Mit dem Motorrad am Jakobsweg entlang
Heinz Lorenz ist nach Santiago de Compostela gepilgert. Auf zwei Rädern hat er 4500 Kilometer in zehn Tagen zurückgelegt.
In einer Bucht in Frankreich traf Heinz Lorenz auf einen jungen Spanier, der dieses Foto für ihn gemacht hat. HEINZ LORENZ
VON RUTH HIEN
MERZIG/SANTIAGO DE COMPOSTELA | Zum Grab des Apostels Jakob nach Santiago de Compostela pilgern, den Kopf frei bekommen – Heinz Lorenz aus Merzig ist der Meinung, dass viele Menschen das gerne machen würden. Wollte er auch. „Aber wo bleibt uns denn die Zeit?“, fragt er. Also hat sich der 63-Jährige für einen eher ungewöhnlichen Pilgerweg entschieden. Mit dem Motorrad hat er sich Mitte November auf den Weg gemacht: von Merzig aus über Tours bis Bordeaux, an der atlantischen Küste vorbei über Bilbao und Santander bis nach Santiago de Compostela. Und wieder zurück. 4500 Kilometer in zehn Tagen, ganz alleine. Der SZ berichtet er von seinen Erlebnissen.
„Mir ging es darum, dass ich für mich in meinem Leben die Schubladen aufräume“, sagt Lorenz. Im Alltag finde man zwischen Arbeit, Familie und Hobbys kaum Gelegenheit, etwas zu Ende zu denken. Lorenz, der in St. Wendel geboren wurde und seit 1975 in Mettlach und später Merzig lebt, bezeichnet sich als Familienmensch, auch in seinem Vertriebs-Job habe er viel mit Menschen zu tun. „Ich wollte mal alleine sein. Die Gelegenheit hatte ich noch nie in meinem Leben.“ Viele, die den Pilgerort erreichen wollen, könnten dies nur motorisiert schaffen, ist Lorenz überzeugt. Sei es, weil die Zeit fehlt, es an der Fitness mangelt oder weil die Gesundheit nicht mitspielt. So fahren beispielsweise viele mit dem Zug bis kurz vors Ziel und laufen nur die letzten 100 Kilometer auf dem Jakobsweg zu Fuß. In Santiago de Compostela angekommen, habe Heinz Lorenz mit einem Bankier mit Burnout gesprochen. Dieser sei in Madrid in den Zug eingestiegen, um zur letzten Passage des Jakobswegs zu gelangen, und habe im Abteil drei weitere Reisende mit Rucksack getroffen. „Und jeder hat seine Lebensgeschichte. Da ist man nicht für sich alleine.“
Den Jakobsweg kannte Lorenz zuvor „natürlich vom Hörensagen“, auch den Bestseller „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling hatte er gelesen. Tatsächlich hat er auch ein Buch über einen Motorrad-Pilger gefunden und gekauft – aber nach wenigen Seiten weggelegt. Zu selbstdarstellerisch, findet Lorenz. Er hat sich bei der deutschen Jakobsweg-Zentrale angemeldet, Aufnäher für die Jacke und Aufkleber fürs Motorrad bestellt – und den offiziellen Pilgerpass, den man unterwegs unter anderem in Herbergen und Kirchen stempeln lassen kann. Wer mindestens die letzten 100 Kilometer bis Santiago de Compostela zu Fuß geht oder die letzten 200 Kilometer mit dem Fahrrad fährt, kann sich am Ende eine Pilgerurkunde, die sogenannte Compostela, ausstellen lassen. Da er motorisiert unterwegs war, hat Lorenz die Stempel bekommen, aber keine Urkunde, darauf habe er aber auch keinen Wert gelegt. Der 63-Jährige hat sich eingelesen, das Gepäck auf ein Minimum reduziert – und sich auf den Weg gemacht.
Das erste tolle Erlebnis hatte er gleich in Frankreich, hinter Verdun, erzählt Lorenz. Auf der Autobahn zeigte das Motorrad an, dass das Benzin noch für 60 Kilometer reicht, woraus schnell 50, 40, 30 wurden. Da auf der Strecke keine Tankstelle war, fuhr Lorenz auf der Suche nach einer von der Autobahn ab. Bis er mit leerem Tank in einem kleinen Ort anhalten musste. Ein junger Mann half ihm, telefonierte, und ein älteres Paar brachte Benzin vorbei, sodass Lorenz weiterfahren konnte. „Daraus habe ich gelernt, dass ich unterwegs mehr Sprit brauche.“ Nicht nur, weil er jeden Tag etwa 500 Kilometer gefahren ist und damit deutlich mehr als sonst. Sondern auch, weil das Motorrad mit dem Gepäck und bei der Geschwindigkeit, die Lorenz dauernd gefahren ist, mehr verbrauchte als sonst. Die Lösung: ein zusätzlicher Kanister.
„Am zweiten Tag habe ich, ohne dass ich das vorher geplant hatte, 500 Bilder aus meinem Telefon gelöscht.“ Er habe sich gefragt, mit wem er da eigentlich alles bei Facebook schreibe, ob er die Leute wirklich kenne und sei aus Gruppen ausgetreten. „Das kommt unterwegs, ganz von selbst.“ Geändert hat er in dieser Zeit übrigens auch seine Meinung zum Tempolimit: Dass beim Überholen nicht plötzlich einer mit 200 Sachen, mit der Lichthupe blinkend, von hinten angerast komme, sondern alle mit 120, 130 Stundenkilometer fahren, empfand er als ganz angenehm.
Auf seinem Weg hat Lorenz nicht allzu viele Menschen getroffen. In einer ansonsten menschenleeren Bucht in Frankreich fand er einen jungen Spanier, der mit seinem Van unterwegs war und einfach am Meer saß. Eine Stunde lang unterhielten sie sich und machten Fotos. Auf einem Rastplatz begegnete er einer jungen Lkw-Fahrerin, die er zuvor schon an einer Tankstelle getroffen hatte, und sie fuhren ein Stück zusammen. Der einzige Motorradfahrer unterwegs war ein Finne. Der allerdings zu wenig Englisch konnte, als dass sie sich gut hätten unterhalten können. Sein Ziel war aber ein anderes, nicht Santiago de Compostela. Auch wenn im November nicht so viel auf dem Jakobsweg los gewesen sei, habe er auf den letzten Kilometern einige Pilger zu Fuß gesehen. Überrascht zeigte er sich, dass es überwiegend junge Menschen waren, oft paarweise.
Und noch etwas hat Lorenz überrascht: die Witterung. „Ich bin natürlich auch mit ganz anderen Vorstellungen losgefahren. Ich hätte nicht gedacht, dass mich da unten so ein Wetter erwartet. Es hat nur geregnet.“ Ab Bordeaux nahezu ohne Unterlass. Zwar hatte Lorenz Regenkleidung dabei, aber: „Im Nachhinein weiß ich, dass ich bei diesem Starkregen andere Sachen gebraucht hätte.“ Das Wasser sei sogar zwischen das Doppelvisier seines Helms gelaufen, das eigentlich dafür sorgt, dass die Scheibe nicht beschlägt, sodass Lorenz unterwegs einen neuen kaufte. Ebenso neue Stiefel. In seinen stand nach fünf Tagen das Wasser, außerdem hatten sie zu wenig Profil. Auch die Temperaturen machten ihm zu schaffen. Er hatte mit 18, 20 Grad gerechnet und fuhr teilweise bei gerade mal vier Grad. „Ich habe irgendwann kein Gefühl mehr gehabt, was kalt, nass oder klamm ist.“ Dabei fühlte er sich körperlich gut vorbereitet und fit. 20 Jahre lang habe er im Stahlwerk gearbeitet und könne einiges wegstecken. Zwei Wochen zuvor war er auf Korsika mit dem Motorrad unterwegs. „Aber das war hart.“ Abends in den Hotels, die er kurz vor Eintritt der Dunkelheit vor Ort spontan wählte, versuchte er, die Sachen zu trocknen, duschte warm und massierte den Körper. „Tagsüber hatte ich ja keine Bewegung. Ich saß auf dem Motorrad und musste mich auf die Fahrt konzentrieren.“
Wirklichen Gefahren sah sich Lorenz nicht ausgesetzt. Er gibt an, geübter Motorradfahrer zu sein. Herausfordernd sei aber gewesen, dass es vor Brücken in Frankreich und Spanien keine Windwarner wie in Deutschland gebe und er Windstöße so nicht einschätzen konnte. Durch die Koffer war das Motorrad außerdem fast so breit wie ein Auto, insbesondere in den Städten müsse man aufpassen, dass man auch als Motorradfahrer gesehen wird.
Immerhin: In Santiago de Compostela regnete es einen Moment lang nicht. Lorenz besuchte die Kathedrale, die ihn schwer beeindruckt hat. Auf der Rückfahrt wollte er eigentlich über die Pyrenäen – allerdings ließ das Wetter dies nicht zu. Also nahm er den gleichen Weg zurück. Ob er die Tour noch einmal fahren würde? „Ja, auf jeden Fall“, sagt Lorenz ohne zu zögern. Lachend setzt er hinterher: „Ich würde mir natürlich eine andere Jahreszeit aussuchen.“ Bei einem zweiten Mal wäre er bereit, vielleicht seine Partnerin oder einen Freund mitzunehmen.
Mir fehlen die Worte.
BC