Hallo, ich bin im Mai den Camino del Norte gelaufen. Es war mein erster Jakobsweg, und es war wunderschön. Auch wenn ich in der zweiten Hälfte tolle Momente hatte, sind mir landschaftlich doch die ersten zwei Wochen von Irun bis Llanes am meisten in Erinnerung geblieben, die ich nächstes Jahr unbedingt noch einmal gehen möchte.
Ich schaue immer mal wieder in dieses Forum und kann deine Frage einfach nicht länger unbeantwortet lassen, weshalb ich mich jetzt angemeldet habe und antworte.
Also zu den Musses:
1. Möglicherweise den schönsten Blick des ganzen Weges hat man gleich kurz hinter Irun auf dem Berg Jaizkibel auf rund 600 Meter Höhe. Zur einen Seite hat man das weite Meer, zur anderen das bergige Hinterland, zudem natürlich das von dort oben winzige Städtchen Irun. Einfach atemberaubend. Außerdem laufen hier oben Pferde frei herum. Wer in San Sebastian startet, verpasst etwas.
2. Kurz vor San Sebastian läuft man eine Weile durch den Wald, ehe sich rechter Hand die Äste lichten und man plötzlich auf die Großstadt San Sebastian und ihren Strand hinabschaut. Ich habe mich richtig erschrocken, als auf einmal dieses Meer an Hochhäusern neben mir auftauchte. Solch einen Blick hatte ich noch nie. Kein wirkliches Muss, das nimmt man mehr so im Vorbeigehen mit.
3. Bilbao war für mich persönlich kein Muss, da mir Städte nicht so liegen. Allein das Guggenheim-Museum könnte aber für viele einen Besuch wert seiin.
4. Hier war ich selbst leider nicht, weil sich der Hinweis im Pilgerführer in einem unentwirrbaren Varianten-Wust befand: Hinter Santona (Kilometer 230) kann man einen Abstecher zum Faro del Caballo machen, einen paradiesich gelegenen Leuchtturm, den man über etwa 700 Stufen erreicht, die man auch alle wieder zurücklaufen muss. Die Bilder davon sind jedoch traumhaft.
5. Pater Ernestos Herberge in Güemes (KM 260). Im Grunde ist es wie ein großes Klassentreffen. Alle, die knapp vor oder knapp hinter dir sind, werden hier sein. Eine sehr schöne Pilgeratmosphäre mit charismatischem Herbergsvater. Manche bemängelten dort zuletzt eine Art Kult-Gehabe durch Mitarbeiter und so. Den Eindruck kann ich nicht teilen. Genauso schön, wenn auch kleiner ist es 25 Kilometer weiter bei Nieves in Bezana.
6. Für einige könnte das Städtchen Santillana del Mar ein Muss sein. Mir sagte es nicht so zu, aber mittelalterlicher wird es auf dem Weg definitiv nicht mehr.
7. Die Strecke ab Comillas (KM 350) habe ich als wunderschön in Erinnerung. Wichtig ist, dass man kurz nach Comillas über einen Deich Richtung Strand marschiert. Dort kommt man durch eine völlig deplatziert wirkende Einöde/Steppe/Wüstenlandschaft mit verdorrten Bäumchen, Sand, ein paar Tümpeln etc. (ich beschreibe das sicher nicht korrekt
), aber mir gefiel diese vermeintliche Ödnis, Naturpark Oyambre genannt, exzellent. Ein paar Kilometer weiter den Berg hinauf hat man wieder einen traumhaften Ausblick. Vor einem liegt ein toller weiter Sandstrand, im Hintergrund erheben sich die schneebedeckten Gipfel der Picos de Europa. Was für ein Kontrast!
8. In Serdio hat man die Möglichkeit einen 60 Kilometer weiten Abstecher nach Santo Toribio de Liebana in die Ausläufer der Picos zu beginnen. In dem Kloster soll das größte Stück des Kreuzes Christi liegen - das man auch anfassen darf. Ich habe den bergigen, einsamen Weg in zwei Tagen geschafft und hatte Pilgerherbergen fast für mich allein. Zurück auf den Weg kommt man per Bus. Die Rückfahrt zwischen den steilen Felswänden hindurch war fast spektakulärer als die Wanderung.
Man kann natürlich auch mit dem Bus hin und wieder zurück als kleine Halbtagestour. Ob es ein Muss ist, weiß ich nicht, aber ich wollte es unbedingt machen und habe im Vorfeld wenige Informationen darüber gefunden, wie ich es in meinen Weg integrieren kann, daher erwähne ich es.
9. Zurück auf dem Hauptweg geht es spektakulär weiter. Wichtig ist, dass man ein paar Kilometer nach Colombres (KM 360), nachdem man aus einem kleinen Waldstück eine Straße betritt, über die Schienen durchs Gebüsch schlüpft und auf eine Wiese zur Steilküste strebt. Auf den nächsten Kilometern jagt ein Höhepunkt den nächsten: die Bufones, grummelnde Felsspalten, die bei unruhiger See Fontänen in die Luft schießen lassen, tolle Steilküste, Strände, Felsbuchten, eine düstere Höhle, ein von Steilwänden umgebener Fluss und vor Llanes endlich auch der Küste vorgelagerte Felsformationen, die mitten aus dem Meer ragen und mein Kopfkino anspringen lassen. Piraten, die da ihre Schätze verstecken und so ...
Nach Llanes hat mich dann komischerweise nur noch selten etwas vom Hocker gehauen. Warum kann ich gar nicht erklären, vielleicht war ich zu verwöhnt oder hatte mich schon zu sehr an die Schönheit des Weges gewöhnt. Obwohl ich auf diesen Strecken menschlich möglicherweise sogar die intensivsten Erfahrungen gemacht habe.
11. Nach Soto del Barco (KM 530) sollte man unbedingt für die nächsten Kilometer auf den spanischen Küstenweg E9 wechseln. Herrliche Strände und Klippen bestimmen hier das Bild.
12. Noch empfehlenswerter ist das Wechseln auf den Küstenweg E9 nach Luarca bis Navia (stand leider nicht in meinem gelben Führer). Dort kommt man teils an schwarze Sandstrände, die höllisch heiß sind, und an Strände mit wahnsinnig kräftigen Wellen. Hier war ich auch das (leider) einzige Mal im Wasser.
13. Galicien war bei mir ziemlich verregnet, deswegen ist es mir nicht sonderlich schön in Erinnerung geblieben. Mir fehlte außerdem das Meer, und ab der Zusammenführung mit dem Frances in Arzua war es mit entspanntem Pilgern ohnehin vorbei. Empfehlen möchte ich aber nach Mondonedo (KM 670) den neuen offizielen Weg über den Berg. Dort oben auf schneeweißen Wegen durch grüne Wiesen zu laufen, ist wunderschön.
14. Die beiden Pilger auf dem Monte do Gozo vor den Toren Santiagos. Neben diesen beiden Figuren zu stehen, die Türme der Kathedrale in Sichtweite, hat einen sehr emotionalen Moment bei mir ausgelöst, den die Worte "Pff, ich verweigere einfach das Ankommen" ganz gut zusammenfassen.
Insgesamt war der Weg sehr schön. Die "ganz normalen" Küsten-, Klippen und Strandabschnitte habe ich ja nicht mal erwähnt. Oder das ganz normale traumhafte Bergpanorama im Baskenland mit den dazwischen liegenden idyllischen Küstenstädtchen. Es gab auch viele Abschnitte entlang von Straßen, die im konkreten Moment genervt haben, an die man sich hinterher angesichts der Fülle an tollen Momenten aber gar nicht mehr erinnert.