Europa ohne Gott ☆ Was bleibt von Europa, wenn das Christentum verschwindet?

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Via Comitis
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Europa ohne Gott ☆ Was bleibt von Europa, wenn das Christentum verschwindet?

Beitrag von Via Comitis »

Via Comitis hat geschrieben: 12. Mär 2023, 15:00 "Hinter dem Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen verbirgt sich eine Erosion des christlichen Glaubens, die noch weit grössere Ausmasse hat". [Quelle] (Thread)
"Ohne die Religionen und ihren Beitrag zur Wertebildung ist eine Zukunft Europas unvorstellbar." [Quelle]

"Das zentrale Problem scheint vielmehr darin zu liegen, dass Gott vielerorts gar nicht mehr „gebraucht“ wird, dass er im Leben der Menschen nicht mehr vorkommt und dass so viele „Christen“ einfach nicht wissen, worum es geht, weil sie die Bibel nicht lesen und niemand da ist, der sie ihnen erklärt." [Quelle]

Ich behaupte nicht das Christen bessere Menschen sind, aber als gläubiger Christ fühle ich mich mit den Veränderungen in Europa "unwohl".


Gruss

Stefan :-)


Hinweis: Dieser Thread soll keine Diskriminierung der Nicht-Christen sein > "... hat das Europäische Parlament den EU-Menschenrechtsbericht 2022 veröffentlicht. Anders als in früheren Jahren, bezieht die aktuelle Ausgabe deutlich Stellung für die weltanschaulichen Rechte von Säkularen, Humanisten und Atheisten." [Quelle]
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Matt Merchant
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Re: Europa ohne Gott ☆ Was bleibt von Europa, wenn das Christentum verschwindet?

Beitrag von Matt Merchant »

Lieber Stefan,

ich finde Deinen Beitrag etwas befremdlich,
denn er unkt m.E. irgendwie in Richtung "Untergang des Abendlandes"...

Auch setzt er (unbewusst?) Religion und Christentum gleich, was ich durchaus problematisch, weil latent intolerant finde...
Religion(en) und Spiritualität sind ein weites Feld. Und wenn wir uns die Geschichte der Völkerwanderungen vor gerade einmal 1500 Jahren ansehen, so stellen wir fest, dass selbst die Christianisierung Europas schon immer ein sehr ambivalentes und zuweilen sehr sündhaftes Phänomen war...

Wir wissen doch beide: Viele (Glaubwürdigkeits-)Krisen unserer Kirchen sind hausgemacht. Da sollten wir erst einmal anfangen, im Rahmen unserer bescheidenen Mittel und Möglichkeiten gute (Wieder-)Aufbauarbeit zu leisten, bevor wir das Ende Europas beklagen...
Dazu will ich Dich herzlich motivieren und einladen.
Der liebe Gott hat gewiss einen Heilsplan. Aber der ist gewiss nicht politisch... ;-)

Einen gesegneten Weißen Sonntag wünscht
Matthias
"Das Unscharfe um das Display herum, das ist der Camino.“ (frei nach M. M. Profitlich) :geek:
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chrisbee
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Re: Europa ohne Gott ☆ Was bleibt von Europa, wenn das Christentum verschwindet?

Beitrag von chrisbee »

Aus meiner nicht-konfessionellen Sicht:

Nach 3 Monaten (und vielen Seminarsitzungen) an der Frankfurter Uni zur Schrift „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ von Immanuel Kant ziehe ich den Schluss, dass der angebliche „Alleszertrümmerer“ Kant unverdrossen die Religion empfiehlt. Natürlich nicht irgendeine, nicht irgendwelchen Fetisch- oder Aberglauben oder Kirchendogmen, sondern das, was er als ein Gebot der Vernunft bezeichnet, nämlich die Annahme eines höheren, moralischen, heiligen und allvermögenden Wesens, das die Moral verkörpern soll, nach der wir als Menschen untereinander ein gutes Leben führen können. (siehe auch seinen „kategorischen Imperativ“: möglichst nur dasjenige zu tun, was für alle gelten könnte)

Das Religions- Thema behandelt er unabhängig von der Frage, ob es nun einen Gott gibt und die Gebote von ihm stammen oder nicht (anders gesagt: was wir als menschliche Wesen in unserer menschlichen Beschränktheit nicht beweisen können, das ist ja trotzdem möglich und sollte man nie ausschließen... aber darüber braucht man nicht zu streiten), aber egal wie: an Gott zu glauben, das mache, meint Kant, für Menschen Sinn. Zwar gehöre die Moral zur menschlichen Grundausstattung – aber weil wir nun mal physische Wesen sind, brauchen wir etwas Handfestes, außerdem brauchen wir Hilfestellung bei der Orientierung (der Mensch ist prinzipiell frei und kann sich für oder gegen etwas entscheiden) und nicht zuletzt müssen wir unsere Neigungen zum Bösen, die wir ja auch noch haben (der Mensch sei aus einem „krummen Holze“), disziplinieren können. Dazu seien wir uns als Gattung Mensch uns selbst gegenüber verpflichtet. Man denke sich Gott hinzu, weil das so einfacher ist.

Das neue Testament hält Kant für ein praktikables Kompendium moralischer Gebote. In Christus sieht er das Ideal des Guten, das man nie erreichen wird, aber doch immer anstreben sollte. Kant zeigt hier allergrößten Respekt. Und er meint, dass auf ein glückliches Gemüt alle hoffen dürfen, die sich im Einklang mit dem universellen moralischen Kompass verstehen. Er plädiert für eine christliche Vernunftreligion.

Mir ist klar, dass Kant Religion nur im Rahmen seines Vernunftbegriffes interpretiert und dies nur eine unter vielen Sichtweisen ist. Meines Wissens ist er nach wie vor der Lieblingsfeind der katholischen Kirche. Und er gilt neuerdings – von postkolonialen und anti-westlichen Aktivisten und Gläubigen ausgehend – auch als Rassist und ideologischer Mitverantwortlicher des neuzeitlichen, europäischen Kolonialismus.

Aber egal, mir ist etwas anderes wichtig: Kants Religionsschrift erschien zu Zeiten der französischen Revolution, die er begrüßte und trotz aller furchtbaren Geschichten, die damit verbunden waren, als eine Zäsur in der menschlichen Zivilisationsgeschichte ansah, hinter die niemand mehr zurückkönne. Vor allem wegen der Proklamationen der universellen Menschenrechte und deren allmählicher, wenn auch mehr oder weniger gelungenen Durchsetzung in westlichen Gesellschaften. Hier kamen Mehrheiten zustande, die schlussendlich auch ein internationales Verbot der jahrtausendealten Sklavenhaltungen durchsetzten. Im letzten Jahrhundert dann fand– im Sinne Kants – die Gründung der Vereinten Nationen statt. Alles Fortschritte – die ich persönlich auch so verstehe. Und alles Fortschritte, die, und da denke ich wie viele andere, auch scheibchenweise wieder abgetragen werden können. Bzw. an Grenzen stoßen, die etwa der Klimawandel setzt und das große Artensterben, in dem wir jetzt drinstecken - was noch große Probleme bringen wird und was zu neuen Anpassungsleistungen zwingt. Mit offenem Ausgang.

Ich kann mir gut vorstellen, dass etwas mehr Vernunftdenken a la Kant nicht verkehrt ist. Aufbauarbeit an der Kirche, wie Matthias meint, sicher auch nicht.

chrisbee
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