Vom Thema abgesehen... ein Rat an niemand Bestimmten (es ist Sonntag, da darf es doch eine halbe Predigt sein)
Hier wird immer mal wieder "das Evangelium" in den Mund genommen und in ein paar Phrasen "Wahrheit" postuliert. Da auch der Teufel bekanntlich die Bibel gekonnt zitiert (siehe die Versuchung Jesu im Evangelium) und unser eigenes Verständnis oft mehr unserer formativen Zeit entspringt (zb 70er, 80er), lohnt es sich nicht in unserer Erinnerung nach biblischen Brocken zu suchen, die rationalisieren, was wir glauben möchten, sondern das Evangelium als Ganzes zur Hand zu nehmen und uns von ihm hinterfragen zu lassen. So manches Argument über wie christliche Kirchgebäude aussehen dürfen, würde sich dann zum Beispiel nicht nur generell als anthropologisch fragwürdig erweisen, sondern wir würden es plötzlich auch aus dem Mund des Judas hören, der bekanntlich murrte, als eine Frau kostbarstes Nardenöl über den Füßen Jesu zur Salbung ausgoss (Joh 12,7). Wir würden entdecken, dass das Gebot nicht "du sollst nicht töten" sondern "du sollst nicht morden heißt" - wenn schon nicht in der modernen deutschen Übersetzung, dann aus dem Kontext im Buch Exodus. Wir würden vielleicht entdecken, dass das Evangelium direkte Aufforderungen an Soldaten enthält, ohne - wie Pazifisten es tun würden - ihre Existenz in Frage zu stellen. Gibt es Soldaten und dies zu recht, dann ist Krieg offensichtlich nicht gleich Krieg. Kampf ist nicht gleich Kampf. Die Verteidigung eines Unschuldigen kann geboten sein, während es gleichzeitig heroisch ist, für sich selbst die andere Backe hinzuhalten. In der Bibel sind stets mehrere Aussagen zu entdecken, die wir gemeinsam lesen und verstehen müssen, um Engführungen und ungerechte Extreme zu vermeiden. All das Gesagte ist keine Ent-Schuldung von Kirchenmännern in der Geschichte, die nicht immer von edlen Motiven geleitet waren. Aber genausowenig ist das selektive Zitieren von Bibelstellen hoch zu Ross in Internetforen ihre Verurteilung in komplexen geschichtlichen Zusammenhängen. Gott wird richten - auch die, die sich anmaßen zu richten. Und nach den Worten des Evangeliums (*spoiler*) wird er die, die richten, besonders hart richten (Mt 7,1). Wieder etwas, das Bibelzitierer bedenken sollten.
Die Herausforderung ist vor allem, so denke ich, Jesus nicht im Spiegel unserer eigenen Zeit, sondern von seiner jüdischen Kultur her zu verstehen. Ihn so zu sehen, wie in seine jüdischen Jünger sahen. Das ist nicht nur wichtig um etwa Tempelreinigungen (es handelt sich hier um den Vorplatz des Tempels, nicht um das kostbare innere Sanctum) nicht als plumpe Kapitalismuskritik fehlzudeuten. Nein, es ist wichtig, Jesus überhaupt zu verstehen - und zwar als Erfüllung jüdischer Erwartung und nicht als vormodernen Ökohippie netter Aphorismen.
Für dieses jüdische Verständnis Jesu sind vielleicht für manche die Folgen 11-14 einer Reihe, die ich auf Youtube dazu gemacht habe, nützlich. Man kann gerne die ganzen Folgen durchgehen, aber Folgen 11-14 konzentrieren sich auf die jüdische Messiashoffnung und warum sie die Jünger in Jesus erfüllt sahen.
https://www.youtube.com/playlist?list=P ... ToANZX2WL1
Jenseits von Jesus: Franziskus (extra für Mario)
Franziskus legte Wert auf persönliche Armut, nicht die Armut der Kirchengebäude. Er trug als Diakon in der Messe keine Lumpen und wies an, dass das Allerheiligste (Eucharistie) in kostbaren Gefäßen aufbewahrt wurde. Franzikus hat nach anfänglichem Bauen mit Stein und Mörtel zwar erkannt, dass die Kirche nicht so sehr einen äusserlichen "Wiederaufbau" braucht, aber das eine war nicht das Gegenteil des anderen. Das Kreuz von San Damiano war ein relativ zeitgemäßes, teures Kircheninventar auf der künstlerischen Höhe der Zeit (italienischer Meister des 11/12 Jhts). Er hat es - im Unterschied zu den Stoffballen seines Vaters - nicht verscherbelt, um den Armen von dem Geld Brot zu kaufen. Denn Franziskus als wahrer Humanist wusste, dass der Mensch nicht allein von Brot lebt. Und diese "Investition" von Franziskus berührt seit 800 Jahren die Herzen, die davor beten, und hat so manchen auf den Pfad der Umkehr und des Evangeliums geführt und damit auch 1000-fach mehr Frucht für Bettler all jener Jahrhunderte abgeworfen, als es ein damaliger kurzfristiger Akt getan hätte. Jahrhunderte später sollte der heilige Pfarrer von Ars, inspiriert von Franziskus und anderen Heiligen, in Armut mit geflickter Soutane leben und seine Möbel für die Armen verkaufen - und doch gleichzeitig kostbarste Geräte und Gewänder für den Gottesdienst anschaffen lassen.
Man finde den Unterschied: Früher lebten fromme Leute in frei gewählter Armut und forderten für den Gottesdienst nur das beste. Heute leben Leute in relativem Luxus und fordern für den Gottesdienst das billigste. "Gott braucht den bling-bling nicht", sagt man theologisch richtig. Der Irrtum ist auch nicht ein theologischer sondern ein anthropologischer. Es entspricht dem Menschen, dem Herrn und Schöpfer der Welt, das Kostbarste aus seiner Hände Arbeit zu geben - sinnbildlich und stellvertretend für das eigene ich. Findet man eine Bibelpassage, um dem zu widersprechen? Gewiss. Der Teufel... Doch nichts desto trotz preist das Evangelium gleichzeitig die arme Witwe genau deshalb, weil sie das wenige, was sie hatte, in die Tempelkassa warf. Sie tat es und tut es auch heute, während die modernen Pharisäer auf die Kirche schimpfen und sich dafür loben lassen wollen, dass sie - gesättigt, fett und frei von existentieller Sorge - ein paar Prozent ihres Überflusses "für gute Zwecke" spenden.
Einen gesegneten Sonntag.