Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
Poorboy
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Poorboy »

Simsim hat geschrieben: 11. Jun 2023, 08:28 Danke Poorboy!
Meinst Du, dass das extrem anmutende Verhalten mancher Ankömmlinge auch so wäre, wenn es keine Fotos und Filme davon geben könnte? D.h. hast Du die Aufregung als authentisch empfunden oder eher als Theater?
Na ja, das ist eine gute Frage Simsim. Ich möchte niemanden beurteilen bzw. verurteilen. Das Mobiltelefon und die sozialen Medien haben sicher viel damit zu tun. Bei einigen war ihr Verhalten sicher authentisch. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass der Camino für manche Pilger eine sehr tiefe Bedeutung hat. Trotzdem ist doch die Frage warum dann alles auf grosser Bühne ausgelebt werden muss. Ich fand die Theatralik teilweise schon erschreckend. Der Zwang alles sofort zu teilen und zu präsentieren ist schon erschreckend und verhindert sicher oft für sich und bei sich in der Gegenwart zu sein. Ich habe schon ein paar längere Reisen unternommen und wurde immer wieder gefragt ob ich bei Facebook darüber berichte, ein Buch schreibe, Youtube Videos mache usw. Wir wollen halt heute alles konsumieren. Erlebnisse und Erfahrungen aus 2. Hand haben schon ihre Berechtigung aber man sollte das Eine nicht mit dem Anderen verwechseln.
Eine Kollegin (ich bin Erzieher in einer KiTa) hat einmal ein Bild von sich in das Freundschafts-Album eines Kindes eingeklebt, das fast bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet war. Weich gezeichnet, Augen vergrößert, Haut aufgehellt und bereinigt, Gesicht verschmälert - volles Programm! Da muss ich echt kotzen...
"Afoot and light-hearted I take to the open road, healthy, free, the world before me, the long brown path before me leading wherever I choose."
- Walt Whitman
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Simsim
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Simsim »

Ja...da bin ich wirklich voll und ganz bei Dir, Pooboy.

Manchmal wünsche ich mir in der Phantasie, dass mal für drei Monate das Internet ganz ausfällt....außer für rein technische, informative Zwecke, sagen wir mal.
Ich stelle mir dann vor, wie sich das menschliche Miteinander dadurch verändert, wie man irgendwie wieder "normal" miteinander umgeht, wie man wieder mehr auf die Leute achtet, die einen unmittelbar umgeben, anstatt sich über "Likes" auf dem Bildschirm zu sorgen, u.s.w..
Georg 2
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Georg 2 »

ich beobachte immer dieses lächerliche Fotoshooting vor der Kathedrale von den Arkaden aus :o ,besser als Hollywood
wirklich grosses Kino.....

der Camino als Event ;)
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Frau Holle
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Frau Holle »

Simsim hat geschrieben: 11. Jun 2023, 11:32 Ja...da bin ich wirklich voll und ganz bei Dir, Pooboy.

Manchmal wünsche ich mir in der Phantasie, dass mal für drei Monate das Internet ganz ausfällt....außer für rein technische, informative Zwecke, sagen wir mal.
Ich stelle mir dann vor, wie sich das menschliche Miteinander dadurch verändert, wie man irgendwie wieder "normal" miteinander umgeht, wie man wieder mehr auf die Leute achtet, die einen unmittelbar umgeben, anstatt sich über "Likes" auf dem Bildschirm zu sorgen, u.s.w..
Interessant wäre ob sich die Menschen dann anders fotografieren lassen würden; denn während wir zusehen wie Menschen Fotos machen wissen wir ja gar nicht für welchen Zweck sie es tun.
Vielleicht ist es auch fürs eigene Fotoalbum gedacht und gar nicht für Facebook
u l t r e i a
Caminoymas
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Caminoymas »

Da ist wohl jeder Pilger anders: mir sind die Stempel eine schöne Erinnerung, aber eine Compostela habe und brauche ich nicht. Sicher werden wir noch einmal eine Pilgerwanderung machen, aber sicher nicht mit Santiago als Ziel. Die weite Anreise ist für mich auch ökologisch fragwürdig, auch wenn wir nicht geflogen sind.
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Raimund Joos
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Raimund Joos »

Caminoymas hat geschrieben: 10. Jun 2023, 10:23 Hallo, wir sind beide sehr ernüchtert und regelrecht abgestoßen vom Kommerz und Trubel der Stadt Santiago de Compostela heute wieder aufgebrochen. Weder vor der Kathedrale noch in der Pilgermesse hat sich dieses Gefühl verändert. Ganz anders war dies beispielsweise in Taizé oder bei der Pilgermesse in Le Puy en Velay zu Beginn der Via Podiensis. Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Liebe Grüße
Ja - das kann ich in der Zwischenzeit auch verstehen! Besser nicht zu viele Hoffnungen an dieses (inzwischen stellenweise zweifelhafte) "Ziel" hegen, nicht zu lange dort aufhalten und evtl gleich nach Finisterre oder Muxia weiterlaufen. "Der Weg ist das Ziel" und nach dem Camino ist vor dem Camino.

Natürlich gibt es dort ein paar Plätze in die man sich "retten" kann aber alleine dass dies notwendig ist und man die kennen muß spricht schon für sich.

So lange von der Kirche und Galicien der Pilgerkommerz auf den letzten 100 km und somit in Santiago so weiter betrieben wird wie im Moment wird sich da wohl auch nicht viel an diesem unheiligen Zustand ändern... Haupsache die Kasse in Kirche und Tourismus stimmt - Einmal kräftig drübergesegnet, Augen zu - abkassieren - und durch - hallelujah!

BC

Raimund
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Raimund Joos
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Raimund Joos »

Caminoymas hat geschrieben: 11. Jun 2023, 14:23 Sicher werden wir noch einmal eine Pilgerwanderung machen, aber sicher nicht mit Santiago als Ziel.Die weite Anreise ist für mich auch ökologisch fragwürdig, auch wenn wir nicht geflogen sind.
Was das "Ziel" ageht habe ich da eben schon was dazu geschrieben...

Dass es kaum zu verantworten ist für 100 km Jakobsweg anzureisen, da gebe ich dir recht - Da pilgern aber wenn man sich beschieden verhält im Vergleich zu einem normalen Hotel-Tourisums doch recht wenige Resurcen verbraucht finde ich es schon zu verantworten wenn man nach der Anreise dann einige Wochen unterwegs ist.

Besser ist natürlich bei der Anreise auch auf die CO2 Bilanz zu achten.

BC

Raimund
Caminoymas
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Re: Post-Camino-Blues, Enttäuschung in Santiago

Beitrag von Caminoymas »

Nur wegen 100 km wäre ich sicher nicht angereist, wir sind fast 4 Wochen unterwegs. Aber gelaufen sind wir tatsächlich nur 120.
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