Was definiert einen Pilger?

Allgemeine Diskussionen zur Pilgerei und ihrer Geschichte
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Nicoletta
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Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Nicoletta »

Hallo zusammen,

bitte entschuldigt falls das Thema hier schon mal behandelt wurde, ich habe über die Suche nichts gefunden.

Mich würde sehr interessieren, was in euren Augen einen Pilger zu einem Pilger macht, was ihn vom Wanderer unterscheidet. Ich meine damit nicht historische Pilger, sondern Menschen wie uns.

Da ich bisher immer in günstigen Hotels und Pensionen geschlafen habe (weil ich in Schlafsälen kein Auge zu bekomme), habe ich zwar nicht unbedingt Anfeindungen meiner Mitpilger erlebt, wohl aber abschätzige Blicke und Kommentare wie "wir richtigen Pilger".

Und da fragte ich mich schon ob es fair ist dass jemand in 500 Euro teurer Outdoor-Kleidung mit seinem Glas Chardonay im Restaurant sitzt und mir das Pilgerdasein abspricht weil er die Nutzung von Herbergen als Kriterium für Pilgerschaft ansieht. Andere fanden es ok ein Einzelzimmer zu buchen, solange man den Rucksack selbst trägt. Wieder andere fanden es wichtig kein Geld für Essen auszugeben, sondern immer selbst zu kochen. Mein Gefühl war dass die meisten ihre Grenze genau da gezogen haben, wo sie selbst Einschnitte gemacht haben.

Für mich ist ein Pilger dann ein Pilger, wenn er einen Pilgerweg läuft und dabei auf seine Art kontemplativ ist. Das muss nicht religiös sein, aber er muss unterwegs sein um irgendeine Art von Antwort zu bekommen oder etwas zu hinterfragen. Geistige Einkehr quasi. Wenn er einfach nur läuft, ist er Wanderer.

Aber das ist nur meine persönliche Definition.

Was macht für euch einen Pilger aus, wann wird er zum Wanderer "degradiert"?

Viele Grüße,

Nicoletta
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Pater Norbert
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Pater Norbert »

Hallo Nicoletta,

ich will zunächst garnicht den Unterschied machen und die anderen damit irgendwie einteilen.

Ich beschreibe es so:
Jede(r) Andere auf den Pilgerwegen ist zunächst mit mir Nutzer der Infrastruktur des Weges.
Wenn es sich ergibt, kommen wir in Kontakt miteinander und tauschen uns aus:
* Warum bist du unterwegs?
* Wo sind deine Quellen?
* Was ist in deinem inneren Rucksack?
* Wo sind deine Grenzen?

Dann kann ich z.B. feststellen, ob wir uns etwas zu sagen haben und wie tief das geht.
Dann kann ich (wenn die/der Andere es wissen will) auch sagen, warum ich so schlafe, wie ich es tue.
Dann kann ich dem Anderen seine Designerklamotten gönnen und mich doch über mein Decathlon Teil freuen.

Es gab Menschen auf den Wegen, denen ich gerne aus dem Weg gegangen bin.
Es gab Menschen, die ich immer wieder sah und mit denen ein Austausch für mich Gewinn war.

Daher kann ich deine Frage in meiner Sicht nur umdrehen:
Wie definierst du dich als Pilgerin? Wenn du mit dir im Reinen bist, wirst du die Menschen treffen, die für dich Gewinn sind oder für die Du Gewinn wirst. Wennihr euch begegnen wollt und könnt, ist genug passiert.

Ich spreche kein Französisch. Aber bei einer Tour durch die Meseta ist mir immer wieder ein Franzose aufgefallen in der Art, wie er auf Menschen reagiert hat. Da war viel nonverbales Handeln zu sehen, das sehr sprechend war.
Wegen meiner Sprachbarriere kamen wir nicht ins Gespräch, aber was ich sah, war für mich bereichernd.
Wer pilgert, wird von einem Virus infiziert, das nicht vergeht.
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Pilger Franz
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Pilger Franz »

Nicoletta hat geschrieben: 12. Feb 2021, 17:28 Da ich bisher immer in günstigen Hotels und Pensionen geschlafen habe (weil ich in Schlafsälen kein Auge zu bekomme), habe ich zwar nicht unbedingt Anfeindungen meiner Mitpilger erlebt, wohl aber abschätzige Blicke und Kommentare wie "wir richtigen Pilger".
Hola Nicoletta,

ich schließe mich Pater Norbert an.

Dazu noch ein persönliches Erlebnis: Es war in Saint-Jean-Pied-de-Port, am Ende von drei Wochen Pilgern. Wir saßen in einem Chambre d'hôte zu viert, zwei Pilgerinnen, die Gastgeberin und ich, beisammen beim Abendessen. Die Pilgerinnen fragten mich, wo ich übernachtet hätte. Ich sagte wahrheitsgemäß "in Chambres d'hôtes und auch mal im Hotel". Da kreischten(!) die zwei los: "Als Pilger muss man doch in der Pilgerherberge übernachten!" - peinlich. Die Gastgeberin sagte nur: "Aber wir leben doch davon." Betretenes Schweigen.
Mein Schluss daraus: Man kann über alles reden, aber dann tue, was du selbst für richtig hältst. Du bist niemandem Rechenschaft schuldig. Die innere Unabhängigkeit von "den Blicken anderer" hat man vielleicht zu Anfang noch nicht, man gewinnt sie aber mit jedem Mal mehr.
BC
Franz
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Gerhard2020
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Gerhard2020 »

Hallo Nicoletta,
hier ein Link zu einigen Regeln:
https://www.planet-wissen.de/kultur/rel ... ns100.html
Die Antworten auf Deine Frage werden so vielfältig sein, wie Pilger auf dem Weg pilgern
und kann eine große Diskussion eröffnen.

Ultreia...
Gerhard
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Simsim
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Simsim »

Ja,ich finde auch dass es interessanter ist, mich selber zu fragen, was mich zur Pilgerin macht, als zu fragen, was denn im allgemeinen ein Pilger sei.
Es ist so spannend zu sehen, wie sich im Laufe des Weges die Antworten auf diese Frage verändern, wie sie sich bewegen....genau wie der ganze Weg eine ständige Bewegung ist.
Wenn man über Wochen auf dem Camino als Pilger/in (pélerin, peregrino/a) bezeichnet wird, bleibt es bestimmt nicht ohne Wirkung, wenn man vorher noch nicht wusste dass man eine/r ist :D

Die Wortherkunft "Fremdling" ist auch eine Meditation wert.

Und das hier ist wahrscheinlich die Wiege derer, die kein Donativo geben :D , so wissen wir immerhin schonmal, wer KEIN Pilger ist :D

"Vom Begriff „Pilger“ abgeleitet ist die in der österreichischen Umgangssprache abwertende Bezeichnung „Pülcher“, was „Gauner“, „Strolch“ oder „Betrüger“ bedeutet. Als etymologische Erklärung wird angegeben, dass manche Vagabunden, Zechpreller, Betrüger sich in Raststätten fälschlicherweise als Pilger ausgegeben hatten, und ohne die Zeche oder das Nächtigungsgeld zu bezahlen weiterzogen."(Wikipedia)

Wer bin ich also, wenn ich Pilgerin bin? Hm... ganz ich selbst....denn ich empfinde mich als Pilgerin in diesem Leben, in dieser Welt....unterwegs in der Fremde, den "Zeichen" folgend, auf der Suche nach mehr Wahrheit, Menschlichkeit, Einheit....bereit zu geben was ich kann und angewiesen auf die Hilfe anderer....und so vieles mehr....hm...

so long,
Simone
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Pater Norbert
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Pater Norbert »

Noch ein anderer Aspekt:

Viele Wege der Pilger*innen sind Handelswege
Etwa Via de la Plata oder der Ochsenweg von Krusau nach Glückstadt.
Wir haben einen anderen Weg für uns zu einem Pilgerweg gemacht, indem wir ihn mit unserem Inhalt füllen.
Auf dem Ochsenweg hat mich keiner gefragt: "Wo sind deine Ochsen?" Aber einige fragten: "Habt Ihr denn kein Auto?" und wollten dann wissen, womit wir uns beim Pilgern beschäftigen.
Wer pilgert, wird von einem Virus infiziert, das nicht vergeht.
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donjohannes
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von donjohannes »

Die Frage "Was ist für euch ein Pilger?" wird zu sehr unterschiedlichen Antworten führen. Denn die Fragestellung mit "für euch" fragt schon mal nach etwas Subjektivem. Daran ist nichts falsch. Nur kann man es dann nicht zur "Abgrenzung" zu Weintrinkern im Hotel verwenden. Vielmehr wird man Rückmeldungen bekommen, wie andere ihre Wege erleben und damit streng genommen keine Antwort auf was Pilgern ist, sondern wie ganz unterscheidliche Menschen einen Begriff in Relation zu ihren ganz subjektiven Unternehmungen stellen. Denn auch ein Autofahrer auf seinem Ausflug in die "grüne Kathedrale des Böhmerwalds" mag sich auf diese Weise zu Recht als Pilger bezeichnen.

Nimm einen Apfelbaum. Du kannst 2 Fragen stellen: "Was ist ein Apfelbaum?" oder "Was ist für euch ein Apfelbaum?"
Die erste Frage führt vermutlich zu einer Unterscheidung und Definition eines Kernobstgewächses unter den Rosaceae, deren Frucht in gewissen Kulturkreisen Verwendung als Nahrungsmittel Verwendung findet (+101 Fakten zu Äpfelbäumen)
Die zweite Frage hat ein Vielzahl legitimer Antworten, weil es um das "Erleben" geht: "für mich ist eine Apfelbaum ein Stück Heimat, weil meine Oma...", "für mich ist es ein Symbol für die Fürsorge Gottes, der uns Früchte schenkt zur rechten Zeit", "Für mich ist ein Apfelbaum ein Ort des Ausruhens im Schattens", "Für mich ist ein Apfelbaum ein Ort der Angst, weil mich als Kind 10 Hornissen unter einem solchen Ding gestochen haben...", "Für mich ist der Apfelbaum etwas sinnliches...". Das Subjektive hat seine volle Berechtigung. Allerdings muss es klar von einer objektiven Fragestellung unterschieden werden.

Es gibt Leute, die sagen, dass Dinge wie Pilgern immer subjektiv sind, weil jeder Pilger es anders erlebt. Aber wenn das ganz streng stimmen würde, dann könnte man vermutlich mit niemandem mehr über irgendetwas sprechen. Denn wenn Worte nur subjektiv wären, dann hätte ich ja keine Ahnung, was der andere damit meinen könnte. Auch die Erklärung würde nicht helfen, weil jedes Wort der Erklärung genauso subjektiv und letztlich unverständlich wäre. Sprache basiert im ersten auf eine gemeinsame(!) Erfahrung und dann auf Konvention. "Pilger" in seiner eigentlichen Definition und Wortbedeutung ist also ein durch eine gemeinsame Sprache und Kultur geprägter Begriff. Die Unterscheidung zwischen Wanderer und Pilger ist in unserem Kulturkreis ursprünglich durch die mit dem Pilgern verbundene religiöse Praxis gegeben (ergo die klassischen Wörterbuchdefinitionen). Nun kann auch ein fest definierter Begriff durch Allegorie oder Analogie (zb. Ich pilgere durch das Leben) im uneigentlichen Sinn oder statt einem engen in einem weiten Sinn verwendet werden, oder durch Transfer im Zusammenhang (z.B.: Pilger ist der Wanderer, der einen Pilgerweg beschreitet - auch ohne religiöse Komponente. Durch den Wandel der Kultur und der Sprache kann sich der Begriff in seiner Bedeutung zudem ändern und einen abgewandelten Gebrauch finden. Diese neue Bedeutung ist allerdings nicht sujektiv, sondern kollektiv. (z.b. Weib war vor 100 Jahren ein ganz normales Wort für Frau. In Gebeten wurde es positiv auf Maria bezogen ["gebenedeit bist du unter den Weibern]. Heute schwingt im Wort "Weib" aber für gewöhnlich etwas Abschätziges mit und wird damit nicht mehr verwendet, wenn man eine Dame komplementieren will ;-) )

Somit kommen wir zu den Antworten, auf die Frage, was ein Jakobspilger alles ist und sein kann:
- Streng nach dem Wortsinn und der klassischen religiös-kulturellen gewachsenen Bedeutung des Wortes ist ein Jakobspilger ein Christ, der mit einem religiösen Motiv (zB. Wachstum in der Gnade, Ablass, Buße, Gelöbnis, Erbauung, Belebung des Glaubens) nach Santiago de Compostela pilgert, um dort, wo die Tradition das Grab eines Apostels verehrt, Schritte auf dem Weg zur Erlangung des Seelenheils zu machen. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Ziel ist das Ziel (wenngleich der Weg für einen religiösen Pilger natürlich entscheidend und prägend ist - etwa der Aspekt des Opfers und der Buße)
- In einem weiten Sinn (und in vielen Facetten ohne Wertigkeit) ist ein Jakobspilger jemand, der sich aus welchen Motiven auch immer (schmalere Hüften bis spirituelle Sinnsuche bis Gemeinschaftserlebnis) auf einer Infrastruktur bewegt, die zwar (zufällig) am angeblichen Grab eines Apostels terminiert, die religiöse Verehrung der Gebeine eines Apostel aber nicht entscheidender Ausschlag für die Reise ist. Dieser Pilger in einem weiteren Sinne trägt den Namen vielleicht nur lose, vom Weg her, oder weil ihn ein spirituelles Element in eine gewisse Analogie zum klassischen religiösen Pilger setzt. Da die Verehrung des Apostels nicht im Zentrum steht gilt wohl meist: der Weg ist das Ziel. Oder ein nichtreligiöses Ziel ist das Ziel (z.b. das Erreichen eines persönlich gesteckten Ziels, Finisterrae etc)
- Im persönlichen Empfinden ist ein Jakobspilger, was auch immer jemand mit diesem Begriff emotional verbindet. Wie gesagt geht es hier nicht um eine Definition, sondern um das subjektive Erleben (von was auch immer). Darum wird man bei einer subjektiven Frage, auch keine Abgrenzungen zu "anderen Pilgern" vornehmen. Es ist in einem gewissen Sinn belanglos zu sagen "das ist für mich nicht Pilgern", weil Pilgern bei einer subjektiven Fragestellung nur die losesten Bezüge zum Urbegriff aufweist. "Meine" Vorstellung vom Pilgern ist also genauso "wertig", wie jede andere auch. Die Devise kann nur lauten - analog zu HYOH (hike your own hike): PDEW (pilgere deinen eigenen Weg)
Österreich -Santiago 1998
Liechtenstein - Jerusalem und zurück 2013-14 (http://www.4kmh.com/neo)
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Annkatrin
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Annkatrin »

Pater Norbert hat geschrieben: 12. Feb 2021, 19:52 Noch ein anderer Aspekt:

Viele Wege der Pilger*innen sind Handelswege
Etwa Via de la Plata oder der Ochsenweg von Krusau nach Glückstadt.
Wir haben einen anderen Weg für uns zu einem Pilgerweg gemacht, indem wir ihn mit unserem Inhalt füllen.
...und man hat die Wege genutzt, die schon da waren.

Bei mir war es so, dass meine Pilgeranfänge sich für m i c h anfühlten "ich gehe den Pilgerweg" und erst ab dem 3. oder 4. Jahr habe ich mir eine Muschel an den Rucksack gehängt und mich als Pilger bezeichnet.( Da war ich noch in Deutschland unterwegs.) Das ist so in mir gewachsen. Rein äußerlich hat sich, außer der Muschel, da nicht viel verändert. Ich bin nach wie vor lieber in einfachen Pensionen abgestiegen*, weil ich nach einem langen Wandertag ein Bett brauche und mit einer Isomatte im Pastorat nicht klar komme. Aber ob ich Pilger bin oder nicht, hängt von meiner Einstellung ab, dem Inhalt wie Pater Norbert sagt, und nicht wie andere es beurteilen.

* Ich wurde im Bekanntenkreis auch schon gefragt ob man das denn dürfe. Ja, das darf ich. Es ist m e i n Weg.

Buen Camino, einen Guten Weg
wünscht Dir Annkatrin
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Rossi
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Rossi »

Hallo Nicoletta!
Nicoletta hat geschrieben: 12. Feb 2021, 17:28 Für mich ist ein Pilger dann ein Pilger, wenn er einen Pilgerweg läuft und dabei auf seine Art kontemplativ ist. Das muss nicht religiös sein, aber er muss unterwegs sein um irgendeine Art von Antwort zu bekommen oder etwas zu hinterfragen. Geistige Einkehr quasi. Wenn er einfach nur läuft, ist er Wanderer.
Das trifft ziemlich genau auch meine Definition. Wandern ist für mich der äußere, körperliche Weg. Beim Pilgern mache ich mich bewusst zusätzlich auch auf einen inneren, spirituellen Weg.
Nicoletta hat geschrieben: 12. Feb 2021, 17:28 Da ich bisher immer in günstigen Hotels und Pensionen geschlafen habe (weil ich in Schlafsälen kein Auge zu bekomme), habe ich zwar nicht unbedingt Anfeindungen meiner Mitpilger erlebt, wohl aber abschätzige Blicke und Kommentare wie "wir richtigen Pilger".
Relevant ist doch nur, ob es sich für dich persönlich als 'richtig' anfühlt. Du musst nicht den Weg der anderen gehen, und die müssen und sollen nicht deinen Weg gehen. ;)

Viele Grüße
Rossi
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Frau Holle
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Frau Holle »

Ach ja, die gute alte Frage: "Wer ist ein echter Pilger?"

Ich frage mich da immer: Wer war der Erste, der überhaupt infrage gestellt hat dass nicht alle Pilger echte Pilger sind?

Ich stelle mir vor, wie sich zwei Menschen damals irgendwo in Frankreich in einem Kloster getroffen haben und nach einem langen Tag der Wanderschaft zusammen am Tisch saßen und einen alten Kanten Brot mit kräftiger Brühe genossen haben.
Ob die Beiden sich da gegenübersaßen und sich heimlich in ihrem Kopf Fragen stellten wie "Der Mantel sieht aber edel aus. Der ist bestimmt kein echter Pilger" oder "Hat der gerade wirklich gesagt, dass er gern läuft und es ihm nicht schwer fällt? Ich habe 4 Blasen und quäle mich! NEIN, der ist kein echter Pilger!"
Ich kann mir das nicht wirklich vorstellen 😃

Die Frage ist vermutlich viel jünger und man stellt sie vermutlich erst seit einigen Jahrzehnten. Die Frage nach dem Warum ist doch aber die eigentlich Spannende.
Warum wollen wir unterscheiden in echte und unechte Pilger? Und wenn wir die Gruppen aufgeteilt haben- was dann?
Fühlen wir uns dann besser?

Einige kennen die Geschichte vermutlich schon, aber ich hatte mal eine sehr interessante Begegnung zu dem Thema:

Ich habe einer guten Freundin dem Camino gezeigt, weil sie wissen wollte, warum ich so süchtig danach bin und ich immer gesagt habe "Ich kann es dir nicht so erklären, dass du es verstehst. Ich kann es dir nur zeigen"
Und so pilgerten wir zusammen. Aus Zeitgründen leider nur ab Sarria.

An einem Abend, kurz vor Santiago, irgendwo hinter Arzua, saßen wir Abends im Restaurant mit einer netten Runde von 10 Leuten.
Da sich viele nicht kannten kam schnell das Standardthema: "Wo bist du gestartet?"

Zwei Mädels in der Runde berichteten, dass sie "den ganzen Weg" laufen, also von St.Jean-Pied-de-Port aus und als wir dann sagten, dass wir in Sarria gestartet sind passierte es: Meiner Freundin und mir wurde deutlich diagnostiziert, dass wir keine echten Pilger sind.
Meine Freundin wusste, dass das passieren kann, weh tat es natürlich trotzdem nach den tollen, anstrengenden, intensiven Pilgertagen, die wir - als PILGER - hinter uns hatten.

Und dann kam die Begründung: Ich konnte keine echte Pilgerin sein, weil ich nicht in St.Jean-Pied-de-Port gestartet bin, weil mir die ganzen Erlebnisse fehlen, weil ich gar nicht wissen kann, wie es ist mehrere Wochen am Stück zu laufen. Weil ich die Meseta nicht gesehen habe und sowieso die schönsten Landschaften verpasst habe. Weil ich das alles nicht kenne!

Meine Freundin und ich haben uns das geduldig angehört und dann haben wir ihr offenbart, dass ich 10 Monate vorher von Deutschland aus zu Fuß nach Santiago gepilgert bin und dass ich all die Landschaften kenne, weil ich im Vorjahr bereits das zweite mal auf dem Frances war.
Das war ihr dann sichtlich unangenehm und ihre Haltung wechselte von leichter Verachtung in Ehrfurcht (unnötigerweise natürlich).

Aber mehr als ein Pilger hat an diesem Abend wohl verstanden, dass man einer Person das Pilgersein nicht anhand des diesjährigen Startortes absprechen kann. Und dass man vielleicht generell vorsichtig damit sein sollte anderen zu erzählen, dass und warum sie keine echten Pilger sein können.


Wir kennen die Geschichten der Menschen, die uns begegnen nicht.
Und es gibt niemals einen Grund sein Gegenüber kleinzumachen, schon gar nicht auf dem Camino - Außer man fühlt sich selbst so klein, dass man sich nur dann wohlfühlt, wenn man alle Anderen um sich herum auch kleinmacht.

Also- Warum ist die Frage wichtig, wer ein echter Pilger ist?
Was ändert sich, wenn wir es wissen und uns in entsprechende Gruppen aufteilen würden?
Und wäre ein Pilgermenü weniger lecker, wenn ein Nichtechterpilger mit am Tisch säße? Wären die Unterhaltungen schlechter? Wäre das Schnarchen lauter?
u l t r e i a
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Simsim
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Simsim »

Genau, liebe Birte!
Und wie berührend kann es manchmal sein, wenn man mit jemandem, den man vielleicht mit Vorurteilen angesehen hat, ins Gespräch kommt.
Z.b. einmal, als ich einen "Komfortpilger" kennenlernte, der von Gepäcktransport bis Hotelzimmer nichts ausließ. Er vertraute mir an, dass er Krebs im fortgeschrittenen Stadium hat und es für ihn eine heilige Handlung ist, jedes Jahr mit größtmöglichem Komfort den Camino zu gehen um für ein weiteres Lebensjahr zu danken.

Ich würde mir halt wünschen, und da wiederhole ich mich, dass uns diese Offenheit und Vorurteilsfreiheit, die wir als Pilger lernen können, auch in andere Bereiche hinein reicht, wie z.b. die Haltung zur Corona Politik.

Wir kennen die Geschichten der Menschen, die uns begegnen nicht.
Und es gibt niemals einen Grund sein Gegenüber kleinzumachen, schon gar nicht auf dem Camino - Außer man fühlt sich selbst so klein, dass man sich nur dann wohlfühlt, wenn man alle Anderen um sich herum auch kleinmacht.
(grrrr, zitieren bekomm ich mal wieder nicht hin )

Ja....lasst uns doch zuerst mal offenes Interesse zeigen und nicht pauschal urteilen. In allen Lebensbereichen, nicht nur im "Ausnahmezustand " Camino.
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Camineiro
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Camineiro »

Ich stelle mal die provokante These in den Raum, dass auch Bus-/Auto-/Motorradpilger etc. echte Pilger sind.

Fusspilgern ist nur eine Variante unter vielen.



Zum Unterschied zwischen Wandern und Pilgern gibt‘s einen schönen Sinnspruch:

So mancher ist in SJPdP als Wanderer gestartet und in Santiago als Pilger angekommen.

Es kann also auch eine Entwicklung stattfinden.



In diesem Sinne ...
Ultreya
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CyrusField
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von CyrusField »

Mir ist es ehrlich gesagt herzlich egal, wie jemand unterwegs ist. Wobei ich mich (natürlich 8-) ) wenn ich unterwegs gerne an den Diskussionen beteilige, wenn jemand meint, seine Methode wäre die einzig wahre oder zumindest besser, als andere.

Für mich persönlich ist eher der Unterschied zwischen Pilgern und Wandern wesentlich. Denn zum Pilgern gehört nicht nur der Pilgernde an sich, sondern auch das drumherum. Die Menschen am Weg. Die Pilgergemeinschaft. Jedem steht es offen, mehr oder weniger intensiv an dieser Gemeinschaft teilzuhaben. Jeder in diesem Umfeld ist auf das Pilgern fokussiert. Natürlich spielt das besondere Ziel eines Pilgerwegs auch eine Rolle.

Beim Wandern hingegen, gehen viele verschiedene Menschen auch einen Weg von A nach B. Das Ziel ist dabei fast egal - wobei das für den Einzelnen, z.B. nach einer Alpenüberquerung, sicher auch anders ist. Aber in den Meisten Fällen kehrt man in "normalen" Gasthäusern, Pensionen oder Hotels ein, in denen man nur einer unter vielen ist. Natürlich ergeben sich auf mehrtägigen Langstreckenwanderungen auch Begegnungen, die schon sehr stark dem "Pilgerfeeling" entsprechen. Aber auf einem Pilgerweg kann ich fast darauf wetten, dass das passiert.

Buen Camino und bleibt allseits blasenfrei
Stefan
Camino Francés 2018
Mosel-Camino 2019
Via Mosana 2019 - ... (das wird noch :lol:)
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...und auch sonst viel zu Fuß unterwegs: https://stefansspuren.com 8-)
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Annkatrin
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von Annkatrin »

CyrusField hat geschrieben: 13. Feb 2021, 12:00

Für mich persönlich ist eher der Unterschied zwischen Pilgern und Wandern wesentlich. Denn zum Pilgern gehört nicht nur der Pilgernde an sich, sondern auch das drumherum. Die Menschen am Weg. Die Pilgergemeinschaft. Jedem steht es offen, mehr oder weniger intensiv an dieser Gemeinschaft teilzuhaben. Jeder in diesem Umfeld ist auf das Pilgern fokussiert. Natürlich spielt das besondere Ziel eines Pilgerwegs auch eine Rolle.

Beim Wandern hingegen, gehen viele verschiedene Menschen auch einen Weg von A nach B. Das Ziel ist dabei fast egal - wobei das für den Einzelnen, z.B. nach einer Alpenüberquerung, sicher auch anders ist. Aber in den Meisten Fällen kehrt man in "normalen" Gasthäusern, Pensionen oder Hotels ein, in denen man nur einer unter vielen ist. Natürlich ergeben sich auf mehrtägigen Langstreckenwanderungen auch Begegnungen, die schon sehr stark dem "Pilgerfeeling" entsprechen. Aber auf einem Pilgerweg kann ich fast darauf wetten, dass das passiert.


Moin Stefan,
da sieht man mal, wie verschieden die Menschen sind. Das was du Pilgerfeeling nennst, hervorgerufen durch die vielen Begegnungen auf dem Weg, habe ich auf dem Frances auch erfahren und genossen. Aber pilgern ist für mich viel mehr, und das erlebe ich wenn ich in Deutschland alleine unterwegs bin. Dann lenkt mich niemand ab von meiner Auseinandersetzung mit mir und meinem Gott. Dafür ist es auch unwichtig, ob ich in einem Schlafsaal oder Einzelzimmer schlafe. Als ich vor Jahren nach Köln hereinspazierte, mein damaliges Ziel, sah mich ein Radfahrer und mit einem Blick auf die Muschel an meinem Rucksack kehrte er um und sprach mich an. Wir wechselten nur wenige Worte, er war in Eile, aber er schenkte mir ein kleines Foto von "dem Jakobsweg" darauf stand: Si alguien te regula unos minutos de su tiempo, te regula unos minutos de su vida! Muchas gracias! Soll auf deutsch heißen: Wenn du jemandem eine Minute deiner zeit schenkst, schenkst du ihm eine Minute deines Lebens. Vielen Dank!
Mit diesem Geschenk, seiner Zeit und der kleinen Karte, hat er mir ein großes Geschenk gemacht, nämlich mich als Pilger angesprochen. Das hat mich sehr bewegt.

Buen Camino
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CyrusField
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Re: Was definiert einen Pilger?

Beitrag von CyrusField »

Hallo Annkatrin,

Phasen des Alleinseins gehören für mich auf jeden Fall auch dazu. Kommt immer darauf an, wie viel ich dann gerade mit mir selbst ausdikutieren muss bzw. was und wie viel mich gerade beschäftigt.

Dein beschriebenes Erlebnis ist wirklich schön. Genau das (na gut, unter anderem das ;) ) meine ich mit dem fokusiert sein. Ich bin auch schon öfters auf die Muschel an meinem Rucksack angesprochrn worden. Die habe ich dauerhaft außen befestigt. Gerade wenn ich "nur so" unterwegs bin, finde ich es immer wieder toll, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.

Du hast natürlich vollkommen recht - wie man einen Pilgerweg geht (fährt, ...) und was einem selbst dieser Weg bedeutet, da gibt es so viele Varianten, wie es Menschen gibt, die diese Wege beschreiten.
Camino Francés 2018
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