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von Via2010 » 16. Apr 2021, 16:12
7. Etappe: Fuente de Cantos - Zafra (25 km)
Die Hospitaleros haben in der Küche Toastbrot und weitere Utensilien für das Frühstück bereitgestellt. Der 1. Pilger muss die Kaffeemaschine einschalten. Da auch die beiden Doppelzimmer nicht über ein privates Bad verfügen, herrscht morgendliches Gedränge. Während Jacques aus Nizza noch darauf wartet, dass die große Dänin das Bad freigibt, genießen wir bereits Marmeladentoast, Kaffee und Magdalenas.
Carl aus Kanada, der heute eine etwas abweichende Etappe plant, hat uns gestern Abend gebeten, beim Aufbruch in der Dämmerung Lucien unter unsere Fittiche zu nehmen, da er im Dunklen kaum sehe. Dieser schließt sich allerdings, weil er es wohl sehr eilig hat, der Dänin an, die seine Anhänglichkeit als Anmache missversteht, ihn anfährt, sie gefälligst nicht zu belästigen und so verdattert und orientierungslos auf der Hauptstraße des Orts lässt. Wir sammeln ihn wenig später wieder ein und nehmen uns vor, auf der heutigen langen Etappe etwas auf ihn aufzupassen.
Der heutige Weg führt überwiegend durch bereits reife Getreidefelder, Weinberge und Olivenhaine. Am Wegrand wechseln sich gelbe Königskerzen, roter Mohn, Malven, blaue Wegwarten und Karden ab. Eine Augenweide! Leider gibt es unterwegs mit einer Ausnahme keine Sitz- bzw. Rastgelegenheiten. Etwa auf halber Strecke, neben einer Hinweistafel auf die "Canadas reales" (königliche Viehtriebkorridore) gibt es sogar einen schattigen Unterstand. Ansonsten ist der Weg heute fast schattenlos. Wenig später müssen wir auf einer abenteuerlichen Brückenkonstruktion aus Euro-Paletten einen schlammigen Fluss überqueren, da die daneben liegende Furt durch das Befahren mit schweren LKW und Traktoren für Fußgänger unpassierbar geworden ist.
Nachdem meine Armbanduhr stehen geblieben ist, fehlt mir heute völlig die Orientierung. Sonst bin ich mit der Faustformel "4 km incl. Pausen = eine Stunde unterwegs" immer ganz gut gefahren.
Es ist offenbar noch früh, als wir in Calzadilla de los Barros einlaufen. Der Ort wirkt ausgestorben. Sowohl die Geschäfte als auch die Bar haben geschlossen. Als ich 2008 mit meinen Eltern hier durchkam, hatte immerhin die Tienda offen. Da es dort aber kein Brot gab, weil der Bäcker erst um die Mittagszeit komme, hatte ich damals die Ladeninhaberin nach einer Bar gefragt. Sie verneinte, erklärte aber, dass ihre Tochter uns Frühstück machen könne und schwang sich ans Telefon. Dann geleitete sie uns zur "Discotheca Los Rosales", wo uns die Tochter empfing, Kaffee kochte und von daheim mitgebrachtes Brot, Schinken und Käse anrichtete. Frühstück in der Disko, das war eine neue Erfahrung und hat meinem ewig hungrigen Vater auf der damaligen Etappe die Laune gerettet.
Da wir heute noch in der Herberge gefrühstückt hatten, können wir die 20 km bis Puebla de Sancho Perez mit etwas Obst überbrücken, wobei meine Apfelsine sicher schon saftigere Tage gesehen hatte. In der dortigen Bar stärken wir uns für den Endspurt entlang einer - glücklicherweise wenig befahrenen Straße - nach Zafra mit Café con leche bzw. Cola (Lucien). Von der Pilgerreise 2008 waren mir beim Einzug nach Zafra reichlich heruntergekommene Brachflächen am alten Güterbahnhof in Erinnerung geblieben. Umso erstaunter war ich, was hier weniger als 500 m von der Herberge des Jakobswegsvereins entfernt entstanden ist: ein Einkaufszentrum in der ehemaligen Stierkampfarena, gepflegte Mehrfamilienhäuser, Büros, diverse Cafés und preiswerte Restaurants. Ebenso gibt es einen großen Supermarkt (Dia Plaza) und auch den von mir herbeigesehnten Uhrmacher.
Die Herberge ist im 2. und 3. Stock einer ehemaligen Jugendstilvilla gegenüber der ehemaligen Schokoladenfabrik untergebracht. Der kerzenbeleuchtete Marienaltar im dunklen Treppenhaus wirkt etwas gespenstisch. Die Herberge selbst ist groß und geräumig. Wir Frauen bekommen einen eigenen Schlafsaal. Überall hängen - sehenswerte - Aquarelle, die der hauptamtliche Hospitalero Antonio wohl anfertigt, während er auf Pilger wartet. Waschküche und Herbergsküche sind etwas dürftig ausgestattet, die Dachterrasse sowie die Badezimmer dafür umso üppiger. Eines verfügt sogar über einen - derzeit leider außer Betrieb gesetzten - Whirlpool. Da manche Pilger sehr lange im Bad ausharren, habe ich reichlich Zeit, mit dem Hospitalero über seine Malerei und die Aktivitäten der örtlichen Jakobswegvereinigung zu plaudern. Diese verkauft in der Herberge u. a. auch T-Shirts. Mit kräftiger und geduldiger Unterstützung des Hospitaleros erstehe ich eines als Souvenir. Das war nicht ganz einfach, da offiziell von den verschiedenen Modellen jeweils nur noch Größe M da war, ich aber wenigstens L benötigte. Nachdem wir feststellten, dass die sehr unterschiedlich ausfielen, hat er mit mir alle noch vorrätigen Shirts ausgepackt, wobei ich dann schließlich doch ein ausreichend großes Exemplar entdeckte. Später treffen wir deutsche Mitpilger, die sich darüber beschweren, dass der Hospitalero nach 20 Minuten an der Badezimmertür geklopft und sie zur Eile angetrieben habe. Das sei ein unfreundlicher Kauz gewesen. Da sieht man mal wieder, der Ton macht die Musik.
Sofort nach dem Zimmerbezug und Dusche eile ich zum Uhrmacher, damit ich noch vor der Siestapause bedient werde. Für 3 € setzt er die neue Batterie ein und tauscht sich derweil noch mit mir über seine Erfahrungen auf diversen Jakobswegen aus. Ob das ein Pilgerrabatt war?
Später gehen Vera und ich zum Mittagessen ins ca. 250m vor der Herberge an der Einfallstraße gelegene Café la Barca. Für 9 € dürfen wir dort als Vorspeise zwischen Ensalada mista, Gazpacha, Ensalada Rusa und Patatas Alioli wählen, im Hauptgang zwischen Lomo, Hühnchen, Bacalao, Calamares oder Chipirones (man merkt die Nähe zu Huelva, von wo die frischen Meeresfrüchte kommen) und verschiedenen hausgemachten Nachspeisen. Dazu je 1/2 Flasche Wein und Gaseosa. Unsere dänische Zimmergenossin wird später unter unserem Knoblauchatem leiden, da wir uns bei der Vorspeise für Patatas Alioli entschieden haben.
Nach einer Siesta erkunden wir die Stadt und treffen und mit unseren französischen Mitpilgern an der Plaza Mayor, wo Jacques ein Hotelzimmer bezogen hat. Gemeinsam besichtigen wir Plaza Chica, Plaza Mayor, die Pfarrkirche und die Puerta de Jerez. Auf dem Rückweg zur Herberge gehen Vera und ich noch in den Parador, der im ehemaligen Alcazar untergebracht ist, um uns einen Stempel für unser Credential zu holen und die feudale Empfangshalle zu bestaunen. Unmittelbar bei der Herberge gibt es auch einen großen Park, wo in schnuckeligen Pavillons ebenfalls verschiedene Bars/Cafés untergebracht sind.
Für unser Abendessen auf der Dachterrasse besorgen wir im Supermarkt noch ein paar Empanadas, Dosenbier sowie ein paar Tomaten. Leider ist es schon sehr windig, so dass wir es nicht sehr lange aushalten.
Später habe ich gehört, dass inzwischen auch die Alba-Plata-Herberge San Francisco wieder einen Pächter hatte. In diesem ehemaligen Kloster mit schönem Innenhof war ich 2008 mit meinen Eltern. Allerdings liegt es doch recht ungünstig am Ortsausgang.