Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Der "erste" Jakobsweg von Oviedo in Richtung Santiago
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Simsim
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Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von Simsim »

Hier ein paar fast taufrische und wohlgemerkt, sehr persönliche, Eindrücke von den Tagen Anfang März, ab Oviedo.

Es war kalt, windig und einsam. Noch keine Blätter an den Bäumen und spärlich zarte Grashälmchen, jedenfalls bis nach Galicien, dort wurde es etwas üppiger und milder.

Es war sehr anstrengend....auch wegen des ständigen, starken Windes, aber natürlich vor allem wegen des anspruchsvollen Reliefs.
Und da wurde mir zweierlei bewußter als zuvor:
Ich werde älter und mein Rucksack ist schwer. Zu schwer.
Mit Zelt, Kocher, Lebensmitteln u.s.w. etwa 12 -13 kg.
Minimalbudget im Portemonnaie, Maximalgewicht im Rucksack....das geht auf relativ ebenen Wegen hoffentlich noch ein paar Jahre, aber in den Bergen, nee.

Durch die blattlosen Wälder und das ungestüme Wetter, erlebte ich den eigentlichen, besonderen Charme des Primitivo wohl nicht.

Ausser kurzen Ausnahmen ist man eigentlich immer von dem Lärm stark befahrener Straßen begleitet. Man hört sie oft nur und sieht sie kaum.
Auch der Lärm der Autobahnbaustelle nervte mindestens einen halben Tag.
Ich weiß, dass ich von Frankreichs wilden und wunderbaren Landschaften verwöhnt bin und daher die Schönheit des Primitivo eher weniger umwerfend fand. Ich finde, ganz persönlich, die Landschaften ab Villafranca auf dem Camino Frances idyllischer, als große Teile des Primitivo.

Unberührte Natur (wie in vielen offiziellen Beschreibungen des CP angepriesen) habe ich nicht gesehen. Alles ist land-und forstwirschaftlich genutzt. In Galicien meilenweit öde, riesige Kahlschläge. Es ist ja auch kein Hochgebirge.

Und ok, ich bin nicht die legendäre "Hospitalesroute" gegangen.

Sehr schön fand ich allerdings, dass man kaum auf Asphalt geht und wirklich oft auf Pfaden und Wirtschaftswegen.

Und ganz begeistert war ich von den Herbergen!!!

David und Celia in Bodenaya sind allein schon die Reise wert.
Einmalig, unübertroffen! So eine authentische Hingabe an die Gastfreundschaft habe ich nur sehr selten, wenn überhaupt irgendwo erlebt.

Aber auch, dass es noch die ganz einfachen, leicht schrottigen, etwas schmuddeligen Herbergen gibt, wo man für einen symbolischen Preis übernachten kann, hat mich sehr entzückt. Für alle, die es komfortabler wollen, gibt es ebenfalls genug Angebote.
So müsste es überall noch sein!
In einer dieser Herbergen, 3 km hinter Pola de Allande, braucht man allerdings wirklich gute Nerven....so heruntergekommen ist sie. Aber ein Dach über dem Kopf und wunderschön gelegen, mit Blick aus riesigen Fenstern in die Natur. Peñaseita heißt der Ort, glaube ich.

Die neue Xunta-Herberge in Fonsagrada ist aber eine absolute Wucht! Wunderschön!

Ich sah zu dieser Jahreszeit fast keine anderen Pilger.

So weit ein paar Zeilen.
Jetzt frieren mir die Finger ein, denn ich warte in Oloron Sainte Marie auf dem Bus zum Somportpass, wo es heute nacht-10 Grad kalt werden soll....aber keine Angst, ich werde definitiv nicht Zelten 🙂!

Eure Dauerpilgerin 😄
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beliperegrina
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von beliperegrina »

Hallo Simsim,

danke für den langen, ungeschminkten Bericht.

Dir allzeit warme Füße und buen camino,
Beate
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VerlaufNix
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von VerlaufNix »

Danke für den Stimmungsbericht vom Primitivo, mit Freude habe ich gelesen das die Herberge in Bodenaya noch existiert und das spezielle Flair beibehalten hat, war da zuletzt 2011.

Buen Camino!
Stefan
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Sven
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von Sven »

Oh, 13 kg, das ist viel. Das könnte ich nicht. Ich laufe den Primitivo im Juli. Und ich muss gestehen: Ich bin eine "Bangbüx". Nach dem YouTube-Beitrag von Michael Lenz zum Primitivo aus 2021, wo so viele Herbergen ausgebucht waren… Nach 30 km Tagestour mit Höhenmetern brauche ich definitiv ein Bett und eine warme Mahlzeit am Abend und keine weiteren Kilometer mit unsicherem Ausgang – schon gar nicht kann ich es mir vorstellen, zwangsweise 70 km durchlaufen zu müssen. Also habe ich bereits ein paar Unterkünfte reserviert – und schäme mich etwas dafür, nicht die reine Lehre fürchte ich.

Meine Ausrüstung habe ich soweit komplett. Mit den "richtigen" Schuhen für mich hadere ich noch. Da gehen die Meinungen (zum Primitivo) auseinander. Auf YouTube sieht man viele mit Berg-Wanderschuhen, andere mit Trailrunning-Schuhen. Ich lebe ja zum Glück an den Alpen, ich werde das noch austesten für mich.

Auf jeden Fall freue ich mich auf "meinen Camino", auf wunderbare Begegnungen und heilsames Singen in den Kirchen und in der Natur. Also, wenn da einer singt auf dem Weg, dann könnte das ich sein ;-)
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Simsim
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von Simsim »

Vielen Dank für Eure Rückmeldungen!
Zu den Schuhen kann ich nur sagen, dass es ja kein hochalpiner Weg ist. Zumeist sind die Wege sehr leicht zu laufen. Einzige Ausnahme ist ein kurzes Stück auf dem Abstieg zum Stausee vor Grandas de Salime. Aber ich lief den ganzen Weg mit mittelprächtigen Halbschuhen.
Eher könnte Matsch bei Regen ein Problem werden.... da hatte ich Glück und nur trockene Tage.
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Peter
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von Peter »

Danke Simsim für deinen Beitrag zum Primitivo, den ich ebenfalls in diesem Jahr gehen werde. Jetzt weiß ich tatsächlich, dass der Rucksack weniger wiegen darf. Auch die Schuhe werden für mich Trailrunner werden. Mal sehen ob ich vorbuchen werde oder draufloslaufe. Zumindest in Oviedo habe ich für die erste Nacht vorgebucht.

Buen Camino
Peter
"ich bin der Meinung dass vieles besser gehen würde, wenn man mehr ginge" ;)
Peter Kirchmann
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Gerhard Nikolaus
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von Gerhard Nikolaus »

Sven hat geschrieben: 8. Apr 2022, 09:50 ...
Also habe ich bereits ein paar Unterkünfte reserviert – und schäme mich etwas dafür, nicht die reine Lehre fürchte ich.
...
Es gibt so etwas wie die "reine Lehre" für's Pilgern?! Wer hat hat die entwickelt und wo niedergeschrieben?

Ich bin mir sicher, hätte es vor 500 Jahren bereits Internet und Mobiletelefone gegeben, die Menschen hätten bei Bedarf diese Möglichkeiten genutzt und Unterkünfte reserviert. Ich denke, die Menschen wollten damals wie heute gegen die abwendbaren "Unannehmlichkeiten" Vorsorge treffen, um die Mühsal des Pilgerns nicht noch größer zu machen und mussten die unabwendbaren duldsam als dazugehörend hinnehmen (wie wir heute auch).
Keinen Platz mehr in einer Herberge zu finden weil man nicht vorausschauend reserviert hat, wäre eine abwendbare "Unannehmlichkeit".

Ich muss aber einräumen, dass ich mich die meiste Zeit auf dem Camino auf mein Glück verlassen haben und nur dort, wo ich einen Ruhetag eingeplant hatte oder befürchten musste, am Ende einer Etappe besonders müde und ausgelaugt zu sein, etwas rechtzeitig reserviert habe. ;)
Camino Francés April/Mai 2022
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Peter
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Re: Eindrücke vom vorfrühlingshaften Camino Primitivo

Beitrag von Peter »

Gerhard Nikolaus hat geschrieben: 12. Jun 2022, 10:46
Sven hat geschrieben: 8. Apr 2022, 09:50 ...
Also habe ich bereits ein paar Unterkünfte reserviert – und schäme mich etwas dafür, nicht die reine Lehre fürchte ich.
...
Es gibt so etwas wie die "reine Lehre" für's Pilgern?! Wer hat hat die entwickelt und wo niedergeschrieben?

Ich bin mir sicher, hätte es vor 500 Jahren bereits Internet und Mobiletelefone gegeben, die Menschen hätten bei Bedarf diese Möglichkeiten genutzt und Unterkünfte reserviert. Ich denke, die Menschen wollten damals wie heute gegen die abwendbaren "Unannehmlichkeiten" Vorsorge treffen, um die Mühsal des Pilgerns nicht noch größer zu machen und mussten die unabwendbaren duldsam als dazugehörend hinnehmen (wie wir heute auch).
Keinen Platz mehr in einer Herberge zu finden weil man nicht vorausschauend reserviert hat, wäre eine abwendbare "Unannehmlichkeit".

Ich muss aber einräumen, dass ich mich die meiste Zeit auf dem Camino auf mein Glück verlassen haben und nur dort, wo ich einen Ruhetag eingeplant hatte oder befürchten musste, am Ende einer Etappe besonders müde und ausgelaugt zu sein, etwas rechtzeitig reserviert habe. ;)


..... und tatsächlich:

SCHON VOR 500 JAHREN KONNTEN PILGER VORBUCHEN

Christop Kühn schreibt: „Hartmut Kühne: Santiago de Compostela – Jerusalem – Rom: All inklusive. Ein neu entdeckter Wallfahrtsdruck aus dem Jahr 1513, in: Sternenweg. Mitgliedszeitschrift der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft 42, 2008, S. 18-23.
Damals bot ein Reeder aus Antwerpen für 80 ungarische Gulden eine Pauschalpilgerreise nach Santiago de Compostela, Jerusalem und Rom an. Vor 150 Jahren ging das erst recht: Der französische Abt Jean Baptiste Párdiac hat im Jahre 1860 auf seiner Pilgerreise nach Santiago de Compostela öfters in Klöstern seines Ordens vorgebucht; der elektrische Telegraph (1833 erfunden und 1860 schon vielerorts in Europa zu finden) machte es möglich.“
"ich bin der Meinung dass vieles besser gehen würde, wenn man mehr ginge" ;)
Peter Kirchmann
https://jakobsweg-lebensweg.de
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