Du bist da tatsächlich näher dran, Simone, und ich hatte in den letzten Jahren wenig mit dem CF zu tun. Wahrscheinlich gehe ich zu viel von mir und meinen persönlichen Erfahrungen aus, und ich komme mit wenig Menschen und sparsamer Infrastruktur deutlich besser klar als mit Menschenmassen. Aber natürlich darf ich nicht von mir auf andere schließen.
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Simsim
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Simsim »

Gertrudis hat geschrieben: 5. Jan 2024, 20:05 Ja, Du bist da tatsächlich näher dran, Simone, und ich hatte in den letzten Jahren wenig mit dem CF zu tun. Wahrscheinlich gehe ich zu viel von mir und meinen persönlichen Erfahrungen aus, und ich komme mit wenig Menschen und sparsamer Infrastruktur deutlich besser klar als mit Menschenmassen. Aber natürlich darf ich nicht von mir auf andere schließen.
Und ich kenne die Situation mit Menschenmassen auf dem CF gar nicht, denn ich gehe ihm seit 2012 nur im Winter....ebenso wie die Auswahl der anderen Pilger, die natürlich auch aus bestimmten Gründen nicht in der Saison laufen.
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Steven
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Re: Nachdenken über das Pilgern

Beitrag von Steven »

Liebe Gertrudis,

danke schön übrigens für den Buchtipp "Weg und Wandlung" von Barbara Haab - habe ich gleich als Ausleihe in der Staatsbib bestellt und ich freue mich darauf. Ich habe online in der Bib in den Aufsatz "Pilgerfahrt - Weg und Bewegung" reingelesen und da kommen Ausagen wie es gibt keine Pilgerfahrt ohne Ausrichtung auf eine Transzendenz. Damit ist für mich schon fast alles gesagt/geschrieben, die Erfahrung muss dann jeder selbst machen.

Danke Dirk für die Anregungen und den Pilgerworkshop, hört sich klasse an. Besondere Orte auf dem Camino, das hat bei mir meist mit tiefen Empfindungen und Einsichten zu tuen, die meinen Horizont erweitern. Da ist das Gefühl viel prägender als der Ort. Sollte ich dann doch beides verknüpfen: Ich hatte im Kloster Einsiedeln ein prägendes Erlebnis und am Ende des CF, in Südfrankreich konnte ich tiefen und langgehegten Groll loslassen. Bei den halbwilden Camargue-Pferden im Rhônedelta habe ich erfahren was Freiheit für mich bedeutet. Manche meiner Erfahrungen sind zu persönlich, die vertraue ich nur meinem TB und vll. meiner Partnerin an.

OT: Ich habe die letzten Monate viele Wanderungen und Trails gemacht die jetzt nichts mit dem Jakobsweg zu tuen haben und bin von der Natur überwältigt, von der Schönheit der verschlungenen und versunkenen Wege und schlussendlich fühle ich mich auf all den Wegen mit der Natur verbunden, vll. ist das genau das Gegenteil von Einsamkeit.

Jeder Weg ist ist für magisch, wenn ich mit offenen Augen losgehe.

Alles Gute & viele Grüße, Steven
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