Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
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calixtinusII
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Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von calixtinusII »

Die Stuttgarter Zeitung am 23. Oktober 2019. Ein kritischer Blick auf den Pilgerweg - Die dunkle Seite des Jakobswegs. Bin nur per Zufall auf den Artikel aufmerksam geworden. Im weiteren Verlauf heißt es dann u.a.: Jakobsweg: Beispiel für Intoleranz gegenüber Andersgläubigen.
Bitte lest den Artikel erstmal selbst. Dann sollte in Ruhe diskutiert werden. Ich habe auf meinen Webseiten dazu Stellung genommen: www.jakobspilger-westwaerts.de.
Für die UNESCO ist der spanische Hauptweg seit 1993 ein Weltkulturerbe; andere Abschnitte folgten. Papst JP II. sagte am 9. November 1982 in Santiago: "Die Pilgerfahrt nach Santiago war eines der wichtigsten Elemente zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses so unterschiedlicher Völker, (…) Sie (die Pilgerfahrt) brachte die Menschen einander näher, verband und einigte sie."
Ja, was heißt das nun für uns "eingefleischte" Jakobspilger? Muss die Geschichte des Camino de Santiago neu geschrieben werden? (Natürlich nicht!)
calixtinusII
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Kruemel
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Kruemel »

Eine Verlinkung zum Artikel wäre wünschenswert.
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Camineiro
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Camineiro »

Kruemel hat geschrieben: 11. Nov 2019, 17:12 Eine Verlinkung zum Artikel wäre wünschenswert.
Guckst Du ... ;)
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Kruemel
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Kruemel »

Danke - so wünscht man sich das und nicht immer diese Verlockungen auf die eigene Seite.
WoM
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von WoM »

Nun ja, es ist immer die Frage, welche Sicht man auf die Geschichte hat.

Die Mauren wurden damals nicht nach Spanien eingeladen und sie haben sich eher mit Gewalt verbreitet.
Da ich selber ein Teil der spanischen Kultur bin, sei erwähnt, dass diese Zeit sehr tief in der spanischen Kultur und Selbstverständnis sitzt.
Keine Frage, die Judenverfolgung und die Darstellung des Jakobus als Maurentöter ist eine dunkle Zeit in der spanischen Geschichte.
Für die Spanier war es die Befreiung von einer Fremdherrschaft und wie damals üblich, hat man versucht, dem ganzen einen kirchlichen Anstrich zu geben, als zusätzliche Legitimation.

Ganz ehrlich, für mich ist der Artikel etwas einseitig. In meinem Bekanntenkreis habe ich zB christliche Türken, die vertrieben wurden, ganze Dörfer, die es jetzt nicht mehr gibt - jede Medaille hat zwei Seiten.

Keine Frage, wir brauchen einen friedlichen Dialog.
Auf dem Jakobsweg habe ich auch verschiedene Religionen erlebt und alles blieb friedlich und freunschaftlich.
Im Gegenzug gilt für nicht-Muslime in Mekka die Todesstrafe.

Leider hat dieses Thema wieder viel Potential für einen unschönen Umgangston ... und nein, ich habe nichts gegen Muslime, außer sie lehnen hier in Deutschland unser freiheitliches System ab, die Gleichstellung der Frau usw

Grüßle Wolfgang
Nach dem Camino ist vor dem Camino 8-)
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Mirabilis
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Mirabilis »

Lieber Wolfgang,

Danke für deinen Beitrag!

LG Notburga
Nichts geschieht ohne Grund!
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

»Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Jakobswegs...«

Haha, da würden wir aber viel über uns selbst lernen...

Eigentlich war die Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Muslime auch nichts anderes als eine Form von Kolonialismus. Bloss von Süd nach Nord. Und wesentlich humaner als das, was die nominal christlichen Europäer später von Nord nach Süd zum Beispiel in der neuen Welt angestellt haben. Mit Kreuz und Muskete...

Die Vertreibung der muslimischen und jüdischen Intelligenz durch die katholischen Könige war genau so dumm und kontraproduktiv, wie das, was die Pariser Katholiken später mit den Protestanten in den Cevennen angestellt haben. Obwohl diese vertriebenen Hugenotten für Mitteleuropa dann einen wahren Segen darstellten.

Für mich vergleiche ich den spanischen Jakob immer mit dem italienischen Franziskus. Jeder kann da selbst entscheiden, welcher von beiden für Frieden und Koexistenz steht. Die Wölfe und Vögel würden sicher Franziskus wählen...

Mario
geher
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von geher »

' Non est in litteris,non est in mundi ' - ' Geschichte schreiben ' ändert nicht die Vergangenheit -es ist nur
e i n e Sicht ,die des Schreibenden,das waren die Mächtigen - eine wohlhabende ' gebildete Elite ', auch heute.
Die Faszination des Jakobweges erlebt auch heute jeder einzelne anders und doch sind es jährlich mehrere
hunderttausend aus zig verschiedenen Ländern.Nur eine Minderheit ist heute noch religiös motiviert.

Dies gehört ebenfalls zur Geschichte des Camino :
Der Jakobsweg ist auch eine Kette von Pilger Friedhöfen.Bei Eunate zeigte sich das beispielhaft.Starb ein Pilger
auf der Rückreise,so wurde er mit seiner Jakobsmuschel begraben.Beim Aufbruch hatten diese Pilger in ihrer
Heimat ihr Testament gemacht,nahmen genug Geld für die Pilgerfahrt mit.Sie taten es ihrerseits für ihr erhofftes
Seelenheil,starben irgendwo unterwegs und liesen ihre Familie auf sich gestellt und verarmt zurück.

geher
Von der Haustür auf drei verschiedenen Wegen nach Santiago,nach Tarifa Nordkap und Brindisi >25.000 km.
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chrisbee
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von chrisbee »

Mir liegen auch meine Mitmenschen, aber auch die Historie am Herzen und von der Geschichte des „friedlichen Zusammenlebens“ und der Toleranz im muslimischen Andalusien gruselt es mich allmählich. Für die damaligen Kalifen/Herrscher waren die nicht-muslimischen „Ungläubigen“ allesamt Dhimmis, d.h. Menschen, die ein besonderes Kopfgeld zahlen mussten. Trotzdem kam es zu Pogromen. Die ersten Judenpogrome auf europäischen Boden geschahen im frühen 11. Jahrhundert in Granada und Córdoba. (Besonders schlimme gab es immer wieder im marokkanischen Fes). Ist am einfachsten bei Wikipedia nachzulesen. Nichts für Ungut - chrisbee
Thüringer
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Thüringer »

chrisbee hat geschrieben: 20. Nov 2019, 18:46 von der Geschichte des „friedlichen Zusammenlebens“ und der Toleranz im muslimischen Andalusien gruselt es mich allmählich.
Das hat der Autor des Artikels ganz anders gemeint ;) Der meint die damalige Toleranz und die damit verbundene Dunkle Seite bei der Beseitigung
durch die Reconquista des damaligen "friedlichen " Zusammenlebens und sieht das als sein Beitrag für das heutige. Er versteht unter anderen auch nicht, warum der Jacobsweg so einen Anklang findet . Dort trifft man Menschen aus allen Teilen der Welt mit den unterschiedlichsten Glauben, die problemlos miteinander auskommen. Wenn man dunkle Seiten sucht.....findet man auch welche, nicht nur beim Jacobsweg.

Thüringer
4 mal den Camino auf Wegen durch die Schweiz, Frankreich und Spanien von der Haustür nach Santiago.
Den de Norte, den Primitivo, der Ingles und Muxia/Finiterre mehrmals. Den Portuguese von Lissabon und von Faro nach Santiago...1500 km in Deuschland
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

chrisbee hat geschrieben: 20. Nov 2019, 18:46 Trotzdem kam es zu Pogromen. Die ersten Judenpogrome auf europäischen Boden geschahen im frühen 11. Jahrhundert in Granada und Córdoba.
Man muss das differenzierter betrachten:

Zum Beispiel im 13. Jahrhundert, also zur Zeit von Franz von Assisi, wollten viele tiefgläubige Christen das 'Martyrium' erleiden. Das heißt, sie wollten als Märtyrer getötet werden und waren der Meinung, dass ihnen dadurch ein sicherer Platz im Himmelreich beschert würde. Und damit das auch schnell klappt, hat man ein bisschen mit Provokationen nachgeholfen. Das ging schließlich so weit, dass diese Praxis von einem Konzil verboten wurde.

Auch bei den Pogromen in der damaligen Zeit muss man unterscheiden; es gab verschiedene muslimische Herrschaftssyteme auf der Iberischen Halbinsel. Gegen Ende waren es die Berber und die waren in dieser Hinsicht besonders brutal. Durchaus mit den Christen vergleichbar. Ich kenne aus der Geschichte Siziliens einiges, ähnlich den Vorkommnissen in al-Andalus. Friedrich II. hat die muslimische Tradition in Sizilien des friedlichen Zusammenlebens von Muslimen und Juden unter christlicher Oberhoheit noch weiterführen können. Kaum war er in 1250 in Castel Fiorentino verstorben, fielen sämtliche Einwohner seiner für Muslime aus Sizilien in der Nähe gegründeten Stadt Lucera (Apulien) einer christlichen 'Endlösung' zum Opfer. Und auch in Sizilien wurde sofort tabula rasa gemacht. Die Christen waren in der Vergangenheit keinen Deut besser als die Muslime. Vielleicht erfindungsreicher in Sachen alternative Wahrheiten. Schließlich gibt es deswegen überhaupt den Jakobsweg in Nordspanien... Umso hoffnungsvoller könnte man die heutige Vermittlung der christlichen Frohen Botschaft vernehmen, gäbe es nicht so viele Ewiggestrige in der Kirchenhierachie.

Mario
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Hi chrisbee,
chrisbee hat geschrieben: 20. Nov 2019, 18:46 Die ersten Judenpogrome auf europäischen Boden geschahen im frühen 11. Jahrhundert in Granada und Córdoba.
»Das Massaker von Granada war ein Pogrom an Juden, das 1066 in Granada zur Zeit der Herrschaft der Ziriden im islamischen Herrschaftsgebiet von al-Andalus stattfand. Es gilt als erstes Pogrom auf europäischem Boden.«

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Granada

chrisbee, Du hast Recht, in dem Wikipedia-Artikel zu al-Andalus sind einige interessante Fakten kurz angerissen.

Für mich ist es interessant, al-Andalus und Sizilien zu vergleichen. Friedrich II. ist in Palermo, einer damals weitgehend muslimisch geprägten Stadt, aufgewachsen. Sein Buch »Von der Kunst mit Vögeln zu jagen« beispielsweise wird als Beginn einer europäischen Argumentation/Darstellung mit Fakten, d.h. Beobachtungen, gelobt. Diese Herangehensweise hat er aus der muslimischen Tradition der Wissenschaften gelernt. Ganz anders die bis dahin typisch Europäischen Schilderungen. Da ging es wohl, vereinfacht ausgedrückt, mehr um Vermutungen und faktenfreien Behauptungen oder Dogmen. Ein Beispiel ist das angebliche Jakobusgrab in Santiago de Compostela. Glaubt da wirklich ein einziger Forist dran? Dann viel Spaß im (christlichen) Mittelalter...

Mario
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chrisbee
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von chrisbee »

Ja, verehrter Mario, da gibt es wirklich schöne Episoden aus der Geschichte des Kulturaustausches, den es bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen auch immer gab. Doch die Kultur einiger Herrscher war durchaus nicht die jeweils herrschende Kultur, denn die hieß bis in die Neuzeit hinein (und vermutlich bis zur Erklärung der Menschenrechte) vor allem Gewalt. Mit liegt es fern, die Gräuel und das Elend, das die Kirche zu verantworten hat, herunterzuspielen (Ich gehöre keiner Konfession an). Aber ich finde es dennoch unpassend, „humane“ Eroberer gegen „brutale“ Rückeroberer bzw. umgekehrt gegeneinander auszuspielen. Diese Zeiten waren einfach anders. Aber heutzutage ist dieses Mittelalter ein riesiger Projektionsraum, in den alle möglichen Leute allemöglichen Bedürfnisse und Vorstellungen von der Welt „damals“ hineinprojezieren. Wie der wohlmeinende Herr Förschler, von dem der Artikel über die „dunkle“ Seite handelt. Er benutzt etwa den modernen Begriff der „Toleranz“ für das historische Granada und erzeugt damit ein schiefes Geschichts-Bild angesichts der seinerzeit sehr lukrativen Abzocke (sprich: Schutzgelderpressung) von nahezu rechtlosen Dhimmis bzw. „Ungläubigen“. Ich weiß wirklich nicht, was ich aus dieser Art Historie lernen soll. Besonders, wo es Herrn Förschler doch um das Heute geht und um moderne Ressentiments gegen Muslime und dass sich da etwas nicht wiederholen sollte – als ob wir direkt in eine neue Ära der Reconquista stolpern würden. Wo sich doch aktuell vor allem der Antisemitismus zu wiederholen scheint.
Noch eine Bemerkung zu Herrn Förschlers Franco-Deutung: Auch wenn General Franco dem „Maurentöter“ huldigte, so waren seine Feinde nicht Muslime sondern die damals frei gewählten liberal-republikanischen Kräfte. Er brach den spanischen Bürgerkrieg mithilfe der (muslimischen) Elitetruppen der Afrikaarmee vom Zaun, mit denen er 1936 von Marokko aus nach Spanien übersetzte... Gruß, chrisbee
Fred
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Re: Stuttgarter Zeitung: Die dunkle Seite des Jakobswegs

Beitrag von Fred »

Ciao chrisbee,
chrisbee hat geschrieben: 25. Nov 2019, 14:01 Aber ich finde es dennoch unpassend, „humane“ Eroberer gegen „brutale“ Rückeroberer bzw. umgekehrt gegeneinander auszuspielen.
oh, ich dachte, meine Ironie wäre offensichtlich. Scusi...

Mario
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