Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Das Königreich Asturien

Zitat (Quelle): "Das Königreich Asturien (lateinisch Asturorum regnum) war der erste christliche Staat gotisch-romanischer Prägung, der nach der muslimischen Eroberung der Iberischen Halbinsel (711–719) von einheimischen Rebellen geschaffen wurde. Es entstand aus dem zunächst winzigen Machtbereich des erfolgreich gegen die Muslime kämpfenden westgotischen Adligen Pelayo (lateinisch Pelagius). Alfons I. (739–757) schuf die territoriale Grundlage für das Überleben und die weitere Expansion des asturischen Königreichs. Den Höhepunkt seiner Macht erlangte das Königreich unter Alfons III. (866–910). Alfons III. verlegte die Hauptstadt von Oviedo nach León und stellte damit die Weichen für die Entstehung des künftigen Königreichs León. Nach seiner Entmachtung im Jahr 910 wurde das asturische Königreich in drei Teilreiche (León, Galicien und Asturien) aufgeteilt. Nach der Wiedervereinigung im Jahr 924 bestand es unter der Bezeichnung Königreich León fort." Quelle

Bild
Ausdehnung des Königreichs Asturien auf dem Höhepunkt seiner Macht, spätes 9./frühes 10. Jahrhundert Quelle
Mario
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Reconquista: Wiederherstellung des Westgotenreichs durch Gottes Gnade vs. Bloßer Versuch der Legitimation des asturischen Expansionsstrebens?

Zitat (Quelle): "Stark umstritten ist in der Forschung seit Jahrzehnten die Frage, inwieweit eine Kontinuität zwischen dem untergegangenen Westgotenreich und dem von Pelayo gegründeten asturischen Königreich bestand.

Ab dem 9. Jahrhundert wurde am asturischen Königshof die Idee propagiert, das asturische Reich sei eine Wiederherstellung des Westgotenreichs, das durch Gottes Zorn vernichtet, dann aber dank Gottes Gnade von Pelayo erneuert worden sei. Der Kampf gegen die Muslime sei somit eine schrittweise Zurückeroberung (Reconquista) der einstmals westgotischen Iberischen Halbinsel. Dazu seien die asturischen Könige als Rechtsnachfolger der westgotischen berechtigt. Diese asturische Reichsideologie ist als Neogotismus oder Neogotizismus bekannt.

Ein Teil der Forscher (darunter neuerdings besonders Julia Montenegro und Arcadio del Castillo) nimmt eine tatsächliche Kontinuität an.

Andere gehen von den Ergebnissen von Abilio Barbero und Marcelo Vigil aus, wonach der Widerstand gegen die Muslime in Nordspanien anfangs von der dortigen einheimischen Bevölkerung ausgegangen sei, die sich der Fremdherrschaft widersetzte. Erst viel später sei das westgotische Kulturerbe übernommen und an die westgotische Reichsideologie angeknüpft worden; damit habe man das Expansionsstreben des asturischen Reiches im Rahmen der Reconquista legitimiert.
"

Mario
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Roland Girtlers Buch Irrweg Jakobsweg ist wirklich sehr ausführlich. Er schreibt zum Beispiel über die Christen im eroberten Spanien der Mauren, dass besonders Toledo eine Stadt mit völliger Religionsfreiheit war. Es war ein Bischofssitz und die mozarabischen, westgotischen Christen hatten ein eigenes Verständnis von Jesus Christus. Schon als ihre Vorfahren während der Völkerwanderung vom Schwarzen Meer her gen Westen zogen, waren sie Anhänger der arianischen Lehre des Frühchristentums. Nach arianischer Lehre ist Jesus Christus nicht wesensgleich mit Gott, aber dessen vornehmstes Geschöpf. Das erschien ihnen wichtig, um den Monotheismus hoch zu halten. In Spanien wurde daraus dann der Adoptianismus. Diese christliche Lehre besagt, dass Christus ein Mensch war, der von Gott sozusagen adoptiert wurde. Die Christen unter der maurischen Herrschaft waren also wohl mit ihren religiösen Möglichkeiten zufrieden und man könnte spekulieren, dass eine Befreiung von diesem selbständigen Glaubensweg wohl nicht allererste Priorität hatte.

Mario
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Gerade in der ZEIT gelesen:

Christentum:
Der Weg des Kreuzes
Wie das Christentum nach Europa kam und aus den Trümmern des Römischen Reiches zur mächtigsten Religion des Kontinents aufstieg.


Passt gut zu allem, was in diesem Faden schon geschrieben wurde.

Zitat (Schlusssatz):"Wer heute fragt, ob der Islam zu Europa gehört, sollte sich daher im Klaren darüber sein, dass auch die Frage, ob das Christentum zu Europa gehört, über Jahrhunderte offen war."

Mario
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Der Cali inspiriert mich immer wieder etwas tiefer einzudringen. Diesmal waren es Links zu dem Artikel "Der Weg des Kreuzes". Total bereichernd, wie die Dinge wirklich zusammenhängen und wie dieses Weltbild nach und nach zusammen kam, das Menschen wie Cali uns als immerwährende Weisheit vormachen wollen. Und immer ging es nur um Macht und nur die dumm gehaltenen kleinen Leute hatten einen rührenden Glauben. Beim Missionieren ging es meist nicht um das Mütterchen, das zum christlichen Gott beten lernen sollte, sondern um knallharte machtpolitische Entscheidungen der Landesherren, die sich vom Christentum mehr Macht und Bündnisse erwarteten...

"And you better start swimmin'
Or you'll sink like a stone
For the times they are a-changin'..."

Wikipedia Artikel: Kreuzzug, Morgenländisches Schisma, Katharer, Westgoten, Frankenreich, Berber, Almohaden etc. etc.

Mario
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Normalerweise liegt der Schwerpunkt meiner Suche nach Verstehen ganz klar im Italien Francescos. Das endende 12. Jahrhundert, das komplette 13. Jahrhundert: die Katharer, die Waldenser, die Päpste, Franz von Assisi, Friedrich der II., der Halbjahrespapst Celestino V. So viele interessante Zusammenhänge, so vieles zu hinterfragen, was sich an offensichtlichen Lügen nach und nach als vorgebliche historische Wahrheit, heute als 'Alternative Fakten' getarnt, manifestiert hat.

Die Geschichte Siziliens stellt für mich sowas wie einen Brückenschlag zur Iberischen Halbinsel dar. Diese einfache Legitimation für den Jakobsweg: Ganz liebe, gottesfürchtige Christen vertreiben die diese bösen, blutrünstigen Araber aus Europa! gilt es zu hinterfragen. Um die 'dunkle Seite des Jakobsweges' zu erhellen und vielleicht langsam ein neues Verständnis für diesen Weg entstehen zu lassen.

Danke Cali, dass Du dieses Thema hier zur Sprache gebracht hast. Ein Teil dieser Geschichte ist ja auch das Califat von Córdoba......

Mario
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Kruemel
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Kruemel »

Um den Blick auch mal wieder auf etwas Anderes zu richten und zu erkennen wie schlecht es ist, wenn Einer dem Anderen versucht zu erklären was das einzig Wahre ist - hier eine Buchempfehlung.

https://de.wikipedia.org/wiki/End%C5%8D_Sh%C5%ABsaku

Mir gehts um das Buch "Schweigen".

und für die, die es "etwas leichter" haben wollen - (tatsächlich finde ich den Film fast noch härter in der Thematik umgesetzt) - gibts auch einen Film.

https://de.wikipedia.org/wiki/Silence_(Film)
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Ciao Krümel,
Kruemel hat geschrieben: 24. Dez 2019, 12:51 Um den Blick auch mal wieder auf etwas Anderes zu richten und zu erkennen wie schlecht es ist, wenn Einer dem Anderen versucht zu erklären was das einzig Wahre ist - hier eine Buchempfehlung.
[...]
Mir gehts um das Buch "Schweigen".
hab' mir die Inhaltsangabe des Films durchgelesen. Ich kann Dir versichern, dass die römische Inquisition im 13. Jahrhundert (Katharer etc.) und später die spanische Inquisition (die sich nicht nur mit Nichtchristen, sondern besonders auch mit zum Christentum konvertierten Juden und Moslems befasste) bedeutend skrupelloser gemordet haben.

Ein Beispiel (wegen der genauen Quellenangabe müsste ich nachschauen): Die christlichen Truppen wollten die komplette, wehrlose Bevölkerung einer spanischen Stadt töten. Auf den Einwand, dass ein großer Teil dieser Bewohner gläubige Christen wären, erwiderte der Kommandierende 'Gott, wird sie unterscheiden können.' Alle wurden massakriert...

Mario
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Kruemel
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Kruemel »

Hallo Mario, erstmal hoffe ich du hattest einen guten Start ins neue Jahr. Und dann wollte ich noch ein mögliches Missverständnis aufklären.
Es ging mir mit meiner Buchempfehlung nicht darum aufzuzeigen wer, wem Mehr oder Weniger angetan hat. Sondern lediglich darum, dass ich
jede Art von Missionierung sehr befremdlich finde und dass an meinem aufgezeigten Beispiel - weit weg von der "dunklen Seite des Jakobsweges" - zu sehen ist, wie sie auch in anderen Teilen der Welt zu viel Kummer und Leid geführt hat.
Schwarzweißmalerei und dieses ewige "nur mein Gott ist der Wahre" sind einfach nur schlecht für die Welt. Das war wohl schon immer so und wird wie ich fürchte auch immer so bleiben. Deswegen sind mir Tolereanz und etwas mehr über den Tellerrand hinausschauen sehr wichtig.
Grüße aus 2020 - Stephan
WoM
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von WoM »

Kruemel hat geschrieben: 1. Jan 2020, 17:34 ...
Schwarzweißmalerei und dieses ewige "nur mein Gott ist der Wahre" sind einfach nur schlecht für die Welt. Das war wohl schon immer so und wird wie ich fürchte auch immer so bleiben. Deswegen sind mir Tolereanz und etwas mehr über den Tellerrand hinausschauen sehr wichtig.
Grüße aus 2020 - Stephan

Hi Stephan,

beim Thema Toleranz bin ich ganz bei dir. Allerdings widerspricht "nur mein Gott ist der Wahre" meines Erachtens nicht der Toleranz. Als Christ bin ich von meinem Glauben überzeugt und respektiere selbstverständlich andere Ansichten - warum auch nicht?!? Schlimm, wenn nicht.
Unterdrückung, Folter, Mord, Verbrechen im Namen einer Religion ist daneben. Aber es gibt auch viele positive Beispiele für ein friedliches Zusammenleben - die gilt es zu stärken.

Grüßle Wolfgang
Nach dem Camino ist vor dem Camino 8-)
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von ZZTop22 »

@Kruemel
ich bin da ganz deiner Meinung und an was ein Mensch glaubt hängt doch auch sehr viel mit dem Geburtsort zusammen.

BC Tom
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Kruemel
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Kruemel »

SlowWege hat geschrieben: 2. Jan 2020, 08:02 ... und an was ein Mensch glaubt hängt doch auch sehr viel mit dem Geburtsort zusammen.

BC Tom
Das es manchmal so einfach ist wollen Viele aber nicht wahrhaben.
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Berthold
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Berthold »

@ Kruemel und SlowWege,
ich darf doch annehmen, dass Ihr die Klarstellungen von WoM nachvollziehen könnt? Ich jedenfalls kann nicht sehen, dass der persönliche Glauben ( = Nichtwissen) an seinen wahren Gott „einfach nur schlecht für die Welt“ sein soll. Bitte verwechselt nicht Gläubige mit intoleranten Fundamentalisten.
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Um zum Anfangs-Posting zurückzukehren: Muss die Geschichte des Jakobsweges womöglich umgeschrieben werden?

Ich bin gerade dabei, mich dazu etwas einzulesen. Es gibt zahlreiche Historiker, die intensiv an der Geschichte des maurischen Spaniens forschen. Und sie widersprechen sich auch durchaus; was bei der Faktenlage auch nicht verwunderlich ist. Es gibt praktisch keine wirklich objektiven Dokumente aus dieser Zeit.

Bloss in einem sind sich alle einig: Das Verhältnis zwischen christlich und muslimisch dominierten Machtbereichen war wesentlich differenzierter, als es die fundamentalistischen Jakobsweg-Verehrer uns gerne weismachen möchten. Und Religion spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Beispielsweise verheirateten christliche Könige ihre Töchter mit muslimischen Herrschern. Die asturische Prinzessin freiwillig im Harem, fast schon eine Steigerung des Habsburgischen 'felix austria nube'. Oder die muslimischen Herrscher von Granada helfen den christlichen Truppen bei der Eroberung des maurischen Sevillas, zahlen Tribut und können so mehr als zweihundert Jahre weiter existieren. Teilweise kämpften christliche Verbündete der Muslime gegen christliche Kämpfer eines anderen christlichen Königs etc. etc.

Selbst der Begriff der »Reconquista« ist unter Forschern umstritten. Es ist auch ein relativ moderner Begriff, der wohl erst im 18. Jahrhundert überhaupt aufkam. Schließlich waren auch die Westgoten Eroberer und dominierten nur etwa zweihundert Jahre die Iberische Halbinsel bevor die Muslime eintrafen. Manche Forscher würden daher eher gerne von einer christlichen »conquista = Eroberung« sprechen.

Was ich nun aber wirklich gefährlich finde, ist dieses romantisch verführende Legenden-Narrativ um den Jakobsweg; besonders eklatant in dem in einem anderen Thread beschriebenen aktuellen Jakobsweg-Film auf servus.tv. Dieses Bedürfnis nach einer emotionalen Traumwelt, fern jeder Realität, sehe ich als Gefahr für unsere liberale Demokratie.

»Ich habe Angst um Großbritannien, weil der Wahlkampf, den wir soeben bei den Konservativen beobachten konnten, der unehrlichste war, an den ich mich erinnern kann – und der doch überwältigenden Erfolg hatte. Wir haben jetzt eine Öffentlichkeit, deren Mehrheit entweder nicht weiß, dass man sie anlügt, oder der das nichts ausmacht.« Quelle: https://taz.de/Der-Brexit-von-Berlin-aus-betrachtet/!5648835/

Mario
WoM
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von WoM »

Mario d'Abruzzo hat geschrieben: 2. Jan 2020, 11:15 ...
Was ich nun aber wirklich gefährlich finde, ist dieses romantisch verführende Legenden-Narrativ um den Jakobsweg; besonders eklatant in dem in einem anderen Thread beschriebenen aktuellen Jakobsweg-Film auf servus.tv. Dieses Bedürfnis nach einer emotionalen Traumwelt, fern jeder Realität, sehe ich als Gefahr für unsere liberale Demokratie.
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Mario
Willkommen in unserer Gesellschaft! Wobei da der Jakobsweg nicht das Problem ist. Viele, sehr viele habe ich erlebt, die den Camino als Abschluss einer Lebenskrise herbeigesehnt und dafür sehr viel geopfert haben. Die gehen mit sehr großen Erwartungen und emotional an den Weg heran und das muss man respektieren.
Die "emotionale Traumwelt", die mir Sorgen macht, sind eher Videospiele. Oder schlimmer, die IS-Kämpfer oder "Bräute". Vom Camino kommt selten jemand radikalisiert zurück.
Noch verändert der Camino den Menschen eher zum Guten. Bei diesen ganzen internationalen Begegnungen wird man weltoffener.
Glaube kaum, dass sich jemand den "Maurentöter" als Vorbild nimmt.
An den Camino gehe ich mit freudiger Erwartung heran. "Gefährlich" ist was anderes.

Grüßle Wolfgang
Nach dem Camino ist vor dem Camino 8-)
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