Psychische Krankheit und Pilgern

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Alter Esel
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Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Alter Esel »

Psychische Krankheit ,Burnout usw. Pilgern als Selbsttherapie ?

Da ich selbst schon Die heilsame Wirkung des Wanderns bzw Pilgerns erfahren durfte. (habe selber eine psychiatrische Diagnose )
frage ich mich gerade in der jetzigen Corona Pandemie wie viele psychisch belastete Menschen Pilgern....
Ich denke das man sprichwörtlich nur die Spitze des Eisbergs wahrnimmt

gibt es dazu Zahlen oder will sich wer outen :)

lg kika
Superfrauandrea
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Superfrauandrea »

ich selbst kämpfe immer wieder mal mit Depressionen.

Kann nur sagen, dass es mir beim Pilgern so gut geht wie nie! Habe zwar körperliche Schmerzen wie Knie-Kreuz-Schulterweh, aber der Seele tut das Gehen unfassbar gut.

lg. Andrea
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Matt Merchant
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Matt Merchant »

Liebe(r) Kika,

das ist ein wichtiges, doch nicht ungefährliches Thema: denn Fern- und Selbstdiagnosen können ebenso schwere (Selbst-)Verletzungen verursachen wie die 'Abstempelung' von sich oder anderen mit einer Diagnose. Trotzdem Danke, dass Du die Frage stellst.
Erlaube mir, sie aufrichtig, aber mit einem freundschaftlichen Augenzwinkern zu beantworten:

Im Katalog der Persönlichkeitsstörungen wäre die 'Schizoide Störung' gewiss die Pilgerdiagnose par excellence: Sie drückt sich eben durch Einzelgängertum, Weltflucht und Absonderung aus. Das kennen wir alle. Und tatsächlich hatte ich immer mal wieder den Impuls, den provokanten Thread zu starten: "Sind wir alle schizoid?". Sind wir aber gewiss nicht, solange uns Einsamkeit nicht belastet und zerstört.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schizoide ... %C3%B6rung
Aber, ja - wie gesagt: Finger weg von Dilettanten-Diagnosen!

In meiner Familie, die aus vielen kreativen KünsterInnen-Köpfen besteht, gibt es eher eine Tendenz zum Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom: ADHS.
Ich kann nicht ausschließen, dass mir diese Diagnose von allem am nächsten liegt. Konzentration im Altag fällt mir oft schwer (v.a. wenn die Dinge des Alltags langweilig sind), doch auf dem Camino, beim Geradeauslaufen, empfinde ich niemals Langeweile, sondern tiefe Ruhe und Glück, gerade in der Meseta oder entlang schnurgerader Kanalrouten.

Außerdem mag sich eine Tendenz zu ADHS darin zeigen, dass ich nun schon seit einigen Tagen das Pilgerforum vollschreibe, anstatt meine Hauptseminararbeit in Religionspädagogik fertigzustellen.
Aufschieberitis - eine grauenhafte Sache... ;-)

Alles Liebe!!
Matthias
"Das Unscharfe um das Display herum, das ist der Camino.“ (frei nach M. M. Profitlich) :geek:
Alter Esel
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Alter Esel »

:D Diagnose ist auch nebensächlich,meine langjährige Therapeutin sagte immer die Übergänge sind fliesend
:oops:

natürlich will ich auch etwas Provozieren :D
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Simsim
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Simsim »

Hallo Kika,

von Zahlen zum Thema weiß ich nichts, das wäre wohl auch schwierig, denn wie schon geschrieben, sind die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit fließend.
Ich traf in 10 Jahren viele Menschen auf dem Camino mit teils offiziellen Diagnosen, teils Selbstdiagnosen. Ich traf auch mehrere Leute, denen der Camino von Arbeitgeber verordnet und sogar bezahlt wurde, weil sie unter Burnout, Depression, Panikattacken litten.
Auch fanden so manche aus der Welt gefallenen Menschen mit ganz eigenen Verhaltensweisen, auf dem Camino ihren Dauerwohnsitz, und das als teils geschätzte und geliebte Sonderlinge.

Mir selbst geht es erstmals dieses Jahr zeitweise psychisch-emotional so schlecht, dass ein Arzt bestimmt etwas diagnostizieren würde.
Jetzt war ich aber gerade bei warmen Wetter drei Tage und Nächte hier in Frankreich auf dem "Chemin de Vezelay ", der vor meiner Tür losgeht.
Es war wie als würden riesige offene Arme meine ganze Unruhe, Angstzustände, Schmerz um andere Menschen, Entsetzen über aktuelle Entwicklungen u.s.w. auffangen, mich an die Brust drücken und mich zutiefst beruhigen. Drei Tage haben genügt, um irgendwie wieder Ordnung zu schaffen in meinem Geist und Herz. So wunderbar.
Das Laufen, draußen sein etc ist es nicht allein. Da ist noch was geheimnisvoll anderes im Spiel, ganz klar.
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Shabanna
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Shabanna »

Simsim hat geschrieben: 5. Mär 2021, 11:46
Auch fanden so manche aus der Welt gefallenen Menschen ...
Simsim!

Aus der Welt gefallene Menschen ...

Ich hab diesen Ausdruck noch nie gehört und wow, er trieb mir grad spontan die Tränen in die Augen. Was für eine wunderbare Beschreibung.

Nein, ich hab keine Depression, no worry.

Aber aus der Welt gefallen ... das passt. Wie schön.

Ich glaub, da bleib ich.

DANKE!
No creo en casi nada que no salga del corazón.
(Fito Páez)

http://und-die-haare-im-wind.blogspot.com
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Simsim
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Simsim »

Ja, da freue ich mich....es kam so, als ich nachdachte, wie man diese, in keine Schublade passenden, einfach sie-selbst-seienden, dennoch oft nicht minder leidenden Brüder und Schwestern nennen könnte.....und ich glaube manchmal, ich bin auch so eine.
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Pooh_der_baer
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Pooh_der_baer »

@kika

Es gibt nicht mal genaue Zahlen, wieviel Menschen auf den Jakobuswegen unterwegs sind.
Wie sollen dann Zahlen erstellt werden, wer unter welchen Krankheiten leidet.

Das mit dem Outen ist ja auch so eine Sache.
Oft sind manch psychischen Krankheiten keine dauerhaften.

Auf einem meiner Wege traf ich eine Gruppe junger Frauen, die mit einer fachlichen Begleitung unterwegs waren.
Sie litten unter Selbstbestätigungsdefizit.
Wer sich nicht erinnert, den bestraft die Zukunft.
Alter Esel
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Alter Esel »

den meisten Psychisch belasteten Menschen sieht man auch nichts an,zu mir sagt keiner das ich unter einer ernsten Krankheit leide.
es gibt Zahlen für die allgemein Bevölkerung,mir würden schätzungen vollkommen ausreichen !

Leider ist Psychisches Leiden für viele ein Tabuthema
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Matt Merchant
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Matt Merchant »

Servus Kika,

vor wenigen Tagen erst gab es im benachbarten 'Sex and the Camino'-Thread eine interessante Story über eine Borderlinerin auf dem Weg:
https://daspilgerforum.de/viewtopic.php ... 253#p16692
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Alter Esel
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Alter Esel »

Ich sehe es als gesamtgesellschaftliches Problem
man siehe nur die Zahl der Frühverrentungen 70000+ jedes Jahr wegen Psyche
da sind mir schon einige auf dem Camino Begegnet
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Matt Merchant
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Matt Merchant »

Ich sehe es als gesamtgesellschaftliches Problem
So würde ich es nicht ausdrücken.
Es ist ein Teil des Menschseins.
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Alter Esel
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Alter Esel »

etwas aufklärung für alle :)


http://psychenet.de
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Pilgerbär
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Pilgerbär »

Die WHO definierte 1948 Gesundheit wie folgt:

"Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung."

Na? Wie viele "Gesunde" gibt es hier heute wohl? Ich glaube das wir manchmal etwas voreilig mit der Diagnose einer psychischen Erkrankung umgehen. Mal abgesehen davon, dass ich Lehrer kenne die diesen Beruf gewählt haben weil sie spätestens ab 55 einen auf lockerer Schraube machen können und dann spätestens mit 60 in den Ruhestand gehen zu können, muss man doch feststellen das bspw eine Depression eine handfeste und lebensbedrohliche Erkrankung ist. Das hat nicht einfach etwas mit einer Sinnkrise zu tun.

Ich glaube schon das uns das Pilgern bei einigen Lebenskrisen helfen kann. Das man sich mit sich selber und vielleicht auch mit Gott beschäftigen, körperliche Leistungen zu einer, sagen wir entspannten Müdigkeit führt und die Erkenntnis das man mit wenig Dingen glücklich sein kann und das Materielle nicht zwingend das erstrebenswerteste ist (Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen.…)

Aber bei einer entsprechenden Diagnose gehören diese Menschen nicht auf den Weg sondern in entsprechende Behandlung. Leider ist es in unserer Gesellschaft noch sehr tabuisiert, was es den Betroffenen oft sehr schwer macht Hilfen aufzusuchen. Insofern sind oftmals wir das eigentliche Problem, nicht der/die Erkrankten...
Ultreya, euer Pilgerbär
Alter Esel
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Re: Psychische Krankheit und Pilgern

Beitrag von Alter Esel »

Menschen in einer schweren Psychischen Krise würde ich auch eine ambulante oder stationäre Therapie empfehlen....
es gibt aber auch danach :oops:
Psychisches leiden ist immer noch weitgehend tabuisiert, andersrum bleibt der Camino eine Oase für Alkoholkranke
wirklich verrückt diese Welt ?
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